Tramnetzausbau: Ergibt das Sinn?
Basel will das Tramnetz ausbauen. Der Grosse Rat hat am Mittwoch 3,4 Millionen Franken gesprochen, um die Tramnetzentwicklung voranzutreiben. Bis 2030 sollen die Tramlinien in der Innenstadt gleichmässiger verteilt und Lücken geschlossen sowie die Anbindung nach Allschwil oder ins Klybeck verbessert werden. Das erfordert auch die Verlegung neuer Gleise für ein Tram via Petersgraben und Claragraben und eine Verbindung ins stetig wachsende Bachgrabengebiet. GLP-Verkehrsdirektorin Esther Keller erklärte den Ausbau auch mit Arealentwicklungen: «Grosse Menschenmengen benötigen Tramverkehr». Aus dem Grossen Rat kamen aber auch kritische Stimmen. Das Tram sei kein zukunftsgerichtetes Verkehrsmittel, weil es im Gegensatz zu Bussen unflexibel sei. Kommt hinzu: Basel will eine Velostadt sein. Verträgt sich das mit mehr Schienen?
Das Tram bleibt
Unter allen Massentransportmitteln bleibt das Tram das leistungsfähigste. Jede motorisierte Mobilitätsform hat Vor- und Nachteile. Unter dem Strich bleibt das moderne Tram in „Pole-Position“. Midibusse in Schwarmformation? Mir reichen bis zum Überdruss die Autos in Schwärmen. Zur innerstädtischen Entflechtung gehört für mich, seit Jahren vertreten, die Wiederherstellung der einstigen Ringlinie, früher mit Tram 2 betrieben. Die kann das Nadelöhr Barfi-Claraplatz entlasten. Die Gehdistanzen vom Rande der Innenstadt zum Kern sind derart gering, dass sie vom grössten Teil der Bevölkerung problemlos zu bewältigen sind. Für die bewegungseingeschränkten MitbürgerInnen müssen Alternativen zu ÖV-Tarifen angeboten werden. Der grösste Hemmfaktor für den ÖV ist der individuelle MIV in der Stadt. Da muss rigoros abgebaut werden. Damit für den NÖTIGEN Gewerbeverkehr, die Notfalldienste, Platz bleibt. Eine solche entschlackte Stadt dient, notabene nicht zuletzt, den FussgängerInnen, den Velos.
Trams sind nicht das Problem
Den Tram-Ausbau finde ich gut, denn ihre Effizienz punkto Transportvolumen ist unübertroffen. Ich selber fahre meist Velo, weil es schnell geht, gesund ist, ökologisch, kostengünstig, platzsparend. Ich fahre auch Tram und habe ein SBB- und Auto-Abo (Mobility). Konflikte zwischen Velos und Trams sind sehr selten, Schienen machen den Fahrverlauf berechenbar. Der Elefant im Wohnzimmer sind die Auto-Privilegien einer lautstarken Minderheit. Autos bewältigen in BS noch etwa 25% aller Wege, beanspruchen aber 80 % von Strassenraum und Budgets. Besonders nervt mich der Missbrauch von Strassenraum durch Dauerparkierer. Ein Drittel der parkierten Autos wird weniger als einmal pro Woche bewegt. Das exzessive doppelseitge Parkieren in Basel ist Ursache vieler Unfälle, Abstände im Strasssenraum sind dann zu klein. Das sollte sich dringend ändern. Wer Velos zum Sündenbock macht, übersieht das Problem der stehenden Autos. Langzeit-parkierte Autos gehören in eine Garage (Lastenräder übrigens auch).
Stabil, effizient, sehr wichtig
Das Tramnetz ist das Rückgrat eines stabilen und effizienten städtischen ÖV. Es ist kein Zufall, dass diverse Städte, die zwischenzeitlich dem Tram den Rücken gekehrt hatten, inzwischen ihr Netz wieder (aus-)bauen. Die geplanten Lückenschlüsse im Basler Tramnetz sind wichtig zur Entlastung des Nadelöhrs Barfi-Märtplatz und zur Flexibilisierung des Netzes in speziellen Situationen. Ohne Drämmli wären diverse Anlässe nicht machbar und die Pendler:innen-Logistik nicht stemmbar in Basel! Wir müssen die Infrastruktur dafür weiterentwickeln.
Tram und S-Bahn geschickt kombinieren
Wir haben die Tramlinien 3,6,8,10,11 und 14 welche in die Quartiere und Nachbargemeinden führen. Dann haben wir eine fast vollständigen Eisenbahnring um die Stadt. (Bis zum 1. Weltkrieg war es ein Ring). Statt dass wir darauf hoffen, dass der Bund uns vielleicht in zig Jahren ein Herzstück bezahlt, könnten wir viel billiger diesen Ring vervollständigen und für die S-Bahn nutzen. Dort wo die Tramlinien die S-Bahn kreuzen braucht es Haltestellen mit kurzem Umsteigewegen wie es Zürich vormacht und nicht solchen Quatsch wie im St. Johann. Wenn wir die vielen Tramlinien aus der Innenstadt weg haben wollen, fehlen auch die Kunden aus den Quartieren. In Brüssel eine ähnliche Situation geschickt gelöst: Die haben nicht ein Herzstück gebaut sondern einen Tramtunnel mit dem Vorteil, dass dieser billiger ist weil grössere Steigungen möglich sind. Das bedingt aber dass bei Bauvorhaben wie am Aeschenplatz mögliche Rampen berücksichtigt werden. Deshalb braucht es jetzt einmal ein Konzept.
Moderne Mobilität verlangt flexible, effiziente und kostenschonende Lösungen – nicht starre Schienen. Autonome Midibusse im Schwarmbetrieb, Bus Rapid Transit mit virtuellen Haltestellen oder induktiv geladene E-Busse bieten heute bereits vergleichbare Kapazitäten wie Trams – bei deutlich geringeren Infrastrukturkosten und höherer Anpassungsfähigkeit. Sie benötigen keine Oberleitungen, keine Schienen und lassen sich dynamisch an Nachfrage und Ereignisse anpassen.Statt jahrelanger Baustellen mit ungewissem Ausgang sollten wir auf modulare, skalierbare Systeme setzen, die sich schrittweise einführen und flexibel weiterentwickeln lassen. Die Mobilität der Zukunft ist vernetzt, technologieoffen und nicht an Schienen gebunden.
Aus Sicht Fussverkehr ist der Ausbau des Tramnetzes ein zweischneidiges Schwert
Es ist schon schön, wenn wir mehr Verbindungen mit dem ÖV haben und es weniger weit ist bis zur nächsten Tramhaltestelle, ein erheblicher Komfortgewinn.
Das Tram trägt aber nicht nur zum Komfort bei, sondern bringt auch Gefahrenquellen mit sich. Je mehr Tramlinien, d.h. je dichter der Tramverkehr, desto gefährlicher ist es für Fussgänger, die Strasse zu überqueren. Die Situation der Fussgänger wird weiter erschwert, wenn noch mehr Velofahrer sich wegen der Tramschienen von der Strasse abwenden und das Trottoir benutzen. Das Trottoir ist schon seit längerer Zeit eine «bedrohte Gattung», immer mehr Verkehrsteilnehmer benutzen es und drängen die Schwächeren an den Rand. Die Schwächsten sind nun einmal die Fussgänger, vor allem die ganz jungen, die älteren und die Behinderten. Aus dieser Sicht – wie auch generell als Verkehrspolitiker – bin ich nicht glücklich darüber, dass wir bald in jede Gasse Tramschienen legen.
Unterwegs für eine Themendemokratie
Demokratie braucht es, damit die Bevölkerung ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringen kann. Das Denken und Entscheiden nach dem Entweder-Ja-oder-Nein-Muster führt seit Jahren auch beim Verkehr mit faulen Kompromissen in Sackgassen. Gute Lösungen sind möglich, wenn es der Politik gelingt, in Sachfragen themenzentriert zu Entscheidungen zu kommen, die fachgerecht bestmöglich allen Aspekten entsprechen. Dafür eine Grundlage ist das Miteinander-Reden und das Einander-Zuhören. Wo Verschiedenheit anerkannt und akzeptiert ist. Und wenn nach Klärung des Trennenden gemeinsam das Verbindende gesucht wird, kann sowohl im Grossen wie im Kleinen kokreativ eine Welt erfunden und gestaltet werden, die alle in aller Verschiedenheit trägt. Reich an wertvollen Ideen. Arm an einer Diskriminierung von Minderheiten. In einem solchen Sinn bin ich wohlwollend für eine Themendemokratie unterwegs. Es freut mich, wenn es gemeinsam mit andern gelingt!