Freie Zeit oder Freizeit

Der Schweizer Erwerbsbevölkerung täte mehr Müssiggang gut, ist Kolumnistin Eva Biland überzeugt. Sie plädiert dafür, dass wir sorgsamer mit der arbeitsfreien Zeit umgehen. Dazu lädt der Mai mit seinen vielen Feiertagen besonders ein.

Eva Biland Freizeit
(Bild: Dominik Plüss / Unsplash / Collage: Bajour)

Da kommen sie wieder, diese Feiertage im Wonnemonat Mai. Für viele Leute sind es Tage wie alle anderen, an denen es gilt, im Dienste der Mobilität, der Gastronomie, der Kultur, der Landwirtschaft, der Sicherheit oder der Gesundheitsversorgung seine Aufgaben in der Gesellschaft zu erfüllen. Für andere wiederum stehen arbeitsfreie Tage an, für deren optimale Erfüllung kein Aufwand zu viel ist. 

Dieses Angebot an Freizeit darf auf keinen Fall ungenutzt bleiben in einer Gesellschaft, in welcher durch die begriffliche Idealisierung von «Work-Life-Balance» es geradezu ein Versagen darstellt, wenn die Freizeit nicht maximalst der eigenen Verwirklichung dient.

Eva Biland Kolumne
Zur Person

Eva Biland politisiert für die FDP Basel-Stadt und arbeitet als Hausärztin. In ihrer Kolumne «Bilan(d)z» schaut sie aus bürgerlicher Sicht auf den Kanton und seine Menschen.

Freizeit ist seit Jahren mit Abstand der wichtigste Grund, weshalb die Schweizer Bevölkerung sich im Verkehr auf Schienen, Strassen und in der Luft fortbewegt. Wer Generation-Z-Kinder hat – wie ich – erfährt, wie das jugendliche Netzwerk in den sozialen Medien eine ganze Generation zum Reisen förmlich beflügelt mit populären Selbstablichtungen aus den schönsten Ecken der Welt. Einfach zuhause bleiben und sich der Musse hingeben ergibt eben keinen wirklich coolen oder angesehenen Instagram-Post.

Das Freizeitland Schweiz wird seinem Ruf gerecht. Natürlich birgt das Freizeitverhalten auch Risiken: die Suva registrierte im vergangenen Jahr unter allen Unfällen zu 61 Prozent in der Freizeit und 39 Prozent auf der Arbeit. Jedes Jahr verletzen sich allein bei Sportunfällen 430'000 Menschen aus der Schweiz.

«Ausgehungert an zwischenmenschlichen Dienstleistungen widmet man sich zwischendurch der Arbeit oder der Familienbetreuung und träumt von einer besseren Work-Life-Balance.»
Eva Biland

Hat das (hyper)aktive Freizeitverhalten die viel gewünschte «Work-Life-Balance» denn auch wirklich verbessert oder wird nicht schon längst ein «Work-Life-Hybrid» gelebt? Denn auch ohne unser aktives Dazutun gestaltet sich die arbeitsfreie Zeit häufig als überladen mit arbeitsreichen Tätigkeiten, die uns durch schwindende Dienstleistungen laufend übertragen werden.

Vom zeitgenössischen Homo sapiens wird erwartet, dass er seine Zugbillette selber fertigt, Fotos bereits aufbereitet und drapiert in Auftrag gibt, Einkaufsartikel scannt und verpackt, Bankgeschäfte an einem Multimat selbst erledigt, Strom-und Wasserverbrauch abliest und registriert, Postpakete selber wägt und frankiert, Reisen selber zusammenstellt und Übernachtungsmöglichkeiten bucht und sich nach Ankunft im rezeptionslosen Hotel möglicherweise noch selber beim Check-In registieren muss. 

Zugegeben, eine Wucht an praktischen technischen Möglichkeiten zur autarken Überlebensweise, aber in der Summe ebenso seelenlos wie zeitraubend. Ausgehungert an zwischenmenschlichen Dienstleistungen widmet man sich zwischendurch der Arbeit oder der Familienbetreuung und träumt von einer besseren Work-Life-Balance.

«In meinem hausärztlichen Berufsalltag stelle ich gefühlt bald so viele Arbeitsunfähigkeitszeugnisse wie Rezepte aus.»
Eva Biland

Dabei täte mehr Müssiggang der Schweizer Erwerbsbevölkerung vielleicht gut, leiden doch inzwischen fast dreissig Prozent unter emotionaler Erschöpfung. In meinem hausärztlichen Berufsalltag stelle ich gefühlt bald so viele Arbeitsunfähigkeitszeugnisse wie Rezepte aus. 

Die Anzahl an Arbeitsausfällen von jungen Erwerbstätigen aufgrund von ernsthaften Erschöpfungssymptomen bereitet sowohl Sorgen als auch eine gewisse Ratlosigkeit. Nach meiner Erfahrung kommen zunehmend Erwerbstätige zu mir, deren Aufgabe ein grosses Mass an Multitasking und sozialen Kontakten verlangt – wie etwa Lehrer, Pflege- und Mobilitätsberufe (z. B. Busfahrer). 

Und obwohl Burnout definitionsgemäss mit einem Übermass an Stress am Arbeitsplatz verbunden ist, dürfte es gesellschaftlich zunehmend auch von Bedeutung sein, wie sorgsam mit der arbeitsfreien Zeit umgegangen wird. 

In diesem Sinn wünsche ich einen schönen Wonnemonat Mai mit vielleicht der einen oder anderen Mussestunde.

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