Trittbrettfahrer im Dienste der Gesellschaft

Der Abfall beschäftigt Basels Bewohner*innen und die Politik. Auch im Corona-Sommer kommt es zu Littering im öffentlichen Raum. Wie sieht der Alltag von jenen Menschen aus, die unsere Stadt sauber halten? Michel Vogt ist so einer.

Michel Vogt Foto Kopie
Kehrichtmann seit 24 Jahren: Michel Vogt.

Ein strahlend blauer Tag, Mittagszeit. Im Magazin der Stadtreinigung am St. Alban-Ring ist es ruhig. Die Mitarbeiter*innen geniessen auf den Stühlen vor dem Gebäude die Sonnenstrahlen, ein paar Meter weiter ist das Kehrichtfahrzeug parkiert. Auch Michel Vogt hat gerade Pause. Heute absolviert er einen Spezialeinsatz als Fahrer. Zusammen mit seinem Kollegen leert er die Abfallbehälter bei den Glasentsorgungsstationen, leert die Container, in welchen die Papiertüten entsorgt werden, macht mit dem Hochdruckreiniger alles sauber.

Normalerweise arbeitet Michel Vogt als Lader. Kurz nach fünf steht er jeden Morgen auf, um viertel vor sieben beginnt seine Tour. Abfallsack um Abfallsack wird eingesammelt, verschwindet im Schlund des orangen Fahrzeugs. Bis der Kehrichtwagen zum ersten Mal voll ist, dauert es gut zwei Stunden. Dann fährt das Team, bestehend aus einem Fahrer und zwei Ladern, in die Kehrichtverbrennungsanlage zur Entleerung.

«Die Menschen richten ihre Uhr nach uns. Immer wieder bekommen wir zu hören: Sie sind zu früh heute!»
Michel Vogt, Kehrichtmann

Nach dem Znüni folgt die zweite Füllung und nach der Mittagspause die letzte. Alle Routen werden zwei Mal wöchentlich gefahren und sind exakt festgelegt. Wie bei den Briefträger*innen wissen viele Anwohner*innen auch, wann die Kehrichtleute zu erwarten sind. «Die Menschen richten ihre Uhr nach uns. Immer wieder bekommen wir zu hören: Sie sind zu früh heute! Da antworte ich jeweils: Nein, Sie sind zu spät», erzählt Vogt und lacht.

Abfallsäcke erzählen Geschichten

Sack um Sack wird im Fahrzeug zusammengepresst. Ein Kehrichtwagen fasst knapp neun Tonnen. Wie viele Bebbi-Sägge darin Platz haben, kann Vogt nicht genau sagen. Wie viele Säcke er selbst heben kann, das wiederum hängt vom Quartier ab: «Im Gellert oder auf dem Bruderholz kann ich zehn bis 15 Säcke aufs Mal tragen. In Kleinhüningen schaffe ich höchstens vier», sagt der Lader.

Abfallsäcke als Geschichtenerzähler. Mal halbleer, mal überfüllt, verraten sie einiges über die Bewohner*innen der Strassen, an denen er entlang fährt. Überquillt einer deutlich, kann es schon vorkommen, dass Michel Vogt und seine Kollegen den Sack stehen lassen.

Ein Fall für die Abfallpolizei

Immer wieder wird Abfall auch illegal entsorgt. In fein säuberlich zugeklebten Kartonschachteln zum Beispiel, die der Papierabfuhr übergeben werden. Oder auf wilden Mülldeponien, die am Stadtrand entstehen. Und natürlich in inoffiziellen Abfallsäcken. An diese bringt Vogt beim Vorbeifahren einen Kleber mit einem entsprechenden Hinweis an. Steht der Sack bei der nächsten Tour nach wie vor auf der Strasse, kommt die Abfallpolizei. Sie nimmt den Sack mit, schneidet ihn auf und untersucht ihn nach Hinweisen auf die*den Besitzer*in. Kann diese*r ausgemacht werden, gibt es eine Busse. «Doch natürlich sind da oft Profis am Werk, die hinterlassen keine Spuren», weiss Michel Vogt.

Volle Ladung gefällig?

Ein Profi ist auch er. Seit 24 Jahren arbeitet er in seiner Funktion. Erlebt hat er schon vieles, auch kuriose Geschichten. Zum Beispiel Leute, die versehentlich etwas in den Müll gekippt haben – den Schlüssel, das Portemonnaie oder auch Geld – und völlig verzweifelt anrufen. Einmal sei einer älteren Dame eingefallen, dass sich in der mit dem Sperrgut entsorgten Matratze noch ihr Erspartes befunden habe. Kommt eine solche Meldung herein, entleeren Vogt und seine Kollegen das Fahrzeug in der Kehrichtverbrennungsanlage an einem separaten Platz – und die Betroffenen dürfen hinfahren und den Müll eigenhändig durchsuchen. «Einst hat einer auf diese Weise seine verlorengeglaubten 30‘000 Franken wiedergefunden», erinnert er sich.

«Der Mensch gewöhnt sich an alles. Ich rieche es schon gar nicht mehr.»
Michel Vogt

Vogt wollte ursprünglich Landschaftsgärtner werden, musste die begonnene Lehre aber wegen Heuschnupfens abbrechen. Sein Vater, der als Fahrer bei der Stadtreinigung arbeitete, vermittelte ihm einen temporären Einsatz als Lader auf seinem Fahrzeug. Michel Vogt hat das Trittbrett nicht wieder verlassen. Und die Arbeit gefällt ihm noch heute. «Ich mag es, mich körperlich zu betätigen und draussen an der frischen Luft zu sein.»

Ist die Luft dort hinten auf dem Fahrzeug wirklich so frisch? Er winkt ab. «Der Mensch gewöhnt sich an alles. Ich rieche es schon gar nicht mehr.» Nur der Geruch von verdorbenem Fleisch und Fisch – Abfälle, die mehrheitlich von Restaurants stammen – der stinkt auch ihm. Vor allem im Sommer.

Dank und Solidarität im Hitzesommer 2019

Wenn es heiss ist, arbeiten die Müllmänner unter doppelt erschwerten Bedingungen. Zum verstärkten Gestank kommt die körperliche Betätigung, die schweisstreibender ist als an normalen Tagen. Trotzdem nimmt Vogt jeden Abend ein heisses Bad, dem Rücken zuliebe. Immerhin erlaubt der Vorgesetzte in Hitzeperioden, die Touren zwei Stunden früher zu beginnen als sonst, um die kühlen Morgenstunden zu nutzen.

«Erstaunlich oft wurde uns auch etwas zu trinken angeboten», erinnert sich Vogt an den Hitzesommer 2019. «Die Mitmenschen hatten richtig Mitleid. Das sind natürlich schöne Momente.» Hin und wieder danken ihm auch wildfremde, meist ältere Menschen für die Arbeit, die er und sein Team erledigen. «Sicher freut mich diese Wertschätzung, aber eigentlich macht es mich auch etwas verlegen. Ist ja völlig selbstverständlich, dass ich meinen Job mache.» Sagt er, und macht sich ohne viel Aufhebens bereit für die Nachmittagsrunde. 

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