«Bunt, laut, magisch»
Nach der eingekesselten Demo am 1. Mai blickten viele dem Feministischen Streiktag mit einem mulmigen Gefühl entgegen. Heute hat sich gezeigt: Obwohl Tausende für ihre Anliegen einstanden und es lebhaft zuging, blieb es friedlich. Der Demobericht.
In Basel lag was in der Luft vor diesem 14. Juni, ein Gemisch aus Befürchtungen und Erwartungen. Nicht nur, weil Wahljahr ist (wenige Monate nach dem grossen Frauenstreik 2019 wurden bei den nationalen Wahlen so viele Frauen gewählt, wie nie zuvor). Sondern auch aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Demonstrationen in der Stadt. Zur Erinnerung: Am 1. Mai kesselte die Polizei einen Teil der bewilligten Demo über Stunden ein, am 8. März setzte sie Gummischrot gegen eine unbewilligte feministische Demo ein.
Heute zeigte sich: Demos in Basel können auch anders verlaufen.
Bereits eine halbe Stunde vor Demobeginn stehen Hunderte erwartungsvolle Teilnehmer*innen vor der Bühne auf dem Theaterplatz, tanzen, trinken Bier, schmieren sich mit Sonnencreme ein. Einige von ihnen haben schon den ganzen Tag gestreikt und am Programm teilgenommen, das das feministische Streikkollektiv gemeinsam mit den Gewerkschaften und weiteren Gruppen organisiert hat – schon am Morgen gab es eine Care-Demo mit Kinderwagen, Rollstühlen und Rollatoren, es gab Reden, ein Kickboxtraining und eine Tauschbörse. Kurz nach 17.30 Uhr kommt Bewegung auf, hinter dem grossen Transparent mit bunter «Feministischer Streik»-Aufschrift steht der Demozug ein und setzt sich in Richtung Bankverein in Bewegung, angeführt vom feministischen Streikkollektiv, dicht dahinter folgt die Unia mit roten und violetten Fahnen. Es sind viele Forderungen, die heute auf die Strasse getragen werden, da heisst es zum Beispiel: «Mutterschutz für Sans-Papiers», «Klimakampf = Patriarchat zerschlagen», «Nur Ja heisst Ja», «Kita ist kein Kinderspiel – zum Burnout fehlt uns nicht mehr viel!».
Nicht weit von dort, wo die Demo am 1. Mai nach wenigen Metern gestoppt wurde, ist dieses Mal nicht viel von der Polizei zu sehen. Ein paar Polizist*innen gehen in grossem Abstand der Demo voraus, sie tragen gelbe Westen und stehen nicht wie bei früheren Demos in Vollmontur vor den Banken.
Dafür erlauben sich vier Clown*innen ein paar Spässe. Sie befinden sich zwischen Demo und den Polizist*innen und tun es diesen gleich, wenn diese zum Beispiel ein vorbeifahrendes Auto durchwinken oder mit verschränkten Armen auf die Demonstrierenden warten. Beim Kunstmuseum rennen die vier auf einen am Rande stehenden Polizisten zu und winken ihm so enthusiastisch, dass dieser lachend zurückgrüsst.
Langsam zieht die Demo von hier aus über die Wettsteinbrücke. Aus dem Revolutionären Block im vorderen Drittel des Zuges tönt es: «One Solution – Revolution». Und während die Ersten bereits am Ende der Brücke angekommen sind, sind die Hintersten von hier aus nicht erkennbar. Im Kleinbasel hüllt zum ersten Mal lila Rauch einen Teil der Demonstrierenden ein.
Auf der Mittleren Brücke schweift der Blick zur Wettsteinbrücke. 2019 waren so viele Teilnehmende auf den Strassen, dass sich der Demozug auf beiden Brücken gleichzeitig befand. Heute ist das nicht so. Dennoch: Es sind viele. Die Polizei geht von 8-9’000 Personen aus, die Organisator*innen sprechen von 50-60’000. Ein frappierender Unterschied in der Einschätzung. Die Wahrheit: Wohl irgendwo dazwischen.
Die Stimmung bleibt stabil ausgelassen, und die Menge scheint auch nach dem Ende der Demo nicht an Energie verloren zu haben. Franziska Stier vom feministischen Streikkomitee zieht ein positives Fazit. Die Teilnehmerzahl habe ihre Erwartungen weit übertroffen, sagt sie und schwärmt: «Es war super, es war bunt, es war laut, es war magisch.»
Nach den Erfahrungen des 1. Mai haben viele auf linker Seite befürchtet, solche Polizeieinsätze könnten einen «Chilling Effekt» haben, also Leute aus Angst davon abhalten, künftig ihr Demonstrationsrecht wahrzunehmen. Ist dieser angesichts der grossen Teilnehmer*innenzahl also ausgeblieben? Franziska Stier erzählt von «vielen Meldungen» von Personen, die «der Demo wegen der Polizeigewalt fernbleiben wollten». Rückblickend sagt sie: «Nun denke ich, dass wir dem relativ gut gegensteuern konnten, auch dank der Gespräche mit der Polizei. Aber natürlich», wirft sie noch ein, «die kollektive Gewalterfahrung bleibt. Nur weil’s heute geklappt hat, sind die Schmerzen nicht vergessen.»
Danielle Kaufmann von den Demokratischen Jurist*innen sieht das ähnlich. Einen Chilling Effekt gebe es. Aber «die Power» sei heute wohl grösser gewesen. Und das zeigt sich auch, als die Abendsonne kurz vor 20 Uhr auf den Steinenberg scheint und noch immer Hunderte zu Beyoncés «Run the world (Girls)» auf der Strasse tanzen.
Und die Polizei? Die Demo sei «ohne relevante polizeiliche Vorkommnisse» verlaufen, schreibt sie auf Twitter. Dass sich die Polizei im Vergleich zu anderen Demos merklich im Hintergrund gehalten hat, habe mit dem Dialog im Voraus zu tun, sagt Sprecher Adrian Plachesi nach Ende der Kundgebung am Telefon. Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann (LDP) hatte ein Treffen initiiert und so ihrem nach dem 1. Mai angekündigten Rückkehr zum Dialog Taten folgen lassen. «Unsere Vorsteherin hat zu einem Gespräch eingeladen mit den Organisatorinnen, der Einsatzleitung und dem Kommandanten. Dort hat man den Willen zu einer friedlichen Demo gespürt», sagt er, dadurch hätten sie «das Demonstrieren in einer friedlichen Art und Weise ermöglichen» können.
Mitarbeit: Ernst Field
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