GAV ausser Kraft: Im Baselbiet schiebt das Spitalpersonal 12-Stunden-Schichten
Unruhe bei den Mitarbeiter*innen des Kantonsspitals Baselland: Der Betrieb hat punktuell die Arbeitszeit auf zwölf Stunden umgestellt und einen Zweischichten-Betrieb eingeführt. Trotz Gesamtarbeitsvertrag hat das Spital laut eigenen Angaben die Sozialpartner nicht informiert.
Ein Freitagmittag vor zwei Wochen: Raus auf den Balkon, ran ans Fenster und klatschen. Schweizweit applaudierten die Menschen für das Pflegepersonal. Ein einmaliges Dankeschön. Unterdessen gilt die Arbeit von Ärzt*innen und Pfleger*innen als «systemrelevant». Die Covid-19-Pandemie hat ihren Job noch härter gemacht. Konkret zu spüren bekommen das die rund 3'500 Mitarbeitenden des Kantonsspitals Baselland.
Auf Anfrage von Bajour bestätigt Mediensprecherin Anita Kuoni, dass das Krankenhaus mit seinen drei Standorten und den beiden Corona-Testzentren in Lausen und Münchenstein den Betrieb auf zwei Schichten statt drei umgestellt habe. Für die «Held*innen» im Spital bedeutet dies, dass sie nun zwölf Stunden arbeiten müssen.
Längere Arbeitszeiten als «letztes Mittel»
Während das Kantonsspital Baselland bei der Umstellung auf einen Zweischichtenbetrieb auf die Notlage pocht, sieht die Präsidentin des Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD), Samira Marti, die Arbeitszeitverlängerung trotz Bundesverordnung kritisch: «Deshalb erlaubt der Bundesrat zwölf Stunden Schichten auch nur als «ultimo ratio», wenn alle anderen Massnahmen bereits ergriffen wurden.»
Für den VPOD Region Basel sei deshalb klar, dass vor der Einführung von Zwölfstunden-Schichten zuerst auf externes Personal aus Privatspitälern und Arztpraxen zurückgegriffen werden müsse, so Marti. Zusätzlich sollte selbstverständlich auch die Zusammenarbeit mit den Nachbarkantonen gesucht werden: «Hier ist der Kanton in der Pflicht.» Marti befürchtet durch die Verlängerung der Schichten auch die Gesundheit des Spitalpersonals als gefährdet, falls die Ruhezeiten nicht gesichert werden können.
«Wir mussten innert kürzester Zeit unsere Kapazitäten an Beatmungsplätzen verdreifachen.»Anita Kuoni, Sprecherin Kantonsspital Baselland
Das Kantonsspital Baselland dagegen sehe jedoch keinen anderen Weg, erklärt Sprecherin Kuoni: «Wir mussten innert kürzester Zeit unsere Kapazitäten an Beatmungsplätzen verdreifachen und müssen für den Ernstfall sogar verachtfachen. Wir stellen nur dort um, wo es dringend notwendig ist und immer mit der entsprechenden Vorlaufzeit, damit sich die Mitarbeitenden organisieren können und auch weil das Umschreiben der Dienstpläne ein enormer Aufwand ist.»
Auch Wäscherei und Gastronomie muss länger arbeiten
Länger arbeiten müssten in Liestal, Laufen und auf dem Bruderholz auch die Mitarbeiter*Innen der Wäscherei und Gastronomie, so Kuoni. Aufgrund der Pandemie brauche es etwa mehr Schutzkleidung: «Die Wäscherei hat sehr viel mit der Coronakrise zu tun. Wir haben allein aufgrund der Tatsache, dass wir die beiden Abklärungsstationen Lausen und Münchenstein mit Berufswäsche versorgen, bereits einen viel höheren Wäschebedarf. Hinzu kommen die vielen zusätzlichen Fachkräfte und Spitalsoldaten, die bei uns im Einsatz sind. Weiter ist es ja gerade bei der Betreuung von hochansteckenden Patienten und Patientinnen und unter den erschwerten Bedingungen unter Schutzkleidung besonders wichtig, dass die Berufswäsche gewechselt werden kann.»
Unispital Basel-Stadt: Kein Grund, GAV auszusetzen
Bei den Kliniken des Unispitals in Basel-Stadt dagegen gibt sich Mediensprecher Nicolas Drechsler gelassener. Das Spital des Stadtkantons sieht keinen Grund, den Gesamtarbeitsvertrag ausser Kraft zu setzen, obwohl der Bundesrat dies eigentlich erlaubt. Drechsler sagt auf Anfrage von Bajour: «Der Bundesrat hat die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes insbesondere betreffend Ruhezeiten und maximale wöchentliche Arbeitszeit temporär ausser Kraft gesetzt. Der GAV ist in Kraft und wir sind mit den Sozialpartnern regelmässig in Kontakt, um sie laufend zu informieren.»
Im Gegensatz dazu geht es im Nachbarkanton einschneidender zu und her. Anita Kuoni betont, in der Not sei die Verlängerung der Arbeitszeit unerlässlich: «Die Gründe: Wir haben in der Schweiz die «ausserordentliche Lage» und befinden uns in der Pandemiekrise. Wir müssen auf alles vorbereitet sein und unsere Kapazitäten entsprechend hochfahren. Ja, das ist eine zusätzliche Belastung für die Mitarbeitenden, aber anders können wir die Lage nicht bewältigen.»
Mit Transparenz und Information des Pflegepersonals tut sich das Kantonsspital Baselland allerdings offenbar schwer. Kuoni begründet dies mit dem Entscheid des Bundesrates: «Die Sozialpartner werden über solche Massnahmen immer vorgängig informiert. Es war der Bundesrat, der die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes betreffend Arbeits- und Ruhezeiten während der «ausserordentlichen Lage» - wohl nicht unbegründet – sistiert hat.»
«Die Mitarbeitenden fühlen sich schlecht informiert.»Samira Marti, Präsidentin VPOD Region Basel
Gewerkschafterin Samira Marti legt die Sicht der Betroffenen dar: «Unsere Mitglieder betonen, dass die optimale Gesundheitsversorgung (...) für alle Priorität hat.» Eine unnötige Arbeitsüberlastung mit Zwölf-Stunden-Schichten werde die Qualität der Gesundheitsversorgung aber mindern, sagt sie. «Insbesondere wird in Frage gestellt, ob die Umstellung auf einen Zweischichtbetrieb bei zwei Dritteln des Spitalpersonals wirklich notwendig und rechtens ist. Zudem fühlen sie sich schlecht informiert durch das KSBL.
Vom Bundesrat begründet oder nicht, das Uni-Spital in Basel scheint personell besser vorbereitet und sieht noch keinen Handlungsbedarf. Sprecher Nicolas Drechsler erklärt: «Im Sinne der Vorbereitung haben wir uns zu möglichen anderen Schichtmodellen Gedanken gemacht. Aktuell haben wir nirgends umgestellt, da dies bis jetzt nicht erforderlich war.» Die Lage sei mit normalen Schichten zu bewältigen.
Selfies mit dem Chef
Applaus von Balkonen, Klatschen aus den Fenstern ist das Eine, die konkrete Arbeitssituation das Andere. Auf die Frage, wer denn nun genau im Kantonsspital Baselland mehr arbeiten muss, antwortet Sprecherin Kuoni: «Das hängt vom Einsatzort ab. Auf der Intensivstation werden die Mitarbeitenden – immer abhängig von ihrem Beschäftigungsgrad und von ihren individuellen Wünschen und Möglichkeiten – in der Regel vier bis fünf Tage eingesetzt und erhalten dann auch mehrere Tage frei. Es gibt aber auch Mitarbeitende, die explizit wünschen, sieben Tage am Stück zu arbeiten.»
Gesundheitsdirektor Thomas Weber (SVP) jedenfalls hat sich einen – maskierten – Rundgang am vergangenen Donnerstag durch das Kantonsspital Baselland nicht nehmen lassen. Das ist auf den sozialen Medien gut dokumentiert. Die Fotos zeigen leider nicht, ob er auf die Verunsicherung der rund 3'500 Spitalmitarbeitenden eingegangen ist. Immerhin koste die Massnahme noch nicht viel – so antwortet Kuoni auf Frage von Bajour nach den finanziellen Auswirkungen: «Keine, ausser dass wir dem Personal in der zwölf Stunden-Schicht die Pause bezahlen.»