Stell dir vor, es ist Krise und ein Start-up geht nicht hin

Corona versetzt der Basler Gründer*innen-Szene einen Dämpfer. Die Regierung springt sogar mit Bürgschaften ein. Manche junge Unternehmen profitieren mit ihren Erfindungen aber auch von der Pandemie.

Startup_Corona
Patientenpflege per App: check.

Yves Nordmann grüsst mit lachenden Augen und bittet in das Behandlungszimmer seiner Praxis nahe der Basler Altstadt. An der Wand hängen von Kindern gemalte Bilder, Orchideen schmücken den sonst kargen Raum. Das hier ist kein Termin für eine Untersuchung, der Kinderarzt praktiziert nicht mehr. Heute geht es um Nordmanns neue Karriere: als Gründer des Biotech-Start-ups Docdok.Health.

Und das läuft gut.

Nordmann ist in Basel aufgewachsen und zur Schule gegangen, sein Medizinstudium absolvierte er ebenfalls hier. Auch sein Start-up hat seinen Ursprung in Basel. Vor drei Jahren gründete Nordmann das Unternehmen zusammen mit seinem Geschäftspartner Ulrich Mühlner, einem Biochemiker und ehemaligen Novartis-Mitarbeiter. 

Basel sei ein guter Standort, sagt Nordmann. «Ulrich und ich haben hier unsere Wurzeln, haben die Firma hier gegründet. Ausserdem denken viele Pharmafirmen zunehmend digital, da ist Basel eine gute Umgebung für uns.» Aber natürlich spielt die Firma mit seinen elf Mitarbeiter*innen in einer anderen, kleineren Liga als die Lokal-Lokomotiven der Szene wie Roche, Novartis oder auch Lonza.

«Technologie-Start-ups sind von den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie anders betroffen als andere KMU.»
Ratschlag, Regierungsrat Basel-Stadt

Für Nordmann und sein Start-up sieht es trotz Corona-Krise gut aus. Er hat eine App rausgebracht, die den Gesundheitszustand von Lungenpatient*innen dokumentiert und damit zufällig auch für Covid-19-Fälle geeignet ist. Damit ist die kleine Firma eine von etwa einer Handvoll Start-ups in Basel, die etwas zur Behandlung von Corona-Patient*innen beitragen können. Bei Investor*innen kommt das offenbar gut an. «Die Krise ist uns, im Gegensatz zu anderen Start-ups, die bezüglich weiteren Finanzierungsrunden in Schwierigkeiten gekommen sind, eher zugute gekommen», sagt Nordmann. 

Manch anderes Start-up schwächelt und bangt wegen der Pandemie um seine Zukunft. Deshalb hat der Regierungsrat – zusätzlich zum gemeinsamen Programm mit dem Bund – Ende Mai ein kantonales Bürgschaftsprogramm versprochen. Das bedeutet, Start-ups bekommen Überbrückungskredite von ihren Banken und der Kanton steht dafür gerade. 

Dazu heisst es im Ratschlag des Regierungsrats:

«Technologie-Start-ups – insbesondere die für Basel-Stadt wichtigen Biotechnologieunternehmen – sind von den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie anders betroffen als andere KMU.»

Diese Start-ups, eine besondere Form kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU), würden zu Beginn selten Umsätze generieren, benötigten aber gleichzeitig viel Geld, um die Forschung zu finanzieren, steht im Ratschlag. In der Krise bleiben viele Investor*innen aber zurückhaltend und der nötige Geldfluss droht zu versiegen. 

«Oft sind aufgrund von Covid-19 die geplanten klinischen Studien für längere Zeit unterbrochen, Hochschulpartner fallen aus, oder finanzielle Verpflichtungen mit Instituten, die für die Unternehmen teure Auftragsforschung betreiben, müssen eingehalten werden. Aus Sicht der Investoren solcher Unternehmen können die mit den Start-ups vereinbarten Meilensteine nicht oder stark verzögert erreicht werden»,

heisst es weiter.

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Kann mit seinem Start-up in der Krise profitieren: Gründer Yves Nordmann. (Bild: Ina Bullwinkel)

Wenn Nordmann erzählt, ist von diesen Sorgen nichts zu hören. Zwar verschoben sich wegen der Krise auch bei seiner Firma Projekte nach hinten, sodass eine Bürgschaft nötig wurde. Doch dann rappelte sich das Unternehmen schnell auf*. Nordmann möchte nicht über genaue Summen sprechen, aber das junge Unternehmen stehe gut da, habe neben der Schweiz auch Kunden in Deutschland, Österreich, Israel und Katar. Im Mai wurde das Start-up vom Westschweizer Finanz-Magazin «Bilan» als eins der 50 Start-ups eingestuft, in die es sich 2020 zu investieren lohne. 

Wie kann das sein? Entweder Nordmann hatte den richtigen Instinkt oder unfassbares Glück. Oder eine Mischung.

Vor drei Jahren, als Docdok.Health gegründet wurde, hatten Nordmann und Mühlner eine digitale Lücke im Gesundheitswesen gesehen, die sie mit einer App schliessen wollten. Dabei ging es ihnen darum, Asthmapatient*innen und Menschen, die unter der chronischen Lungenkrankheit COPD leiden, ausserhalb der Kontrolltermine besser zu versorgen. Und zwar ohne, dass sie dafür extra in eine Praxis oder eine Klinik kommen müssen. 

«Natürlich kam uns Corona entgegen.»
Yves Nordmann, Gründer Docdok.Health

Zu Hause pusten die Patient*innen in einen mit dem Smartphone verbundenen Inhalator oder legen eine Bandage an, um die Herzfrequenz zu bestimmen. Was gemessen wird, geht per App an den Arzt oder die Ärztin. Ist die Sauerstoffsättigung hoch genug? Die Atemfrequenz normal? Alle diese Daten zeigen, ob die Therapie anschlägt, ob sie ihren Preis wert ist oder vielleicht ein anderes Medikament her muss. Zusätzlich füllen die Patient*innen Fragebögen aus. Wie fühlen Sie sich? Haben Sie Fieber? Haben Sie Husten? Sind Sie angestrengt bei Aktivität? Die Antworten werten dann Ärzt*innen aus.

Dass die App auf Lungenkrankheiten ausgerichtet ist, war für Nordmanns Firma ein Glücksfall. Das gibt er offen zu. «Natürlich kam es uns entgegen, dass das Coronavirus das Atemwegssystem erfasst und wir damit im richtigen medizinischen Bereich unterwegs waren», sagt er ernst, ohne den Stolz auf sein Produkt zu verstecken. «Innerhalb von zwei Wochen konnten wir die Plattform anpassen und für Corona-Patient*innen nutzen.»

Patient*innendaten in Echtzeit

Gegen Ende April war die App erstmals im Covid-Einsatz. Dass das so schnell ging, hat wiederum sehr Start-up-typisch mit der flachen Hierarchie und einem kleinen Team zu tun: «Bei uns sind wir zwei Entscheidungsträger und können praktisch ad hoc entscheiden», sagt Nordmann. 

Ein Kunde der App ist das Universitätsspital Zürich (USZ), das eine klinische Studie dazu durchführt, wie sich der Gesundheitszustand von Corona-Patient*innen nach Spitalentlassung entwickelt. Dazu versendet das Spital nach Angaben von Studienleiter Dr. Christian Clarenbach täglich Fragebögen über die App an seine Patient*innen. «Wir hatten wegen eines anderen Studienprojekts bereits Erfahrung mit Docdok, daher haben wir die App gewählt», sagt er.

Mit den Umfragen bekommen die Ärzt*innen in Echtzeit Hinweise darauf, wie es den Patient*innen zu Hause geht. Derzeit nimmt laut Nordmann eine zweistellige Patient*innenzahl an der Studie teil. «Das wechselt täglich, weil es hat jetzt deutlich mehr Infektionen. Das Ziel ist wahrscheinlich, dass man um die 50 bis 100 Patient*innen insgesamt in die Studie einschliessen kann», sagt er.

«Grundsätzlich sollte man sich bei der Eingabe von Gesundheitsdaten darüber Gedanken machen, wer sie einsehen kann.»
Daniel Tapernoux, Schweizerische Patientenorganisation

Dass sich mit Corona neue Projekte und Partnerschaften ergeben haben, lag wohl auch an der Funktion einer Videokonsultation über die App. Dass kränkelnde Patient*innen mit Symptomen das Haus verlassen, und dann unterwegs im ÖV und in den engen Testzentren in Kontakt mit anderen Personen kommen könnten, war zum Beispiel im August von den Baselbieter Hausärzt*innen in einem offenen Protestbrief an die Regierung kritisiert worden. Ausserdem fielen viele Sprechstunden wegen Corona aus. Mit der Videofunktion der App sollen solche Engpässe reduziert werden.

«Ich kann hier mit einem Klick dem Patienten eine Einladung schicken – zack. Dann sollte hier eine Push-Notifikation kommen», Nordmann springt zwischen Computer und Smartphone, loggt sich jeweils ein und simuliert mit der App ein Gespräch zwischen Doktor und Patient*in. Auf den Bildschirmen tauchen jeweils kleine Video-Fenster auf – die Konsultation beginnt. «Jetzt können Sie sich sicher unterhalten», sagt Nordmann.

Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie Bajour.

Die Sicherheit der sensiblen Patient*innendaten ist heikel. Die App muss die Datenschutzgrundverordnung befolgen und auch die lokalen regulatorischen Vorgaben. Ausserdem gebe es noch einen international normierten «Medical Device Standard», mit dem die Produkte zertifiziert würden, sagt Nordmann.

Die Krise wird sich erst noch zeigen

«Grundsätzlich sollte man sich bei der Eingabe von Gesundheitsdaten darüber Gedanken machen, in welchem Land die Daten gespeichert werden, wer sie einsehen kann, was es nützen kann und welche Risiken ich eventuell eingehe», sagt Daniel Tapernoux von der Schweizerischen Patientenorganisation. Angesprochen auf den Datenschutz, sagt Nordmann, die Patient*innen wüssten genau, an wen die Daten gehen. Für jede*n Empfänger*in müssten sie ihre Erlaubnis geben. Auch USZ-Studienleiter Clarenbach sieht die Datensicherheit gewährleistet, da die Daten in der Schweiz bei Docdok.Health blieben.

Nordmanns Startup ist nicht das einzige, das bisher gut in der Corona-Krise fährt. «So gut wie die Finanzierungen der Biotech-Firmen im ersten Halbjahr verlaufen sind, müssten wir angesichts der Pandemie sehr zufrieden sein, die Investoren haben das Interesse an Biotech-Investments nicht verloren», sagt Michael Altorfer vom Verband «Swiss Biotech Association». 

Aus seiner Sicht werden die Verzögerungen in der Forschung und Entwicklung dafür in der zweiten Jahreshälfte sichtbar werden:«Es ist die Frage, wie sich die Investoren verhalten werden, wenn Biotech-Firmen ihre Liquiditätsreserven verstärken müssen, aber aufgrund der Pandemie Ziele verfehlen.» Und nicht alle Start-ups könnten vom staatlichen Bürgschaftsprogramm profitieren, denn es ist auf Firmen beschränkt, die nicht älter als zehn Jahre sind. 

*Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels stand, das Unternehmen Docdok.Health sei nicht auf Bürgschaften angewiesen. Diese Information ist falsch, die Firma hat eine Bürgschaft erhalten. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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