Muckis gegen Strommangel
E-Bikes fressen Strom und der ist bekanntlich knapp. Muss ich mich jetzt schämen, wenn ich mit surrendem Motor durch die Stadt cruise?
Die Energiekrise ist das Thema der Stunde, die Kilowattstunde Strom kostet in Basel zurzeit 32 Rappen für einen Single-Haushalt. Viele Schaufensterbeleuchtungen und Parkhäuser sind deshalb derzeit dunkel. Die Unternehmen, so das Regionaljournal, wollen Strom sparen und auch mit gutem Beispiel vorangehen.
Wenn man sich also so umschaut in der dunklen Stadt und der teure Strom in aller Munde ist – traut man sich dann überhaupt noch, guten Gewissens aufs E-Velo zu steigen? Das braucht schliesslich Strom und zwar gar nicht mal so wenig. Nicht, dass es am Ende wieder auf Twitter so oder so ähnlich heisst: «Die heuchlerischen Linken sind zu faul, in die Pedale zu treten und machen mit ihren E-Velos den Strom teuer!» Kommt nach der Flugscham jetzt die E-Bike-Scham?
Zunächst mal die Fakten: E-Bikes erleben seit Jahren einen Boom, insbesondere seit Corona. Laut SRF war 2021 jedes dritte verkaufte Velo in der Schweiz ein E-Bike. In der Regel fassen die Akkus dieser E-Bikes 800 Wattstunden, damit kann man mittlerweile 120 Kilometer fahren. Bei den aktuellen Marktpreisen kostet eine Volllaufladung also 25 Rappen.
Das klingt erstmal nicht nach viel. Aber eine E-Bike-Ladung verbraucht immerhin so viel Strom wie ein ganzer Waschgang oder acht Stunden Fernsehen am Stück – in der Zeit kann man zwei von drei Herr-der-Ringe-Filme schauen. Oder man kann von derselben Energie 80 mal toasten und hat dann halt 160 getoastete Toastscheiben, wenn man das möchte.
Ist das E-Bike als Stromfresser also das falsche Fahrzeug in diesen Zeiten? Nein, findet Beat Hintermann. Der Finanzwissenschaftler untersucht an der Uni Basel, inwiefern E-Bikes die Verkehrsemissionen senken könnten. Er erklärt, dass man als Verbraucher*in einen Einfluss darauf hat, ob die Batterieladung viel oder wenig zur Stromknappheit beiträgt – indem man nicht zur «Stosszeit» lädt.
Am frühen Abend kommen alle nach Hause, kochen, schalten den Fernseher ein. All das braucht Strom und grade wenn’s im Winter früh dunkel wird und die Solaranlagen keinen Strom mehr liefern, trägt jeglich weiterer Verbrauch zur Knappheit bei.
Das Problem laut Hintermann: «Eigentlich brauchen wir genau solche an die Gesamtstromnutzung angepassten Preisdifferenzen, sogenanntes Real-time Pricing, um die Stromknappheit in den Griff zu kriegen – denn eigentlich haben wir sogar im Winter einen Stromüberschuss, einfach nicht abends und nachts», erklärt der Finanzwissenschaftler. Solange es ein solches Modell nicht gebe, müsse an die Eigenverantwortung bei der Stromnutzung appelliert werden.
Doch liegt das Problem überhaupt bei den Privatnutzer*innen von E-Bikes? Oder steht der Stromkiller auf der Strasse, an jedem Bushäuschen und Bahnhof – in Form der Sharing-Angeboten für E-Bikes, aber auch für E-Scooter?
Ein Beispiel: «Pick-e-Bike» vermietet in der Region Basel laut eigenen Angaben 500 E-Bikes. Ein E-Bike muss gemäss Geschäftsführer Roger Saladin einmal pro Woche geladen werden. Die gesamte Flotte aufzuladen, verbraucht also 421 Kilowattstunden Strom pro Woche. Zwar werden die E-Bikes nicht alle gleichzeitig aufgeladen, dennoch übersteigt der Stromverbrauch den Jahresverbrauch eines alten, ineffizienten Kühlschranks.
Trotzdem findet Saladin, müssten die E-Bikes nicht einfach stehenbleiben. Die Sharing-Angebote seien eine Ergänzung zum öffentlichen Verkehr, kommen da hin, wo Busse und Züge nicht hinkommen. Auch Beat Hintermann findet, eine Fahrt mit dem E-Bike spare sogar Energie, wenn damit zum Beispiel eine Autofahrt ersetzt wird.
Werden E-Scooter jetzt teurer?
Doch gerade für Sharing-Anbieter*innen werden die hohen Strompreise zum Problem, weil sie ihre E-Bikes und -Scooter ständig laden müssen. Zwar werden die Flotten im Winter eh reduziert, weil das Angebot in der kalten Jahreszeit nicht so rege genutzt wird wie im Sommer. Dass mit den hohen Strompreisen auch die Nutzungsgebühren steigen, ist trotzdem nicht unwahrscheinlich.
«Das Thema wird derzeit bei uns diskutiert», sagt Roger Saladin. Nicht nur bei «Pick-e-Bike» beschäftigt diese Frage. Bei «Go Green City», die in Basel 200 giftgrüne Leichtmotorfahrräder vermieten, will man bis zum kommenden Jahr warten, um die Marktpreisentwicklungen im Auge zu behalten. Selbst für die zehn städtischen E-Bikes, die Basel Tourismus beim Bahnhof SBB vermietet, ist eine Preiserhöhung nicht ausgeschlossen.
Ähnliches kriegt man auch von den zahlreichen E-Scooter-Anbieter*innen zu hören, die einfach per App gebucht werden können. Unternehmen wie «Tier», «Bird», «Lime» und «Voi» sind in vielen Städten der Welt anzutreffen, in Basel wird deren Flotte auf 200 Fahrzeuge begrenzt. Sie alle versuchen, eine Preiserhöhung zu vermeiden, auch, um im Vergleich zur Konkurrenz attraktiv zu bleiben.
«Das gute alte Velo wird neu gefragt sein»
Nur bei «Lime» heisst es, dass die Preise definitiv nicht steigen werden. Pressesprecherin Sarah Schweiger sagt: «Die aktuelle weltpolitische Lage ist sehr bedauerlich für alle Menschen, die unter steigenden Energiepreisen und der hohen Inflation leiden. Daher wollen wir gerade jetzt eine saubere und kostengünstige Alternative in den Städten zum privaten Auto bieten.»
Einen Ausweg aus der grossen Preisfrage weiss letztlich «Dr. V Love». Der «Velosoph» ist quasi der Dr. Sommer des Schweizerischen Velojournals. Sein Rat: «Es ist ganz einfach – das buchstäblich gute alte Velo wird neu gefragt sein. (...) Strom für die Beleuchtung produziert man quasi energieautark via Dynamo. Und auch treten tun Sie selbst, ganz ohne Motorunterstützung – vielleicht erinnern Sie sich. Was den angenehmen Nebeneffekt hat, dass Sie auch winters schön warm haben.»
In diesem Sinne: Vielleicht müssen wir uns wieder an Muskelkater gewöhnen.
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