Unverständnis für Visum-Stopp
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) will das Visa-Programm für Erdbebenopfer aus Syrien und der Türkei einstellen. Dabei konnten Personen, die in der Schweiz enge Verwandte haben, beschleunigt ein 90-Tage-Visum erhalten. In der Debatte zur Frage des Tages kritisieren viele Basler Politiker*innen das Vorhaben des SEM.
Momentan erhalten Erdbebenopfer aus der Türkei und Syrien, die hier enge Verwandte haben, beschleunigt ein 90-Tage-Visum für die Schweiz. Jetzt will das Staatssekretariat für Migration (SEM) das Visa-Programm einstellen. Die Zahlen zeigten ein rückläufiges Bedürfnis, so die Begründung.
Laut der «NZZ am Sonntag» soll Mitte Mai Schluss sein, auch wenn die Lage im Krisengebiet nach wie vor prekär ist. Gemäss SEM wurden bisher rund 300 Visa ausgestellt – 240 an Personen aus der Türkei und 60 an Personen aus Syrien. Von den Eingereisten habe bisher keine Person ein Asylgesuch gestellt.
Wie stehen Basler Politiker*innen zu diesem Entscheid? «Braucht es weiterhin Visa für Erdbebenopfer?», hat Bajour sie gefragt – und es zeigt sich: Viele der Angefragten reagieren mit Unverständnis für den Entscheid des SEM.
Lage vor Ort noch immer prekär
«Ich war vor drei Wochen in der Erdbebenregion», erzählt der Basler SP-Nationalrat Mustafa Atici. Die Situation sei leider weiterhin sehr prekär, über 70 Prozent der Menschen hätten unterdessen die Region verlassen.
«Ich bin der Meinung, dass es den traumatisierten Menschen sehr hilft, wenn sie vorübergehend bei ihren Verwandten in der Schweiz bleiben können und hier psychologische Unterstützung erhalten. Die Nähe zu Familienangehörigen und die Distanz zum Erlebten wird ihnen helfen, das Ganze besser zu verarbeiten.» – Mustafa Atici, Nationalrat SP Basel-Stadt
Gleichzeitig wisse er, dass Visa-Verfahren mit viel Bürokratie verbunden seien. Trotzdem sei er der Ansicht, dass die Schweiz ihre humanitäre Hilfe wirksamer einsetzen und die betroffenen Erdbebengebiete effizienter unterstützen könne. Ja, es brauche weiterhin Visa für Erdbebenopfer, allerdings: «Auf lange Sicht ist es für die Menschen enorm wichtig, dass sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können und vor Ort eine Perspektive haben, sprich: ein Zuhause und die Aussicht, eine Arbeit zu finden.»
Dieser Punkt wird auch auf bürgerlicher Seite angesprochen: Der Basler FDP-Politiker Richard Hubler ist der Meinung, dass es diese Visa noch brauche, solange die Lage prekär ist. Er pocht aber auch auf «Hilfe zur Selbsthilfe». Die Schweiz habe ein Eigeninteresse daran, Asylgesuche «nicht explodieren zu lassen».
«Auch aus diesem Grund ist es schlauer, vor Ort zu helfen und zeitlich befristet grosse Not zu lindern, als im schlimmsten Fall ganze Landstriche aufzugeben und die Leute nach Europa wandern zu lassen. Dies wäre einfach unmenschlich.» – Richard Hubler, FDP Basel-Stadt
Enttäuschung und Unverständnis
Auch andere angefragte Politiker*innen votieren dafür, dass es die Visa noch brauche – und sie finden den Entscheid des SEM unverständlich: «Es ist für mich nicht ersichtlich, wieso ein gut installiertes Programm nun so früh wieder abgesetzt werden soll, wenn wir auch nur ein bisschen helfen können», sagt zum Beispiel GLP-Nationalrätin Katja Christ.
«Die vom VISA-Programm betroffene Personengruppe ist wirklich sehr überschaubar. Bis heute wurden lediglich rund 300 dieser 90-Tage Visa unter dem beschleunigten Verfahren ausgestellt. Auch wenn die Zahlen nun sogar rückläufig sind, ist die Lage in den betroffenen Gebieten noch immer äusserst prekär.» – Katja Christ, Nationalrätin GLP Basel-Stadt
Und Nationalratskollegin Sibel Arslan (Grüne/BastA!) sagt, sie sei vom geplanten Stopp enttäuscht, auch wenn er nicht überraschend komme.
«Die humanitäre Lage im Gebiet ist nach wie vor prekär. Es gibt Seuchen, nicht genügend Trinkwasser und noch immer fast keine Unterkünfte, weil sehr viele Häuser zerstört sind. Ich hätte mir mindestens eine Verlängerung bis in Sommer gewünscht.» – Sibel Arslan, Nationalrätin Grüne/BastA! Basel-Stadt
«Vollstes Vertrauen ins SEM»
Hinter der Entscheidung des SEM steht hingegen LDP-Nationalrätin Patricia von Falkenstein. Sie habe vollstes Vertrauen ins SEM und dessen Haltung zu dieser Frage.
«Staatssekretärin Schraner-Burgener verfügt über das Wissen, die Erfahrung und auch die Empathie, um adäquate Entscheide zu treffen. Je nach Entwicklung der Lage kann der Bund auch auf seine Entscheide zurückkommen. Gefordert sind primär die Regierungen der betroffenen Länder.» – Patricia von Falkenstein, Nationalrätin LDP Basel-Stadt
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