Und es erklingen die Trümmer

Mit Geräuschen aller Art, mit Musik, Gesang und (wenig) Text bringen Thom Luz und sein Ensemble die Ruinen eines alten Hotels zum Klingen. Unser Autor hat sich «Tourist Trap» in der Kaserne angeschaut und bleibt mit manch offener Frage zurück.

Premiere Kaserne Thom Lutz Tourist Trap
Zu sehen in Thom Luz' «Tourist Trap»: Fünf Hotelangestellte und ein Wasserfall, den es nur noch im Modell gibt. (Bild: Hannah Gottschalk)

Der deutsche Dramatiker Heiner Müller (1929 – 1995) hat einmal gesagt, der Zustand unserer Zivilisation sei gut erfasst im Bild eines riesigen Containerschiffes, das voll beladen mit Schrott und Müll auf den Weltmeeren herumirrt, weil es nirgends anlegen darf. 

Wenn Thom Luz und sein Ensemble «Tourist Trap» zeigen, dann ist es, als hätte Müllers Schiff einen Teil seiner Ladung in die Kaserne Basel gekippt. Splitter aus Metall und Glas liegen auf dem Bühnenboden herum, Sand rieselt von oben herab, Porzellanscherben, Holzstücke oder Knochen werden aufgeschüttet, Staubwolken steigen auf. Was früher mal ein Luxushotel war, ist jetzt eine Ruine, durch die fünf ehemalige Hotelangestellte stolpern und sich, lückenhaft und zufällig, an die immateriellen Bruchstücke unserer Zivilisation erinnern: an Lieder, Musik, Sätze.

Regisseur mit Basel-Bezug

Thom Luz, Regisseur, Schauspieler und Musiker, geboren 1982 in Zürich, entwickelt Projekte in Eigenregie. Er interpretiert nicht vorgegebene, dramatische Texte, sondern alles, was auf die Bühne kommt, ist von ihm und seinem Ensemble erfunden oder gefunden worden. Diese anspruchsvolle und zeitgemässe Theaterform ist in der freien Szene beheimatet und bedarf zumeist der Kooperation mehrerer Institutionen. So wurde auch «Tourist Trap» mit Theatern und Spielstätten in Zürich, Lausanne, Aarau und Umbrien koproduziert. Um solche  Zusammenarbeiten und die Geldbeschaffung zu organisieren, gründen viele Theatergruppen eigene Produktionsfirmen – die von Thom Luz heisst «Bernetta»

Luz, international gefragt und vielfach ausgezeichnet, hat eine Beziehung zu Basel: Hier debütierte er als Regisseur auf dem Treibstoff Theater Festival in der Kaserne (2007). Er war eine Zeit lang Teil des Leitungsteams am Theater Basel (2015-2020) und hat in unserer Stadt oft inszeniert. Zuletzt hat er sich ins Basler Gedächtnis eingeschrieben mit der beeindruckenden Rauminszenierung «Radio Requiem» im verlassenen Radiostudio auf dem Bruderholz (2019): Schon damals ging es um die Erinnerung an eine untergehende Kultur-Epoche.

Rezension Thom Lutz Kaserne Tourist Trap
Vergessen, vergangen, verschlafen – das Thema «Abbruch» steht im Mittelpunkt des Stücks. (Bild: Felix Schneider)

Vintage-Melancholie 

Und schon damals zeigte sich: Dieser Regisseur hat eine grosse Sensibilität für die Aura des Ausgedienten und Kaputten. Und manchmal gelingt es ihm auch, sie zu vermitteln. In «Tourist Trap» ist das fein gearbeitete, eindrucksvolle Modell dessen zu sehen, was einst der Stolz des Hotels war, nämlich die Terrasse mit dem Ausblick auf Felsen und Wasserfall. Traurig stehen die menschlichen Überbleibsel der besseren Zeiten drum herum und erzählen sich, wie der Wasserfall verschwand: Um mehr Kundschaft anzulocken, sollte der Wasserfall nachts beleuchtet werden. Dafür aber musste man ein Kraftwerk bauen und den Fluss stauen, worauf der Wasserfall versiegte. 

Zeitweise hat dieser mit Schrott angefüllte Raum einen ganz eigenen, vorfabrizierten Sound, der in Dialog tritt mit Geräuschen, die die Performer*innen produzieren, was zu eindrücklichen Echowirkungen und Geräuschketten führt. 

Man fragt sich: Schön, aber warum gerade Ravel und Bach? Die unbeantwortbaren Fragen häufen sich, wenn der Kitsch ins Spiel kommt.

Schöne Musikmomente sind zu hören, Mara Miribung und Mathias Weibel begeistern, wenn sie Ravels Boléro mit Okarinas, und Bach mit Bass und Mandoline spielen. Aber schon da fragt man sich: Schön, aber warum gerade Ravel und Bach? Die unbeantwortbaren Fragen häufen sich, wenn der Kitsch ins Spiel kommt.

Zu hören sind die «Capri-Fischer» (Rudi Schuricke, 40er-Jahre) und «Ich weiss, es wird einmal ein Wunder geschehen» (Zarah Leander, 1942). Aber warum gerade diese Lieder? Sie drücken «Sehnsucht» aus, nun ja, aber doch eine sehr spezifische, zeitbedingte. Was sollen sie über die Figuren erzählen, die alle fünf als Individuen blass bleiben, obwohl sie vielseitige Performer*innen sind (zu den Genannten kommen noch Fhunyue Gao, Daniele Pintaudi und Samuel Streiff)? 

Der Abend zerfällt, bleibt seltsam fern und künstlich. Er berührt, mit wenigen Ausnahmen, nicht.

Die Texte erinnern manchmal von Ferne an den Stil von Robert Walser. Sie liefern gelegentlich Pointen, z. B.: «Wir sind zusammengekommen, um den Geschäftsbericht zu verabschieden. Adieu, Geschäftsbericht.» Lustig, ja, aber welche Geschichte wollen uns die Texte, will uns der Regisseur erzählen? 

Es ist schon klar: Der Abbruch ist das dramaturgische Prinzip des Abends. Was auch immer entsteht an Bewegung, Klang oder Rede wird abrupt abgebrochen. In die schönste Musik fährt ein ohrenbetäubender Knall. Aber dieses Prinzip trägt nicht einen ganzen Abend. Es verhindert, dass irgendetwas, ein Spiel, eine Handlung, sich zuspitzt oder in Fahrt kommt. Der Abend zerfällt, bleibt seltsam fern und künstlich. Er berührt, mit wenigen Ausnahmen, nicht. Schade. 

Das könnte dich auch interessieren

Tanz Gif Laurel Bloom BajourBeat

Jan Soder am 02. Dezember 2024

Laurel Bloom – «Riddles Of My Youth»

Der Drummer von Malummí und Weird Fishes bestätigt mit der zweiten Single als Solokünstler seine Singer-Songwriter-Skills. Im Interview verrät er, wann die nächsten Songs erscheinen und wieso darin der Boden knarzt.

Weiterlesen
Rezension Theater Basel Was ist das Kind so schön

Felix Schneider am 30. November 2024

Verirrt im Märchenwald

Das Kunstmuseum Basel widmet der grossartigen portugiesisch-britischen Malerin Paula Rego zurzeit die erste Schweizer Ausstellung. Ihr zu Ehren zeigt das Basler Theater im Kunstmuseum die Performance «Was ist das Kind so schön». Eine Rezension.

Weiterlesen
Leila Moon

Valerie Wendenburg am 27. November 2024

Interpellation: Gibt es ein politisches Vetorecht?

Seitdem die Preisverleihung des Kulturförderpreises vorerst abgesagt ist, wird die Causa Leila Moon kontrovers diskutiert. Auch für Basta-Grossrat Oliver Bolliger ist das Thema nicht vom Tisch, er hat eine Interpellation eingereicht und will unter anderem wissen, wie die Kulturförderung künftig vor politischen Kampagnen geschützt werden kann.

Weiterlesen
GIF Tanz BajourBeat ok average

Jan Soder am 25. November 2024

ok average – «Beneath Shed Skin»

Das Cinematic-Art-Pop-Duo aus Basel und Zürich veröffentlicht nach fünfeinhalb Jahren das erste Album und besingt darauf die «unangenehmen Dinge». Im Interview erklären die beiden Musiker*innen, was hinter ihrer Genre-Bezeichnung steckt.

Weiterlesen

Kommentare