Terangi Baumgartner, der Enkel aus Tahiti, kriegt endlich sein Dach
Die Baumgartnerhäuser prägen Basel und gehören zu den beliebtesten Adressen der Stadt. Warum weiss man so wenig über die, die sie bauen liessen? Wir haben einen Nachfahren des berühmten Bauherren getroffen. Das ist seine Geschichte.
Manchmal ist es bezeichnend, über was jemand als allererstes spricht, wenn alle Themen der Welt zur Verfügung stünden. Terangi Baumgarter, Enkel des berühmten Basler Bauherren und Spekulanten Wilhelm Emil Baumgartner, beginnt so:
«Was mich als Enkel immer verwundert hat, ist, dass man während der politisch höchst instabilen Phase des zweiten Weltkriegs in Basel überhaupt in diesem Umfang bauen konnte.»
Ein erster Hinweis auf das pragmatische Verhältnis des Terangi Baumgartner zum Familienerbe. Ein Erbe, das untrennbar mit der Geschichte der Stadt verbunden ist.
Da wollen alle wohnen: Baumgartnerhäuser
Baumgartnerhäuser kann man bis heute als das architektonische Rückgrat der Basler Quartiere bezeichnen. Zwischen 1926 und 1938 wurden 306 dieser Mehrfamilienhäuser aus dem Boden gestampft, lediglich vier wurden seither abgerissen. Ihre schlichten, leicht wiedererkennbaren Fassaden im Stil eines trockenen Neobarock finden sich im St. Johann, an der Elsässer-, Vogesen- oder Fatiostrasse, bei der Schützenmatte oder beim Landhof, kurz, sie sind überall und gehören zu den beliebtesten Adressen der Stadt.
Die Popularität der Häuser steht in eigenartigem Kontrast dazu, was man über die Baumgartners weiss. Wenig nämlich. Das Architekturmuseum hat den Häusern und ihren Urhebern eine Ausstellung gewidmet, aber das ist 20 Jahre her. Titel der Ausstellung: «Die Qualität des Mittelmasses.» Es gibt ein Buch mit Fokus auf die Architektur der Häuser, ein paar Zeitungsartikel. Das wars.
- Was macht die Baumgartnerhäuser so populär und was zeichnet sie aus? Hier steht's.
Wieviel ist übrig vom schillernden Pomp des Bau-Tycoons?
Umso aufgeregter waren wir bei Bajour, als wir in der Datenbank unserer «Wem gehört Basel?»-Recherche ein Ehepaar Baumgartner entdeckten, das offenbar im Besitz mehrerer Baumgartnerhäuser ist. Sollten das etwa Nachfahren sein, Erben des Wilhelm Emil Baumgartner?
Unsere Anfrage geht raus an den Mann des Eigentümer-Ehepaars Baumgartner, Terangi: Sind Sie ein Nachfahre? Antwort: Ja. Können wir uns treffen? Wollen Sie uns etwas über ihre Familiengeschichte erzählen? Wieviel ist übrig vom schillernden Pomp des Bau-Tycoons Baumgartner?
Die zweite Antwort kommt zögerlicher als das erste Ja. Über die Familie Baumgartner ist wie gesagt wenig bekannt. Die Baumgartners sind keine, wie man so sagt, Stadtoriginale. Am Name Baumgartner haftet nicht der distinguierte Glanz der Vischers, Oeris, Burckhardts, Sarasins. Es ist ein Anpackername geblieben. Ein Handwerkername.
Er gehöre nicht zu den Clubs, den Salons, den höheren Kreisen, wird Terangi Baumgartner später erzählen. Es gibt Gründe, warum das so ist. Nach kurzem Zögern und kritischen Nachfragen zum Sinn und Zweck dieses Treffens, sagt Terangi Baumgartner schliesslich zu.
Das hier ist seine Geschichte
Wir treffen uns an einem sonnigen Nachmittag im Februar vor der Häuserzeile an der Pruntrutermatte. Terangi Baumgartner hält einen kurzen Schwatz mit einer Mieterin, es wirkt freundschaftlich, vertraut. Für das Formale ist eine Verwaltung zuständig, aber er, der Besitzer, kennt seine Mieter*innen und die scheinen den Patron zu schätzen. Ein Familienvater mit seinem Kind bleibt ebenfalls stehen, grüsst, tauscht ein paar Floskeln. Es steckt etwas höflich-Respektvolles in diesen Begegnungen.
Wer wohnt denn hier so, wollen wir wissen und natürlich erspürt der Immobilienbesitzer Baumgartner sofort den Subtext dieser Frage: Wer kann sich das leisten?
«Familien, Paare, Student*innen», sagt Baumgartner. «Eine Dreizimmerwohnung da an der Ecke kostet 1800 Franken plus Nebenkosten, also knapp 2000 Franken. Für 85 Quadratmeter. «Durchaus kein Wucherpreis, würde ich meinen.» Tatsächlich bezahlen die Mieter*innen teilweise noch tiefere Mietpreise, wie wir auf Nachfrage erfahren. Viele wohnen einfach schon sehr lange da.
«In meinen Häusern wohnt die Mittelschicht.»
Normale Leute also. Für solche baute der Grossvater, der für seinen Stil auch kritisiert wurde. Er baue Mietskasernen, hiess es damals. Der schnörkellose Stil hatte auch mit dem Zielpublikum zu tun. Und so sagt der Enkel auch heute noch, was zu stimmen scheint: «In meinen Häusern wohnt die Mittelschicht.»
Wir setzen uns auf eine Bank auf dem Spielplatz vor dem Haus, der Wind streicht durch die kahlen Äste der Platanen. Terangi Baumgartner will sich lieber nicht fotografieren lassen, eine Beschreibung muss reichen. Er trägt schwarze Schuhe einer unbekannten Marke. Jeans. Ein kariertes Hemd, darüber eine Art Jacket aus grober Wolle. Auf den Messingknöpfen des Jackets steht «Tirol». An der linken Hand trägt Terangi Baumgartner einen Siegelring, auf der Nase eine unauffällige Brille. Kräftige Augenbrauen, graue Haare, ein markantes Gesicht. Ihn umgibt eine fast protestantische Aura: Bescheidenheit, Fleiss.
Seinen Grossvater, den grossen Wilhelm Emil Baumgartner, hat Terangi nicht kennengelernt. Er starb 1942. Der Sohn und die Tochter teilten das Erbe untereinander auf. Und das war, entgegen der möglichen Annahme, der Bau-Tycoon müsse die halbe Stadt besessen haben, gar nicht so gross: Lediglich 30 Häuser waren noch im Besitz des Bauherrn. Von 306. Die Autor*innen des Buchs «Die Baumgartnerhäuser 1926 – 1938» beziffern den Inventarwert des Erbes von Wilhelm Emil Baumgartner vor über 10 Jahren auf 2,4 Millionen Franken. Was sehr moderat geschätzt daherkommt.
Zur Orientierung: Ein Baumgartnerhaus kostete damals 84’000 Franken. Heute gehen dafür Millionen über den Tresen, wie eine Verwaltungsstelle für Baumgartner Immobilien bestätigt. Aber selbst mit 2,4 Millionen zählte Baumgartner zum exquisiten Kreis von 148 Basler Millionär*innen.
Das Baumgartner-System
Warum Emil Baumgartner nur relativ wenige Häuser selber besass, lässt sich anhand seines Systems erklären: Er stammte nicht aus reichen Verhältnissen. Die Eltern waren Beizer, der Vater arbeitete ausserdem im Schlachthof. Aber Baumgartner war gerissen. Er lieh sich Geld von Verwandten, Freunden, der Bank – und kaufte Land. Die politische Grosswetterlage war zwar delikat, am Horizont dräute ein Weltkrieg. Aber der Wohnraum war knapp und Bauland war damals in Basel leicht zu haben. Die Stadt liess zur Linderung der Wohnungsnot rund um den äusseren Ring neue Wohngebiete erschliessen.
Baumgartner kaufte. Kaufte halbe Landstriche am sogenannten zweiten Ring, wo heute die Quartiere St. Johann, Wettstein, Gundeli liegen. Er besorgte das Land, aber die Entwürfe stammten von den Architekten Paul Hosch und Hans Hindermann. Die Methode bewährte sich: Riskieren, investieren, selber bauen, verkaufen.
Um sich die teuren Bauarbeiten leisten zu können, bot er den Arbeiter*innen der Baubetriebe an, Teile der gebauten Häuser zum Vorzugspreis kaufen zu können. Die schlugen ein. Ein Teil der Häuser ging also direkt in den Besitz der Arbeiter*innen, ein weiterer an Käufer*innen der gehobenen Mittelschicht: Kaufleute, Vertreter*innen, Chemiker, Ingenieure. Nicht selten waren es Ehepaare, die beide verdienten. Einen Bruchteil der Häuser behielt Baumgartner selbst, am Schluss waren es noch zirka 30, erzählt Terangi Baumgartner.
Die Karte, generiert mit den Daten der «Wem gehört Basel?»-Recherche zeigt, wo überall in der Stadt Baumgartnerhäuser stehen:
Ein Blick in die Datenbank von Bajour zeigt, was mit den 30 verblieben Häusern im Baumgartner-Familienbesitz passiert ist. Der eine Familienzweig, Terangis Tante, hatte die eine Hälfte der Immobilien geerbt und einen Herrn Stricker geheiratet. Der Enkel, Philip Stricker, führt heute mit zwei Partnern eine Beratungsplattform zur Sanierung und Pflege von Baumgartner Immobilien, wie eine kurze Recherche zeigt. Der andere Familienzweig, der von Terangi, erbte die andere Hälfte der Häuser.
Von Basel nach Tahiti – und zurück
Terangi Baumgartner selbst hat eine höchst interessante Biografie. Der Vater Terangis, Emil «Bolle» Baumgartner, reiste viel. «Weil es nach dem Krieg möglich wurde die Welt zu bereisen und seinen Horizont zu erweitern», sagt Terangi Baumgartner. Der Wissensdurst war das eine.
Auf der anderen Seite konnte diese Weltsehnsucht zu einer seltsamen Art der Selbstdarstellung führen. Eine Selbstdarstellung, die durch die Aneignung der Ferne im Hier, in Basel, funktionierte. Terangi erzählt von einem guten Freund seines Vaters, Paul Seiler, der in der Steinenvorstadt das Café Tropical betrieb. «Die Tischplatten waren wie rechteckige Vivarien aus zentimeterdickem Glas gefertigt, in denen Spinnen und Insekten gehalten wurden», erinnert er sich.
Rückblickend lässt sich über sowas natürlich leicht spotten, aber in einer Zeit, in der noch keine Generation Easyjet in der Steinenvorstadt flanierte und nicht jede Destination der Welt gefühlt um die Ecke lag, in dieser Zeit stand eine Glasplatte mit Spinnen im Café Tropical für Weltgewandtheit und wirtschaftliche Potenz.
Heute, im Jahr 2021 würde dieses Stück Dekor womöglich mit dem Debattenhammer der Cultural Approriation zerschmettert, noch bevor im Café Tropical der erste Drink über den Tresen geht. Basel, die Welt, hat sich gewandelt.
Was hat nun aber diese Glasplatte mit Terangi Baumgartner zu tun? Nichts. Aber das, wofür sie steht, hat sein Leben in die entsprechenden Bahnen gelenkt. Das frühere Fernweh einer aufstrebenden Wirtschaftselite ist ihm, diesem bescheidenen Mann mit der grauen Wolljacke, gewissermassen in den Pass hineingeschrieben.
Terangi Baumgartner wurde in Tahiti geboren, weil der Vater gerne reiste und in Tahiti seine Frau, Terangis Mutter, kennenlernte. «Ich wurde von den Kindern nicht als Weisser, sondern als Mischling gesehen und war vollkommen akzeptiert. Wir spielten zwischen den Hütten glücklich im Müll», erzählt Terangi einigermassen ungerührt. Der Vater hatte weniger Kontakt zu der lokalen Bevölkerung, er verkehrte in Kreisen der französischen Kolonialherren. Die Insel im pazifischen Ozean gehört noch heute zu Französisch-Polynesien und ist der EU angegliedert.
Das süsse Leben dauerte ein paar Jahre. Als Terangi das siebte Lebensjahr erreichte, sollte er was Rechtes lernen, fand der Vater. Französisch-Polynesien wurde den erzieherischen Ansprüchen nicht mehr gerecht. Der Umzug nach Basel wurde beschlossen und Terangi, zum ersten Mal in der Schweiz, fiel in der Schule aus allen Wolken. Der Enkel eines Basler Geschlechts sprach nur das Französisch der Kolonie und war mit den Anforderungen dieser neuen Welt komplett überfordert. Er wurde gehänselt, rebellierte und landete wenig später in einem Internat in der Ostschweiz. Hallo Heimat.
Dass Terangi Baumgartner nicht zur Basler High Society gehört, hat wahrscheinlich auch mit diesem holprigen Start zu tun. Als er 24 Jahre alt war, stirbt der Vater. «Als er nicht mehr da war, vermisste ich ihn», sagt Terangi auf der Parkbank in der Pruntrutermatte. Mehr mag er zu diesem Verhältnis nicht sagen.
Ein Vermächtnis, neue Pläne
Ohnehin reicht es dem Mann langsam mit dem Blick ins Familiengedächtnis, er hat schliesslich auch etwas zu deponieren. Baumgartner holt jetzt Pläne aus seiner Tasche, einer grösser als der andere. Das Papier knistert im Wind. «Was wir hier sehen, sind diese Häuser da», sagt Baumgartner und zeigt auf die Originale über der Strasse. «Und hiermit», sein Finger zeigt auf die Skizzen eines ausgebauten Dachstocks, «könnte ich diese Immobilien zukunftstauglich machen.»
Und mit dem Themenumschwung, von der Familiengeschichte hinein ins Jetzt und in die verhinderten Ausbaupläne des Terangi Baumgartner, fährt plötzlich eine neue Leidenschaft in dieses bis dahin eher protokollarische Gespräch. Long Story short: Baumgartner will die Dachzimmer der Häuser samt Balkon und neuen Fenstern zu Lofts ausbauen – aber der Denkmalschutz stellt sich quer.
Mit einer Zonenplanrevision von 2014 wurden sämtliche Baumgartnerhäuser der Schutzzone zugewiesen. Der historische Charakter soll erhalten bleiben, die Auflagen sind strikt. So sollen Fassaden beispielsweise nur noch gereinigt, nicht mehr gestrichen werden. Und sollte unbedingt neu gestrichen werden müssen, müssen die historisch originalen Farben beige oder oliv verwendet werden.
Das Familienerbe, so sieht das Baumgartner, steht heute in einer Vitrine. Es atmet nicht mehr, es verwaltet Geschichte.
«Ich bin ja auch der Meinung, dass die Häuser historischen Wert haben. Aber wem nützt das, wenn bewohnbare Nutzfläche leersteht?» Nach langem, zähem Ringen konnte ein architektonischer Kompromiss ausgehandelt werden, der die Form der Fassade zur Vorderseite hin nicht wesentlich verändert. Und der dank der geplanten Balkonaufbauten auf der Rückseite attraktive Wohnungen zulässt. Vier neue Einheiten entstehen. Geplanter Mietpreis für eines der Lofts auf 123 Quadratmetern: 2200 Franken.
Natürlich gibt es jetzt noch eine Hausführung vom Besitzer persönlich, Treppe hoch, Treppe runter, den Dachstock, bitte sehr, hier das charakteristische Treppenhaus, da die abgehenden Haustüren mit Kassetten aus Glas. Nach dieser Tour d’Horizon durch ein Stück Basler DNA und hundert Jahre nach dem Bau der ersten Baumgartnerhäuser stehen wir wieder auf der Strasse im Gundeli.
Früher ging es an dieser Stelle um das grosse Ganze. Gerissene Einzelmasken und Megamacher wie Baumgartner Seniorvermochten sich im Handstreich brache Landstriche anzueignen und ganze Quartiere aus dem Boden zu stampfen. Heute wird sauer und zäh um den Verlauf von Dachkanten gestritten. Aber eben: Die Zeit hat sich geändert.
Ob er jemals hätte arbeiten müssen, wollen wir noch wissen, oder ob Terangi Baumgartner auch einfach ein schönes Leben als Erbe und Privatier hätte führen können.
Er hätte nicht arbeiten müssen, sagt er. Geld war genug da. Aber das läge nicht in seinem Naturell. Er wollte was mit sich anfangen und wurde Lehrer für Kinder in schwierigen Verhältnissen. Seit drei Jahren ist er pensioniert. Er hat jetzt mehr Zeit für Korrespondenzen mit dem Denkmalschutz.
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Seitenblick: Die andere Hälfte des Familienerbes Baumgarnter ging, wie erwähnt, in den Familienzweig mit Namen Stricker über.
Der Enkel von Heidi Baumgartner und Ernst Stricker, Philip Stricker, unterhält heute mit zwei Partnern die Beratungsplattform W.E.Baumgartner Immobilien, die sich auf den Umbau und die Verwaltung von Baumgartnerhäuser spezialisiert hat. Der Ausbau des Dachstocks gehört bei vielen Besitzer*innen von Baumgartnerhäusern zu den dringendsten Anliegen, erfahren wir dort. Und: Vermieter*innen von Baumgartnerhäuser seien in den meisten Fällen «keine Renditegeier», sagt Moritz Schweighauser, Architekt und einer der Partner von Philip Stricker.
Punktuell sei es zu Zusammenarbeiten mit Terangi Baumgartner gekommen. In der Regel bewirtschaften die Familienzweige das Erbe aber getrennt.