Wie ich zur Feministin wurde
Die heutige Genderdebatte verirre sich manchmal auf Nebenschauplätze, kritisierte die pensionierte Protestlerin Anita Fetz letzte Woche. Jetzt antwortet die klimabewegte Pauline Lutz: «Wenn wir die ganze Dualitätsscheisse hinter uns lassen, können wir den Laden umkrempeln.»
Hat der heutige Feminismus den Fokus verloren? Das fragte die pensionierte Protestlerin Anita Fetz vor einer Woche die klimabewegte Pauline Lutz.
Liebe Anita
Ich wurde von Frauen grossgezogen.
Mein Umfeld bestand aus den verschiedensten Frauenfiguren, die mich umhätschelt und gefordert, geärgert, gefördert und sehr geprägt haben. Meine Mutter, die alleinerziehend immer voll gearbeitet hat, unsere Nachbarinnen, mit denen meine Mutter auf dem Balkon Zigaretten rauchte und lachte und diskutierte, meine 11 Jahre ältere unendlich gescheite Schwester, die während ihres Studiums als Umweltingenieurin ein Kind bekam, ihren Master abschloss und als Forscherin zu arbeiten begann, meine Oma, die sich als junge linke Frau aus Berlin in meinen Opa, einen konservativen Appenzeller verliebte und dann, verheiratet, ungläubig feststellen musste, dass sie in der schönen Schweiz ihre politische Stimme verloren hatte – meine Patentanten, die als Mitbringsel nach langen Reisen die grosse Weite der Welt in mein Kinderzimmer brachten.
Ich bin in einer überwiegend weiblichen Gemeinschaft aufgewachsen, die mich als Kind, als Mädchen und als Menschen unglaublich bestärkt und ernstgenommen hat.
Und wurde so zu einem kleinen politischen Mädchen, das fast entrückt stundenlang hitzigen politischen Diskussionen lauschen konnte und so versuchte, sich vor dem Ins-Bett-Gehen zu drücken. Ich hörte die grundlegenden Sätze: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Und checkte doch: Einige Menschen sind da anscheinend gleicher als andere. Und siehe da. Eine kleine Feministin war geboren.
«In der einen Hand umklammerte ich meinen Feminismus, in der anderen den Umweltschutz.»
Dann, die grösste globale Jugendbewegung, Klimastreiks auf dem ganzen Planeten. Ich stürzte mich geradezu in diese Bewegung, dürstete danach, meine Wut über den zerstörten Planeten zu kanalisieren. Mein feministischer Ansatz blieb, doch ich fuhr zweigleisig: In der einen Hand umklammerte ich meinen Feminismus, in der anderen den Umweltschutz.
Erst mit den Black-Lives-Matter-Protesten und ihrem Ansatz der Intersektionalität lernte ich, dass diese Zweigleisigkeit zu wenig greift. Weder Sexismus noch die Klimakrise und genauso wenig der Rassismus ist ein Problem, das gesondert betrachtet werden kann. Wenn wir das Patriarchat angreifen wollen, müssen wir genauso auch den Rassismus und die Umweltzerstörung angreifen – und zwar nicht getrennt voneinander, sondern mit der Erkenntnis, dass sich jede Unterdrückung von anderen Arten der Unterdrückung nährt.
«Wir können erst nachhaltig leben, wenn alle Menschen gleichgestellt sind.»
Zu theoretisch?
Die Klimakrise ist die grösste soziale Frage, vor der wir stehen. Sie wird jede soziale Ungleichheit verschärfen. Frauen* sind stärker von Umweltkatastrophen betroffen, das Patriarchat macht aus Männern* Umweltverschmutzer, sie haben durchschnittlich einen grösseren Fussabdruck als Frauen*. Schwarze Menschen und People of Colour leben gerade in den USA, aber auch sonst auf der Welt häufig in Gebieten, in denen die Umweltverschmutzung am weitreichendsten ist und sind so tendenziell ihre ersten Opfer – und auch Armut ist ein verheerender Faktor dafür, wie du mit den Folgen des Klimawandels umgehen kannst.
Nicht zuletzt wurde die Klimakrise von einem Wirtschaftssystem des unendlichen Wachstums hervorgerufen, das darauf basiert, die Natur auszubeuten. Und dieses Wirtschaftssystem wurde von weissen Männern aufgebaut und wird immer noch von ihnen dominiert.
Will ich nun also die eine Hälfte des Kuchens, der nicht mehr als äusserst klebrige Süsse im Mund hinterlässt? Der auf ein System von Sexismus, Rassismus und der Ausbeutung der Natur und des globalen Südens basiert?
Wenn wir mit unserem Feminismus die Situation der Frauen innerhalb des Systems zu verbessern versuchen, wird einigen privilegierten Frauen Zugang zu Gewinnerpositionen verschafft, siehe Kamala Harris. Und trotzdem habe ich mich gefreut, dass sie nun Vizepräsidentin ist! Ich freue mich für jedes Mädchen, dass sie als Inspiration sieht. Aber versuchen zu denen aufzuholen, die oben in der Pyramide sind, ohne die Struktur der Pyramide selber zu verändern – das greift zu kurz.
Wir können erst nachhaltig leben, wenn alle Menschen gleichgestellt sind. Die riesigen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten wird uns dabei helfen, die willkürliche Hierarchie zwischen Natur und Kultur, zwischen Frau und Mann, zwischen Schwarz und weiss, zwischen dem Menschen und der Erde zu überwinden.
Wenn wir «die ganze Dualitätsscheisse» (Zitat meiner Mutter) verstehen und somit versuchen, hinter uns zu lassen, wenn wir uns als Teil einer Frau, als Teil eines Mannes, als Teil unserer Umwelt und als Teil eines Ganzen sehen, dann können wir den Laden umkrempeln. Ich bin immer vieles und nur wir alle, zusammen auf und mit diesem Planeten, sind eines.
Ganz herzlich,
Pauline Lutz
PS: Kleine Bemerkung am Rande: Dass so viele Mädchen* und Frauen* in ökologischen Bewegungen aktiv sind, finde ich nicht nur feministisch. Mal wieder sind's die Frauen, die brav den Dreck beseitigen. Und von der Putzfee zuhause zur Putzfee des Planeten zu mutieren, darauf habe ich eigentlich nicht so Bock.
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Pauline Lutz (2002) engagiert sich bei der Basler Klimajugend und studiert internationale Beziehungen in Genf. Die Kleinunternehmerin und ehemalige Ständerätin Anita Fetz (1957) politisierte bei der SP.