Seien Sie gesegnet, Frau Hungerbühler

Sie nannte den Papst Macho, veranstaltete Walpurgisnacht- und Mensch-Tier-Segensfeiern und prägte die Offene Kirche Elisabethen mit. Jetzt tritt Theologin Monika Hungerbühler ab.

Monika Hungerbühler
(Bild: Oliver Braams)

Monika Hungerbühler ist vieles. Aber eins ist sie nicht: Eine Theologin wie andere. Und dementsprechend ist es auch ihre Kirche nicht: In der Offenen Kirche Elisabethen ist möglich, was konservativen Gottesmenschen vorkommen mag wie die Vorhölle: Walpurgisnacht-, Mensch-Tier-Segensfeiern, Barfusspartys, Segnungen von homosexuellen Menschen. 

Seit 1994 betreibt der ökumenische Verein Offene Kirche Elisabethen (OKE) die Kirche als Werktagskirche. Hungerbühler trat ihre Stelle 2009 an. Dass die Elisabethenkirche heute ist, was sie ist, hat sehr viel mit der Katholikin Monika Hungerbühler zu tun. Zusammen mit dem protestantischen Theologen Frank Lorenz hat sie Jahre lang einen ganz speziellen Ort des Glaubens geschaffen. Doch jetzt ist Schluss, nach über 12 Jahren geht die heute 62-jährige in den Ruhestand. 

Warum? 

«Ich habe zu viele Personen zwischen sechzig und siebzig beerdigt, die aus heiterem Himmel krank geworden und gestorben sind.» Hungerbühler empfängt uns in ihrem Büro im Pfarrhaus an der Elisabethenstrasse. Ihr Haarschnitt kommt genauso keck rüber wie ihre lila Brille. Ganz plötzlich komme ihr Rückzug aber nicht. Vor drei Jahren habe sie bereits den Entschluss dazu gefasst. Die Mutter zweier erwachsener Kinder zeigt sich verletzlich: «Hier ist man halt mit Haut und Haaren dabei. Und das zehrt.» Jetzt freue sich über alles, was sie noch erleben und mit gesunden Sinnen wahrnehmen dürfe.

Bemüht um Gleichstellung

Hungerbühler wohnt mit Mann, Neffe, Schwester, Schwager, einem Hund, zwei Katzen und einem Hasen in einer Familien-WG in Basel. Sie war mit ihrem reformierten Kollegen in der OKE als katholische Seelsorgerin neben dem kulturellen und sozialen Bereich auch für den spirituellen Teil zuständig. «Das geht von Handauflegen über Tai-Chi bis zu Gottesdiensten. Wir haben Regenbogengottesdienste, feministisch-theologische Feiern und führen auch Mensch-Tier-Segensfeiern durch.» Das macht das Konzept einer offenen Kirche greifbar.

«Glaube und Politik schliessen sich nicht aus.»
Theologin Monika Hungerbühler

Die Offenheit wirkte in den 1990er-Jahren noch etwas radikal auf die Basler Bevölkerung. Heute ist die OKE aus dem kulturellen Leben der Stadt nicht mehr wegzudenken.

Bekannt ist Hungerbühler auch für ihre politische Haltung: Sie ist Feministin und kritisiert offen die machoiden Strukturen der römisch-katholischen Kirche. An anderer Stelle sagte sie mal, der Papst sei ein Macho und sie habe zuweilen aufgrund der trägen, patriarchalen Strukturen daran gedacht, aus der Kirche auszutreten oder zu konvertieren. Jedenfalls hat sie die feministisch-theologische Zeitschrift FAMA mitgegründet. 

Was treibt Monika Hungerbühler an? Bereits als Kind haben Fragen der Gerechtigkeit sie beschäftigt. Insbesondere die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen. Als Jugendliche beschliesst sie, sich zu engagieren. «Glaube und Politik schliessen sich nicht aus», ist sie überzeugt. Sie war lange Jahre Mitglied bei der SP und jetzt bei den Grünen. Das prägt auch die Kirche: Jüngst hängten Transparente für die Konzern- und die Primateninitiative über dem Eingang der Kirche.

Monika Hungerbühlker und Frank Lorenz
Die Offene Kirche Elisabethen wurde mit dem «Swiss LGBTI-Label» ausgezeichnet. Sie ist die erste kirchliche Institution der Schweiz, die für die Inklusion von sexuellen Minder­heiten ausgezeichnet wird. (Bild: Facebook)

Dass das nicht allen passt, ist klar. Auch das Fest der Walpurgisnacht nicht, einige Kreise der reformierten Kirche haben Mühe damit. Monika Hungerbühler scheint gut mit Widerstand leben zu können. 

Die Abteilung Forschung und Entwicklung

Die Offene Kirche Elisabethen ist halt ein bisschen anders und soll es auch sein: «Wir probieren, die Kirche nahbarer zu machen. Auch für Menschen, die vielleicht einen antiklerikalen Reflex haben und finden, die Kirche sei nur Missbrauch und Machtgebaren», sagt Hungerbühler. 

Das ermögliche Menschen ausserhalb der Landeskirchen, mit der Kirche in Verbindung zu bleiben. Und zwar, in dem die Elisabethenkirche zeige, was Kirche an Schönem und Gutem zu bieten habe: «Wir können hier effektiv Sachen ausprobieren», sagt Hungerbühler. Sie nennt ihre Kirche so etwas wie «die Abteilung Forschung und Entwicklung» innerhalb der Kirchen. «Wir versuchen, unser Engagement, unsere Überzeugung und unseren Glauben auf eine neue Art und Weise zu leben und dies den Menschen der Stadt zu vermitteln.»

Möglich machen das Spenden, Kollekten und Vermietungen. Die Elisabethen-Kirche ist finanziell weitgehend selbstständig und hat keine Gemeinde.

Ausgleich

Aber, und das scheint Hungerbühler wichtig zu sein: Die Seelsorgerin arbeitet mit der offiziellen Sendung des Bischofs des Bistum Basel, der so genannten Missio. Es sei bemerkenswert, dass sie während der 35 Jahren Tätigkeit als feministische Theologin immer ohne Einschränkung durch den Bischof habe arbeiten können. Allerdings habe sie auch nicht die Konfrontation gesucht.

Stattdessen legt die Frau, die um die Jahrtausendwende das Wort zum Sonntag im Fernsehen SRF gesprochen hatte, Wert auf ein konstruktives Miteinander. Gerade auch in Bezug auf ihre politischen Positionen habe sie stets den Ausgleich mit ihren Kritiker*innen gesucht und auch oft gefunden. Und es gehe ihr um female empowerment und Gendergerechtigkeit. Beispielsweise darum, das Bild von Gott um eine weibliche Dimension zu erweitern. Dass in der römisch-katholischen Kirche von Genderismus gesprochen wird, empört sie.

«Kinder und Jugendliche haben ein feines Gespür dafür, was stimmig und was ungerecht ist.»
Theologin Monika Hungerbühler

Den Diskurs um sexuelle Identitäten versteht Monika Hungerbühler vor allem als Lernprozess: «Wir müssen bei uns neu lernen, wie wir non-binäre Personen ansprechen sollen. Es verhält sich hier doch genau wie bei der Rede von Gott: Weder männlich noch weiblich und immer grösser und mehr und anders. Und vielleicht weder hier noch dort zugehörig», sagt sie.

Spiritualität als Fenster zur Gesellschaft

Woher nimmt Hungerbühler dieses Gespür für gesellschaftliche Herausforderungen? Das mag damit zusammenhängen, dass sie bereits in den 80er-Jahren als Leiterin der Laufentaler Jugendseelsorge mit Jugendlichen zusammenarbeitete. Sie sagt: «Kinder und Jugendliche haben ein feines Gespür dafür, was stimmig und was ungerecht ist.»

Dank jahrzehntelanger Seelsorge und diversen Gottesdiensten ist sie am Puls der Zeit geblieben. «All das hat mir ermöglicht, sorgfältig unter die Oberfläche der Gesellschaft zu blicken», sagt sie. Immer frage sie sich, was freut und stärkt die Leute, was schmerzt sie? «Dort Trost zu spenden, das ist meine Aufgabe», sagt die Seelsorgerin kurz und knapp.

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Wie sehr ihr die Arbeit emotional zusetzt, ist ihr an der kürzlich durchgeführten Gedenkfeier für alle verstorbenen Kinder bewusst geworden. Jedes Jahr kommen viele junge Menschen, die ein Kind verloren haben. Und mit ihnen die Mädchen und Knaben, deren Geschwister gestorben sind. Hungerbühler versucht jeweils gar nicht erst, irgendetwas zu erklären. «Ich kann nur ein Stück Licht geben, zu einem Trauerritual einladen oder ein wenig Trost spenden. Am Ende bin ich dann ein See voller Tränen und fühle mich eine Tonne schwer.»

Seelsorge im Tabubereich

Jetzt geht Hungerbühler. Doch die Elisabethenkirche bleibt. Und sie wäre ja keine offene Kirche, würde sie nicht weiterhin dorthin gehen, wo es schmerzt. Das dürfte unter Hungerbühlers Nachfolgerin gleich bleiben: Sie heisst Anne Burgmer und hat in den Jahren 2016 bis 2018 die an Sexarbeitende gerichtete Seelsorge im Tabubereich der römisch-katholischen Kirchen beider Basel aufgebaut. Im Oktober haben Vertreter*innen der der Offenen Kirche Elisabethen und der römisch-katholischen Kirche sie zur Co-Leiterin von Frank Lorenz gewählt

Hungerbühler ist froh und traurig zugleich über ihren Abschied. Vermissen wird sie vor allem ihren Kollegen Frank und ihre Administrationsfrau Sabrina, alle, die im Büro und Kirche als Angestellte und Freiwillige arbeiten. Menschen, persönliche Kontakte, sind das A und O für die Theologin. Und das ist es auch, was sie sich für ihren ersten Tag als Pensionierte vornimmt: «Dann fahre ich mit dem Zug nach Nürnberg einen früheren Kollegen besuchen.» Denn Freunde und Freundinnen ausserhalb eines gewissen Radius konnte sie die letzten Jahre einfach viel zu wenig besuchen.

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