Wie können wir Gewalt gegen Lehrer*innen künftig verhindern?

Lehrpersonen sehen sich Bedrohungen und Beleidigungen ausgesetzt. Können Kommunikation und Weiterbildung wirklich die Lösung sein? Das Erziehungsdepartement legt noch keinen Fahrplan vor.

taylor-flowe-4nKOEAQaTgA-unsplash
Lehrer*innen müssen viel einstecken. (Bild: Unsplash / Taylor Flowe)

Zwei von drei Lehrer*innen berichten davon, in den vergangenen fünf Jahren Gewalt erlebt zu haben – hauptsächlich in Form von Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen, aber auch in Form von physischer Gewalt. Laut einem Beitrag des SRF über eine Studie des Dachverbands Lehrer*innen und Lehrer Schweiz LCH geht die Gewalt grösstenteils von Eltern, aber auch von Schüler*innen aus.

Auch bei unserer «Frage des Tages», ob der Lehrberuf unter diesen Umständen noch zumutbar ist, gab es solche Wortmeldungen. Simone kommentierte, man habe mit Stühlen und Tischen nach ihr geworfen.

Kommentar Simone Lehrerin Frage des Tages
«Von Beleidigungen spreche ich gar nicht erst.»

Bei Kommentatorin Lavinia führt dieses hohe Gewaltpotenzial zur Frage, was die Eltern und Schüler*innen mit ihrem «unangepassten Verhalten» aufzeigen wollen: «Sie agieren nicht bewusst schlecht, sondern reagieren auf ihre Realität und lassen ihre Gefühle leider unbeherrscht an den Lehrpersonen aus.» Lavinia findet, dass diese Tendenzen ernst genommen werden müssen. Dazu brauche es mehr soziokulturelle, niederschwellige und partizipative Projekte, die das Zusammenleben und den Respekt fördern. Ihr Vorschlag ist beispielsweise eine betreute «School Box» auf dem Pausenhof.

Die Primarlehrerin Nadine Bühlmann sieht es genauso wie Lavinia. Im Moment der Aggressivität Lösungen zu finden, sei kaum möglich. Doch in Gesprächen über die Ursachen im Nachgang könnten Lehrpersonen sowie die Kinder, Jugendliche oder Eltern gemeinsam schauen, welches gegenseitige Verständnis es braucht, um ein «nächstes Mal» zu verhindern. Unterstützung könne von Sozialpädagog*innen, Sozialarbeiter*innen, Zivis und Heilpädagog*innen kommen, doch nicht in Form von Delegieren, sondern Zusammenarbeiten.

«Bei Eltern anfangen»

Kann so durch Kommunikation Gewaltpotenzial verringert werden? In der Gärngschee-Community gab es verschiedene andere Ansätze. So findet Pat, man müsste bei den Eltern anfangen und diese bei gewalttätigen Entgleisungen konsequent anzeigen und strafverfolgen. Bei den Schüler*innen könnte ein Perspektivwechsel helfen, so René: Sie könnten selbst für einen begrenzten Zeitraum Lehrstunden gestalten und Verantwortung für die Klasse übernehmen. So könnte ihr Respekt für den Beruf gestärkt werden.

Bereits heute gibt es Möglichkeiten für Lehrpersonen, sich in schwierigen Situationen Unterstützung zu holen: beim Schulpsychiatrischen Dienst, bei der Lehrpersonenberatung, der Kriseninterventionsstelle oder der Supervision des Pädagogischen Zentrums. Die Fachhochschule Nordwestschweiz hat ein Merkblatt zu Gewalt und Aggression unter Schüler*innen erstellt.

Es gibt in diesem Kontext das Prinzip der Friedenstreppe, mit der vor allem Konflikte bei Kindern angegangen werden können. Dabei geht es um das Artikulieren der eigenen Gefühle und das Nachvollziehen der anderen Seite.

Die Studie zur Gewalt an Lehrpersonen hat das Erziehungsdepartement auf dem Schirm. Laut Mediensprecher Simon Thiriet werden die Resultate analysiert. Gewalt gegen Lehrpersonen bezeichnet er derweil als «Einzelfälle». Eine Person, die unter dem Pseudonym «Lehrperson Sek I BS» kommentiert, ärgert sich über diese Aussage: «Kann man Fakten offensichtlicher ignorieren?»

Für diese Lehrperson wäre die richtige Frage viel mehr, warum das Erziehungsdepartement noch keinen Plan vorgelegt hat, um den Lehrberuf wieder attraktiver zu gestalten – zum Beispiel, wie man die ständige Pensenreduktion «aus Selbstschutz der Mitarbeitenden» reduzieren könnte. Zu dieser Frage im Detail wollte Simon Thiriet nicht Stellung beziehen.

Bajour-Herz
Bajour steht für unabhängigen Journalismus.

Unterstütze uns und werde Member.

Das könnte dich auch interessieren

Speak Up

Jelena Schnüriger am 25. September 2024

«Ich wurde schon oft wegen meiner Nationalität beleidigt»

Das Projekt «Speak Up!» gibt Jugendlichen eine Bühne, über ihre Erfahrungen mit Diskriminierung sprechen. In selbst gedrehten Videos erzählen sie von eigenen Erlebnissen und Beobachtungen. Bajour war beim Videodreh dabei.

Weiterlesen
Opferhilfe

Helena Krauser am 23. September 2024

«Welcher Mann will zugeben, dass er von seiner Frau geschlagen wird?»

Die Opferhilfe beider Basel will verhärtete Opfer-Täter-Bilder aufbrechen und spricht mit der Sensibilisierungskampagne «Gewalt kennt kein Geschlecht» explizit Männer an.

Weiterlesen
Laptop Schule

Valerie Wendenburg am 19. September 2024

«Die Schule trägt eine Mitverantwortung»

Schüler*innen in Basel erhalten ab der 5. Klasse für den Unterricht einen persönlichen Laptop, den sie auch nach Hause nehmen können. Das stellt viele Eltern vor Herausforderungen, weil es allein in ihrer Verantwortung liegt, wie die Kinder die Geräte daheim nutzen.

Weiterlesen
Schulweg

Helena Krauser am 06. September 2024

Sicher zur Schule

Die Initiant*innen der Petition für einen sicheren Schulweg im Lysbüchel sind enttäuscht von den Antworten des Erziehungsdepartements. Auch Grossrätinnen machen bei dem Thema nun Druck auf den Regierungsrat.

Weiterlesen

Kommentare