«Wenn man ein Megafon in der Hand hat, muss man laut werden»

Der Basler SP-Doyen Rudolf Rechsteiner setzt sich für ein sicheres Velonetz in Basel ein. Wie immer, wenn er sich für etwas engagiert, tut er dies mit Herzblut. Und einer gewissen Verbissenheit.

Rudolf Rechsteiner
Rudolf Rechsteiner findet: «Die Verwaltung macht, was sie will.» (Bild: Valerie Zaslawski)

Er gilt als der Sozial- und Energiepolitiker schlechthin: Rudolf Rechsteiner, das Basler SP-Urgestein. Seine Mitstreiter*innen und Freund*innen nennen ihn auch liebevoll «dä Ruedi». Nachdem es eine Zeit lang ruhiger geworden ist um den mittlerweile 67-jährigen alt National- und alt Grossrat, hat man seinen Namen in Verbindung mit der Velo-Initiative nun wieder häufiger in den Medien gelesen. 

An diesem sonnigen Frühlingstag Ende April stellt der Mit-Initiant der Vorlage, über welche am 18. Mai abgestimmt wird, vor dem Beschle an der Clarastrasse sein Fahrrad ab. Quasi noch mit dem Helm auf dem Kopf betritt er das Café. Er bestellt – ohne Helm – einen frischen Orangensaft und beginnt zu argumentieren: «Die Verwaltung macht, was sie will.» Und: «Die Parkplatzfrage ist eine Krankheit dieser Stadt.»

Mit der Initiative möchte Rechsteiner in Basel ein sicheres Velonetz schaffen, es ist «eine Herzensangelegenheit» von ihm, der eine eigene Beratungsfirma betreibt, seit 16 Jahren im Verwaltungsrat der IWB sitzt sowie Präsident des Stiftungsrats der Ethos Stiftung ist. Der tödliche Unfall seines Freundes, des Umweltaktivisten Martin Vosseler an der Austrasse im Oktober 2019, war der Auslöser für sein verkehrspolitisches Engagement. Rechsteiner findet: «Es braucht nun endlich verbindliche Spielregeln und kein Stückwerk mehr.» 

Velorouten Komitee Pro
Pro

Im Gastbeitrag erklären Doris Hunziker und Martin Lüchinger, Mitglieder im Initiativkomitee «Sichere Velorouten für Basel-Stadt», warum es in Basel durchgehende Velo-Routen braucht und diese auch dem Autoverkehr nutzen.

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Eva Biland Gastbeitrag Veloroute
Contra

Die Initiative «sichere Velorouten» will durchgängige Velo-Vorzugsrouten in Basel errichten. Basel gehöre längst zu den velofreundlichsten Städten Europas, findet Eva Biland. Die Unfallzahlen seien trotz steigendem Veloverkehr gesunken, was für eine erfolgreiche Verkehrsplanung spreche. Ein Gastbeitrag.

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Rechsteiner hat schon immer intensiv mit Daten gearbeitet, weshalb er weiss, dass es in dieser Stadt genug freie Einstellparkplätze gäbe, um allfällige Verluste durch Velostreifen problemlos zu kompensieren. Wie eine Crowd-Recherche von Bajour 2023 zeigte, würde Parkraum für rund 2000 Autos ohne Neubau bestehen. Und jedes Jahr kommen mehrere Hundert unterirdische Parkings dazu. 

Auch weiss er aus dem Ratschlag der Regierung, dass heute 55 Prozent mehr Velofahrende unterwegs sind als früher, die leichten Velo-Unfälle gemäss Statistik abgenommen und die schweren stark zugenommen haben. Rechsteiner räumt ein, dass ein Teil der Velounfälle Selbstunfälle sind. Die sogenannten Rowdies auf der Strasse sieht er als Problem, «das wir vielleicht etwas dämpfen können, wenn wir durchgehende Velorouten haben werden.»

So ist er als Teil des Initiativ-Komitees nun auch deren Stimme. Eine Stimme, die manchmal laut, manchmal radikal wird und sich auch gerne eines gröberen Vokabulars bedient. So spricht Rechsteiner an den Medienkonferenzen im Abstimmungskampf beispielsweise von «Fleischbremsen» und meint Velofahrer*innen, die dazu missbraucht würden, durch ihre schiere Präsenz den Verkehr zu bremsen. Doch vielmehr müsste die Infrastruktur angepasst werden. «Diese hat mit dem Velo-Boom nicht Schritt gehalten.» Es brauche Mut, gegen die Autolobby vorzugehen.

Remo Gallacchi, Die Mitte
«Viel Positives kann ich nicht sagen.»
Remo Gallacchi, Mitte-Grossrat

Nicht nur bedient sich Rechsteiner gerne einer härteren Sprache. Seine politischen Gegner*innen sprechen ihm den politischen Anstand gleich ganz ab. Sein grösster politischer Kontrahent aus der Zeit unter der Bundeshauskuppel dürfte wohl der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen sein, der in den Augen von Rechsteiner der «oberste Atomlobbyist der FDP» ist. Über Rechsteiner, der 1975 in Kaiseraugst das Baugelände des geplanten Atomkraftwerks besetzt hatte und dadurch politisiert wurde, sagt Wasserfallen wiederum: «Er war pointiert aggressiv, laut und beleidigend.» Sowas habe er vorher und nachher nicht erlebt.

Rechsteiner weiss, dass er manchmal den Ton verfehlt und sagt: «Ich leide unter meiner Leidenschaft, ich möchte oft mehr als möglich ist.» Aber seine teils direkte Art sei immer spontan: «Die Unanständigkeit ist nie gesucht». Und er erklärt: «Ich komme aus einfachem Haus, mein Vater war Milchmann, es wurde viel geflucht.»

Politischer Gemischtwarenladen

Aus strategischen Gründen hat Rechsteiner schon immer einen politischen Gemischtwarenhandel betrieben. So hat er nicht nur für sicheren Veloverkehr und gegen die Atomenergie gekämpft und tut dies immer noch; erst vergangene Woche zitierte ihn das SRF-Regionalbeitrag mit einem kritischen Statement bezüglich des nun in Fessenheim geplanten «Technocentre». Der von Rechsteiner gegründete Trinationale Atomschutzverband erzielte 2020, dass Fessenheim vom Netz genommen werden musste, weshalb es nicht überrascht, dass er sich nun vor einer neuen Atomlager ennet der Grenze fürchtet. Auch hat der Politiker sozialpolitische Pflöcke eingeschlagen, indem er die 2006 abgelehnte AHV-Initiative mitlanciert hatte, welche einen Teil der Gewinne der Nationalbank der AHV überschreiben wollte. Auch hat er 2004 die erste BVG-Revision zusammen mit der Aargauer FDP-Nationalrätin Christine Egerszegi ohne Referendum ins Ziel gebracht; die einzige erfolgreiche Reform, die eine Mehrheit fand.

Nationalrat Christian Wasserfallen, FDP-BE, am Dienstag, 19. September 2023 im Bundeshaus in Bern. (PARLAMENTSDIENSTE / KEYSTONE/Alessandro della Valle)
«Er war pointiert aggressiv, laut und beleidigend.»
Christian Wasserfallen, Berner FDP-Nationalrat

Bekannt geworden ist Rechsteiner letzten Endes aber mit seiner als SP-Nationalrat propagierten nachhaltigen Energiepolitik, die durch den Ukraine-Krieg in den letzten Jahren «eine exponentielle Dynamik angenommen hat», wie er sagt. Und er kommt sogleich ins Schwärmen: «Solar- und Windkraft ersetzen nun alle drei Tage die Stromerzeugung eines AKW Gösgen.» Es sei unglaublich, wie es nun vorwärts gehe, bis 2030 würden wir in der Schweiz 30 Prozent der Versorgung aus Solarstrom beziehen. «Wir sitzen energiewirtschaftlich in einem TGV, jeden Werktag werden in der Schweiz 200 Solarstromanlagen installiert.» 

Für die Vorwürfe von Wasserfallen, er sei «ein inkonsistenter Traumtänzer, ein Luftschlossbauer der besten Sorte, ja ein Energiefantast» hat Rechsteiner denn auch nur ein müdes Lächeln übrig: «Wir machen heute ja nichts anderes als meine Energiepolitik, die Vollversorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien wird kommen, und fossile Energien sind auf dem Rückzug.»

Nationalrat Roger Nordmann, SP-VD, portraitiert am Montag, 9. Dezember 2019 in Bern. (Parlamentsdienste/Alessandro della Valle)
«Ohne die Vision von Rechsteiner hätte die Schweiz die Energiewende viel später eingeleitet.»
Roger Nordmann, Waadtländer SP-Nationalrat

Diese Energiepolitik wird im Bundeshaus heute ganz in seinem Sinne von Parteikollege Roger Nordmann, Nationalrat aus der Waadt, weitergeführt. Während Wasserfallen und Rechsteiner das Heu nicht auf der gleichen Bühne zu haben scheinen, verstehen sich die beiden Genossen bestens. Rechsteiner sagt sogar, Nordmann sei der Einzige, der eine bessere Energiepolitik mache als er selbst gemacht habe, «intelligent und etwas konzilianter, was dank der neuen und billigen Technik auch viel leichter fällt, aber mit riesigem Erfolg». Und Nordmann meint: «Ohne die Vision von Rechsteiner hätte die Schweiz die Energiewende viel später eingeleitet.»

Keinen Millimeter abgerückt

Auch aus seiner späteren Zeit im Basler Parlament – Rechsteiner ist einer der wenigen, die nach der Bundespolitik in den Grossen Rat zurückgekehrt sind – hat man ihm gegenüber ähnlich gemischte Gefühle. So sagt Mitte-Grossrat Remo Gallacchi: «Viel Positives kann ich nicht sagen.» Rechsteiner habe immer gut argumentiert, aber er sei keinen Millimeter von seiner Position abgerückt. Dies habe ihn zu «einer Person mit extremen Sichtweisen» gemacht. Eine politische Zusammenarbeit mit ihm sei dadurch schwierig gewesen.

Rechsteiner sieht das anders. Er habe zusammen mit seinen Kolleg*innen national den Kompromiss zum Stromversorgungsgesetz 2008 erzielt und lokal das Basler Heizungsgesetz 2016 in trockene Tücher gebracht. Rechsteiner findet indes, man müsse den eigenen Standpunkt kennen und dürfe die Diskussion nicht gleich mit Kompromissen anfangen. Ja, man müsse in der Politik manchmal deutlich werden: «Wenn man das Megafon in der Hand hat, kann man keine Gruppentherapie machen.» Dann müsse man halt laut werden.

Daniel Seiler FDP
«Er ist mit dem Alter ruhiger geworden.»
Daniel Seiler, FDP-Grossrat und ACS-Geschäftsführer

Daniel Seiler, der als FDP-Grossrat und ACS-Geschäftsführer während des Abstimmungskampfes mehrere Streitgespräche mit Rechsteiner führen durfte, findet: «Er ist mit dem Alter ruhiger geworden.» Er empfindet Rechsteiner als «anständig und fair».

Dass er ruhiger geworden ist, bestreitet auch der SP-Doyen nicht. So sagt Rechsteiner: «Meine Politik ist durch mein Agieren im Hintergrund wirksamer geworden.» Tatsächlich hat er sich im aktuellen Abstimmungskampf nicht in den Vordergrund gedrängt. Und scheint mit Kompromissen leben zu können: So bezeichnet er auch den Gegenvorschlag als «wichtigen Schritt nach vorne». Zentral ist für ihn: «Mit dem bevorstehenden Volksentscheid soll die Legitimation des Anliegens verstärkt werden, weil sich die Verwaltung bisher geweigert hat, die nötigen Standards zu vollziehen.» 

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Das ist Valerie (sie/ihr):

Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

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