Studierende im falschen Film
Das Semester an der Hochschule für Gestaltung und Kunst beginnt anders als sonst: Neuerdings hängen Überwachungskameras vor den Eingängen. Das stösst auf Widerstand.
Es ist ein grauer Tag auf dem Campus der Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK), auch was die Stimmung betrifft. Auf dem Platz vor dem achtstöckigen Institutsgebäudeklotz rauchen ein paar Studierende. Gegenüber von ihnen: Kameras. Das ist erst seit Kurzem so. Die Frage danach sorgt in der Gruppe für finstere Mienen. Eine Studentin findet die Videoüberwachung «unangenehm», ein anderer sagt: «Die Grundstimmung ist schlecht, niemand findet das cool.» Manche wollen es in der Vorlesung von den Kameras erfahren haben, andere sprechen von einer E-Mail. Die Kameras seien jedenfalls schon da gewesen, als das Semester angefangen hat, so der Tenor. Und etwas anderes scheint den Studierenden auch klar zu sein: Die Einverständniserklärung der Hochschule wollen sie lieber nicht unterschreiben.
«Sie haben nicht wirklich etwas dazu gesagt, bloss, dass es die Kameras wegen der Diebstähle gibt.»Laura, Studentin
In der Erklärung weist die Hochschule darauf hin, wie personenbezogene Daten verarbeitet werden und dass bei Veranstaltungen zu Werbezwecken gefilmt und fotografiert wird. Kurz: es geht um Datenschutz. Mit der Unterschrift holt sie sich die Zustimmung der Studierenden. Die Erklärung in dieser Form - mit Hinweis auf die Videoüberwachung - ist neu, es gibt sie laut Hochschule erst seit diesem Jahr. Wer mit den Studierenden spricht, merkt schnell: Ihre Abwehr-Haltung richtet sich zwar gegen die Kameras, aber vor allem auch dagegen, dass die HGK sie nicht frühzeitig einbezogen hat. Die Entscheidung für die Videoüberwachung hat offenbar viele überrascht.
Auch Laura stört sich an der Einverständniserklärung. Sie hat gerade erst angefangen, an der HGK zu studieren. Das Schreiben habe sie nach der ersten Semesterwoche in einer Vorlesung bekommen, sagt sie. «Sie haben nicht wirklich etwas dazu gesagt, bloss, dass es die Kameras wegen der Diebstähle gibt.» In der Erklärung, die Laura bisher nicht unterschrieben hat, heisst es, die Videos würden nur «im Fall einer Widerhandlung» angesehen. Passiert nichts, würden die Aufnahmen spätestens nach sieben Tagen gelöscht.
Zu dem Zeitpunkt, als die Raucher*innengruppe ihren Unmut kundtut, ist es zwei Tage her, dass die Hochschulleitung eine lange E-Mail an die Studierenden geschickt hat. Laura zeigt sie mir auf ihrem Smartphone. Darin heisst es:
«Aufgrund der hohen (Zahl an, Anm. d. Red.) Schadens- und Versicherungsfälle durch Diebstähle und Sachbeschädigungen der letzten Jahre, war es eine Vorgabe der FHNW, die HGK FHNW als öffentliche Gebäude mit Kameras auszustatten.»
Ausserdem steht in der Mail, dass unter der Woche nur zwischen 17.30 Uhr und 7.30 Uhr aufgezeichnet wird, am Wochenende durchgehend.
Studentin Kiki findet, die zweite Mail habe die Situation ein wenig klargestellt. «Aber diese E-Mail hätte zuerst kommen müssen.» Ist mit einer langen Mail alles geklärt? Wohl eher nicht.
Der Protest ist gespalten
Während sich beim bisherigen Umhören auf dem Campus zeigt: Kamera-Fans finden sich unter den Studierenden keine, läuft die Suche nach den Initiator*innen des Protests schwieriger als gedacht. Es wird deutlich: Die eine Studierendengruppe, die dagegen ist, existiert nicht. Es gibt mindestens zwei Lager. Das eine Lager, unklar wie viele, startete eine Chatgruppe und hat Plakate geklebt. Das andere Lager, eine Gruppe von drei Leuten, hat das Gespräch mit der Hochschulleitung gesucht. Einer von ihnen ist Lucien. Er meldet sich telefonisch, als er erfährt, dass Bajour mehr über den Konflikt wissen will. Lucien habe zusammen mit zwei Kommilitoninnen mit der Hochschulleitung geredet, erzählt er am Telefon. Der Grund: Er sei «mega gegen die Kameras gewesen» und wollte mehr darüber wissen.
«Wie bei jeder Videoüberwachung muss man sich die Frage stellen, ob die Hochschule mit dieser das erreicht, was sie will.»Markus Brönnimann, Datenschutz-Beauftragter BL
Lucien sagt, er finde es schade, dass es nicht mehr waren, die zu dem Gespräch gekommen sind. In der Chatgruppe, aus der er inzwischen ausgetreten sei, habe er angeboten, dass noch jemand mitkommt oder Input gibt. «Aber ich habe keine Antwort darauf bekommen.» Er habe deshalb nicht das Gefühl, dass es den Leuten in der Gruppe um Dialog geht, sondern sie vor allem «anti» sind. Er würde die Sicht der HGK jetzt zumindest besser verstehen. Alle Versuche von Bajour, von den Plakatkleber*innen eine*n Ansprechpartner*in zu finden, waren bisher erfolglos. Ihre Sicht kennt Bajour daher bis heute nicht. (Falls ihr dazu gehört und das hier lest: Meldet euch.) Die einzigen Hinweise zu ihnen finden sich auf den Plakaten. Dort fragen sie: «Heute Kameras, morgen Fingerabdrücke?» und «Wo ziehst du die Grenze?»
Aber was gilt datenschutzrechtlich? Darf die Hochschule überhaupt Kameras anbringen und die Studierenden filmen?
Da die Hochschule in Münchenstein liegt, ist der Datenschutzbeauftragte vom Kanton Baselland zuständig, Markus Brönnimann. «Wie bei jeder Videoüberwachung muss man sich die Frage stellen, ob die Hochschule mit dieser das erreicht, was sie will», nämlich weitere Diebstähle zu verhindern oder zumindest besser aufzuklären. Um das zu erreichen, darf es «kein milderes Mittel» geben, sagt Brönnimann. Er verweist auf das kantonale Polizeigesetz: In Paragraf 45d ist geregelt, dass die Videoüberwachung verhältnismässig sein muss.
Information in kleinen Happen
Brönnimann erklärt, es brauche gemäss Gesetz nicht einmal eine Einwilligung der Studierenden. «Informieren muss man sie aber.» Die Überwachung müsse erkennbar sein und ein Betriebsreglement vorliegen. Sehr bürokratisch und kompliziert, denn: dieses Reglement ist nochmal etwas anderes als die von den Studierenden geschmähte Einverständniserklärung. Solch ein Video-Reglement gibt es an der HGK, bisher ist es allerdings nicht für jeden zugänglich. Die Uni Basel dagegen teilt ihres öffentlich.
«Leider reichten die anderen Massnahmen nicht aus, um die Straftaten zu verhindern.»HGK
Letzte Ausfahrt Überwachungskameras? Auf Nachfrage bestätigt die Baselbieter Polizei diverse Anzeigen wegen Diebstahl oder Sachbeschädigung auf dem Münchensteiner Campus. Ein Problem ist also da. Die Hochschule teilt mit, dass die HGK es mit Zugangskarten zum Öffnen der Türen sowie einem externen Wachdienst versucht habe. «Leider reichten diese Massnahmen nicht aus, um die Straftaten zu verhindern», so die Hochschule.
Too little, too late?
Vorwerfen lassen muss sich die HGK die gestückelte und Verwirrung stiftende Kommunikation – die erste Mail kam am 19. August. Knapp vier Wochen später folgte das Gespräch mit Lucien und Co. Und nochmal fünf Tage später kam die erklärende Mail. «Wir werden die Studierenden künftig vorzeitig kommunikativ einbeziehen», kommentiert die HGK die Kritik daran.
Konsequenzen für die Studierenden habe eine Nicht-Unterzeichnung im Übrigen nicht. Laut Hochschule sei es für sie schwieriger, studentische Arbeiten, darunter auch Kunstwerke, «medial zugänglich zu machen». Denn bei jeder*m Studierenden müsse dann geprüft werden, ob eine Einverständniserklärung vorliegt. Bloss weil die Studierenden die Unterschrift boykottieren, kommen die Kameras also nicht wieder weg. Denn: Sie wurden ja informiert, nur zu Beginn etwas dürftig. Der Drops ist gelutscht. Dass es kein milderes Mittel als Überwachungskameras gibt, dürften die Gegner*innen weiterhin anders sehen.
Video-Kommunikations-Chaos
- 19. August: Erste E-Mail mit der Info: Kameras kommen
- Semesterbeginn: Datenschutz-Einverständniserklärung wird verteilt, Protest regt sich
- 18. September: Gespräch zwischen Studierenden und Hochschulleitung
- Fünf Wochen nach erster Mail, am 23. September: HGK schickt Studierenden erklärende E-Mail zu Videoüberwachung (wie es im Reglement festgehalten ist)