Wie würden Ausländer*innen abstimmen?
Ende September wird hierzulande abgestimmt. In einem Online-Projekt versuchen Private zu erheben, wie Ausländer*innen sich zu den Vorlagen positionieren würden, wenn sie denn dürften.
Um die Welt zu verändern, muss man manchmal gross denken. Das versucht Anne Maigatter, eine gebürtige Deutsche, die seit zwölf Jahren in Basel lebt und arbeitet. Politisch mitbestimmen darf sie dennoch nicht. «Ein Schlag ins Gesicht» sei das, wie sie im Gespräch mit Bajour sagt. «In einer für mich idealen Welt wäre politische Mitsprache nicht an Staatsbürgerschaft gebunden.» Doch bis es soweit ist, dürfte es noch eine Weile dauern, erst im November 2024 wurde das Ausländer*innenstimmrecht im Kanton Basel-Stadt erneut abgelehnt. Deshalb nimmt Maigatter die Sache selbst in die Hand.
Sie hat ein ehrenamtliches und politisch neutrales Projekt lanciert, mit welchem die nicht-schweizer Stimme bei aktuellen Abstimmungsvorlagen erhoben werden soll. Auch für die anstehende Abstimmung vom 28. September hat sie eine Online-Abstimmungsumfrage aufgeschaltet, in der sie die Meinung zum Eigenmietwert und der E-ID auf nationaler Ebene sowie zu einem starken Europa in der Verfassung auf kantonaler Ebene abfragt. Die Abstimmungsumfrage richtet sich gezielt an Menschen ohne Schweizer Pass, die in der Schweiz wohnen (Neugierige können sich hier umschauen) und soll Zahlen und Fakten liefern.
«100 bis 1000 Personen, die sich an der aktuellen Abstimmungsumfrage beteiligen würden, wären ideal.»Anne Maigatter
Wie Anne sagt, sei es längerfristig ihr Ziel, ein Kollektiv zu gründen, das in der ganzen Schweiz die fehlenden Daten erhebt. Pro Kanton bräuchte es hierfür ihrer Meinung nach ein bis zwei Personen. Bisher hätten vor allem Menschen aus ihrem Freundeskreis bei den Abstimmungsumfragen mitgemacht, aus «einer links orientierten Bubble», wie sie sagt, was die Aussagekraft der Resultate schmälerte.
«100 bis 1000 Personen, die sich an der aktuellen Abstimmungsumfrage beteiligen würden, wären ideal», meint Maigatter. Doch sie finde es schwierig, an politisch interessierte Ausländer*innen zu gelangen. So sei sie erst noch daran, herauszufinden, ob das Bedürfnis nach Mitsprache bereits bestehe. Oder ob dieses erst noch geweckt werden müsse. Im gleichen Atemzug kritisiert sie, dass der Kanton sich zu wenig engagiere, Ausländer*innen mit an Bord zu holen. So kann das Abstimmungsbüchlein zwar auch von Nicht-Schweizer*innen bestellt werden, doch fände sie es angemessener, wenn einem dieses einfach so zugeschickt würde. Was natürlich auch eine Kostenfrage wäre.
Informationen online abgefragt
Regierungssprecher Marco Greiner sagt auf Nachfrage, dass sich eine Bestellung des gedruckten Büchleins bei der Staatskanzlei meistens erübrige, weil die Informationen in der Regel online abgefragt würden. Und er widerspricht der Kritik am Kanton: So unterstütze dieser verschiedene Angebote von Migrationsorganisationen, welche die kulturelle und soziale Teilhabe förderten. Zudem könnten Migrationsvereine und Religionsgemeinschaften Informationsmodule buchen und sich von Expert*innen über diverse Themen informieren lassen wie «Was ist Demokratie?», «Das politische System der Schweiz» oder «Deutsch Integration, Partizipation».
«In der vom Kanton unterstützten Migrant*innensession geht es beispielsweise konkret um politische Teilhabe.»Marco Greiner, Regierungssprecher
Der Kanton ermögliche zudem Personen ohne Schweizerpass zahlreiche Möglichkeiten der Mitwirkung: «In der vom Kanton unterstützten Migrant*innensession geht es beispielsweise konkret um politische Teilhabe.» Es stünden der Migrationsbevölkerung auch weitere Wege offen, sich politisch zu engagieren, wie beispielsweise mittels Petition.
Bald auch analog?
Selbstkritisch gesteht Anne ein, dass sie gewisse Gruppen innerhalb der ausländischen Community ausschliesse, indem die Abstimmungsumfrage (bisher) nur online stattfindet. «Dies zu ändern, steht auf meiner To-Do-List», sagt sie. Doch ihr ist noch nicht klar, was der beste Weg wäre, um die Menschen analog zu erreichen. Denkbar wäre eine Postkarte, doch dafür reichten die Ressourcen aktuell nicht aus.
Die gelernte Organisationspsychologin räumt zudem ein, dass der grösste Kritikpunkt an ihrer Abstimmungsumfrage die fehlende Identitätsabfrage sei. Diese ist komplett anonym, auch die Email-Adresse wird nicht abgespeichert. Abgefragt wird lediglich die Anwesenheitserlaubnis, der Wohnkanton sowie die Aufenthaltsdauer. Dies sei zum aktuellen Zeitpunkt bewusst so gewählt, um die Teilnahmehürde möglichst gering zu halten.
Ziel nicht aus Augen verlieren
Bei allen Detailfragen versucht Maigatter, ihr Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: Ausländer*innen bei Abstimmungen eine Stimme zu geben und Fakten liefern zu können, wie Ausländer*innen abstimmen würden, wenn sie könnten. In der Hoffnung, dass künftig neben den Abstimmungsergebnissen von Schweizer*innen auch diejenigen der Ausländer*innen angezeigt werden.
Es ist das erste Mal, dass Maigatter mit ihrem Projekt an die Öffentlichkeit geht, was ihr nicht leicht fällt, denn es handelt sich um ein persönliches Thema, mit dem sie sich positioniert. Noch macht sie alles alleine, doch sobald das Projekt mehr Fleisch am Knochen hat, möchte sie auch das Bundesamt für Statistik kontaktieren für eine allfällige Zusammenarbeit. Oder sogar einen Brief an Bundesrat Beat Jans schreiben, von dem sie sich Unterstützung erhofft. Think big eben. Sonst verändert sich die Welt nie.