Verletzlichkeit ist kein Requisit
Am Theater Basel sollen für eine Inszenierung Laiendarsteller*innen, die an Anorexie leiden, auf der Bühne stehen. Für die Betroffenen kann das die Krankheit noch verschlimmern, kommentiert Ambra Bianchi. Das Theater verkenne, was Magersucht bedeutet.
Für seine Inszenierung der Geschichte von Jeanne d’Arc sucht das Theater Basel Laiendarsteller*innen, die an Anorexie leiden. Ein Aufruf, der viele Fragen aufwirft, da hier kranke Menschen gesucht werden, die im Sinne der Regisseurin Lies Pauwels performen. Ihr Leiden ist Teil der Show.
Pauwels spricht von einer «faszinierenden Begegnung» zwischen der Figur der Jeanne d’Arc, die aus religiöser Überzeugung und als Streikform das Essen verweigerte, und der Magersucht. Wer mit Betroffenen zu tun hat, weiss, wie gnadenlos Anorexie jede Art von Bestätigung in Treibstoff verwandelt: Solche Vergleiche sind brandgefährlich. Denn was für Aussenstehende wie eiserne Disziplin wirkt, ist von innen ein zermürbender, ewiger Teufelskreis der Selbstgeisselung. Das Theater Basel und Pauwels verkennen schlichtweg, was diese Krankheit für Betroffene bedeutet. Da hilft auch kein Brief der Regisseurin, um sich zu erklären oder ein Infoabend mit Fachpersonen und Erkrankten.
Wie lässt sich ausschliessen, dass die, die das Casting nicht bestehen, dies nicht auf ihren Körper zurückmünzen und durch diese Ablehnung noch weiter in ihre Krankheit getrieben werden?
Noch toxischer ist die Dynamik, die das Casting entfaltet. Wer erfolgreich gecastet wird, ist genug krank für die visuellen Zwecke der Aufführung, wird also durch die Krankheit qualifiziert, auf der Bühne zu stehen. Eine Krankheit, an welcher bis zu zehn Prozent aller Diagnostizierten sterben, notabene. Und wie lässt sich ausschliessen, dass die, die das Casting nicht bestehen, dies nicht auf ihren Körper zurückmünzen und durch diese Ablehnung noch weiter in ihre Krankheit getrieben werden? Solch ein Stempel frisst sich tief in das Selbstbild von bereits verletzlichen Essgestörten.
Die Aufführungen werden von November bis Mai laufen, das heisst: Wer heute krank genug ist, um auf die Bühne zu dürfen, muss es wohl auch in sieben Monaten noch sein. Die Gecasteten könnten einen Druck verspüren, weil eine Genesung möglicherweise das Engagement kostet. In der BaZ kommen verschiedene Fachpersonen zu Wort, die dies ebenso kritisch sehen. Gerade bei jungen Patient*innen sei es enorm wichtig, eine Chronifizierung der Krankheit zu verhindern, so Anja Müller, Basler Jugendpsychiaterin. Eine mehrmonatige Einbindung in ein Theaterstück, bei dem ein abgemagertes Aussehen gehalten werden muss, sei kontraproduktiv und schade dem Heilungsprozess.
Pauwels schreibt in ihrem Brief, sie wolle «Verletzlichkeit integrieren, nicht ausbeuten». Doch Verletzlichkeit ist kein Requisit. Auf einer Bühne wird sie in diesem Kontext zwangsläufig zur Schau gestellt, als ästhetischer Effekt für die Aussenwelt. Mit Anorexie setzt sich das Stück nicht auseinander. So wird jeder Applaus zum Beweis, dass die Magersucht, die die Köpfe und Sinneswelt der Betroffenen kontrolliert, recht hat.
Das Theater Basel inszeniert mit «Jeanne Dark» keine Heilige, sondern eine fatale Botschaft: Hungern kann dich auf die Bühne bringen, Hungern kann dir Beifall sichern.
Theater soll und darf provozieren, aber nicht um den Preis. Die Kunstfreiheit erlebt dort ihre Grenze, wo die körperliche Unversehrtheit der Spielenden gefährdet wird. Und wenn Pauwels wirklich verstehen möchte, was es bedeutet, «süchtig danach zu sein, nicht zu essen», würde ich ihr ans Herz legen, den Austausch mit Fachpersonal zu suchen – Ärzt*innen, Pflegefachpersonen, Psychotherapeut*innen. Menschen, die täglich erleben, wie zerstörerisch diese Krankheit arbeitet. Ohne dass man hierfür vulnerable Menschen auf eine Bühne zieht, wo ihre Genesung gefährdet und ihr Wohlbefinden nicht gewährleistet werden kann.
Das Theater Basel inszeniert mit «Jeanne Dark» keine Heilige, sondern eine fatale Botschaft: Hungern kann dich auf die Bühne bringen, Hungern kann dir Beifall sichern.
Transparenzhinweis: In einer früheren Version dieses Kommentars stand, dass das Theater Basel explizit nach Personen zwischen 16 - 30 Jahren sucht. Dies wurde nach einer Richtigstellung der Schauspieldirektion Theater Basel Anja Dirks angepasst. Dirks weist ausserdem darauf hin, dass sie von Beginn an Kontakt mit Fachpersonen hatten.
Wenn du oder eine dir nahestehende Person von einer Essstörung betroffen ist, findest du hier Unterstützung:
- Akutambulanz UPK
- Pro Juventute (Tipps für Eltern)
- Dargebotene Hand (Tel.: 143)