«Wieso bekommt unser Beruf erst durch diese Krise seine verdiente Wertschätzung?»
Martin Krumm ist Lastwagenfahrer und hat für Bajour aufgeschrieben, wie er die Zeit des Lockdowns und der Lockerungen erlebt.
Hintergrund: Martin Krumm ist Lastwagenführer aus dem Gundeli. Als wir Anfang Mai unsere Corona-Löhne publik machten, meldete er sich auf Facebook: Er bekomme als Berufsfahrer 100 Franken weniger und habe dabei mehr Präsenzzeit. Wo gäbe es bei uns den Quereinstieg vom Trucker zum Journalisten? Unser Co-Chef nahm ihn beim Wort: 6'000 Zeichen über seine Sicht der Dinge und er würde es sich anschauen. Kurze Zeit später hatten wir eine Nachricht in unserer Inbox: Ein Bericht aus dem Führerstand eines Camionneurs. Martin Krumm hatte geliefert. Das hier ist sein Text.
Der 28. Februar 2020 war ein ganz besonderer Tag. Es war mein 45. Geburtstag, den vergisst man nicht so schnell. Dass er aber auch ein bleibendes Datum in der Chronik der Stadt Basel sein würde, hätte ich nicht gedacht.
Ich war an dem Tag damit beschäftigt, mit dem Lastwagen die Entsorgungsbehälter für die Fasnacht in Liestal zu stellen. Je länger die Arbeit ging, desto unguter wurde das Gefühl. Die Zahlen der Infizierten stiegen immer weiter, man konnte eigentlich davon ausgehen, dass Veranstaltungen wie die Fasnacht nicht mehr erlaubt sein würden. Ich und meine Kollegen begannen bereits Wetten abzuschliessen, ob wir die gestellten Container am Nachmittag wieder leer abholen müssten. Und tatsächlich: Als ich den letzten Container geladen hatte, kam das Telefon der Einsatzleitung mit der Weisung, für 30 Minuten zu pausieren: Der Regierungsrat in Liestal tagte ausserordentlich.
Nach diesen 30 Minuten hatten wir alle Gewissheit: Grossveranstaltungen über 1000 Leute wurden abgesagt und verboten. Damit sicher auch die Fasnacht 2020. Die bereits gestellten Container in Liestal waren somit überflüssig.
So fing es an. Unser Leben als Lastwagenfahrer begann sich zu verändern.
Wir sind es uns gewohnt, dass man uns böse anstarrt, wenn wir mal wieder beim Manövrieren eine Strasse sperren. Oder an einem Rotlicht den Velofahrer*innen den Platz streitig machen und die sich mit einem Stinkefinger den Weg trotzdem durchbahnen. Mit der Krise änderte sich dieses Verhalten schlagartig. Anstelle des Mittelfingers bekam ich ein Daumen hoch – und es wurde beim Manövrieren auch weniger gelästert. Man schätzte uns plötzlich und musste neidlos anerkennen, dass wir doch gebraucht werden. Es war ein schönes Gefühl: Ich war systemrelevant!
«Ein schönes Gefühl: Ich war systemrelevant!»Martin Krumm, Berufsfahrer.
Positiv war auch, dass wir mit unseren grossen und breiten Fahrzeugen nun plötzlich schneller mit der Arbeit waren. Die Massnahmen, die zum Ziel hatten, dass sich möglichst wenige draussen aufhalten, sorgten gleichzeitig für freie Strassen. Im Hinblick auf einen Versorgungsengpass mit diversen Gütern hatte der Bundesrat im Transport gewisse Verordnungen gelockert. Wir durften länger pro Tag unterwegs sein und auch unsere Höchstarbeitszeit pro Woche verlängern, aber mit den quasi staufreien Strassen war dies meist nicht nötig. Eine Strecke, für die wir normalerweise um die 90 Minuten brauchen, liess sich in etwas über 70 Minuten bewältigen.
Die Firma, für die ich arbeite, besorgt die Entsorgung und Versorgung von fast allen wichtigen Bereichen, von Pharma über Tech bis hin zu Lebensmitteln. Wir hatten keinen Unterbruch, geschweige denn zu wenig Arbeit. Wenn ich früh am Morgen mit dem Tankwagen auf der Autobahn war, ging es schnell. Ein Kantonsspital hier, ein anderes da, dann noch schnell eine volle Ladung an diese Pharmafirma und kurz darauf an eine andere. Die Arbeit ging sehr leicht und man wurde gern gesehen. So macht Lastwagenfahren Spass.
Der Lockdown hatte eine positive Nebenwirkung für den Strassentransport: Er senkte die Kosten. Man fuhr flüssiger und sparte dabei an Kraftstoff und Verschleiss. Wir Fahrer*innen waren stressfreier unterwegs und es passierten weniger Unfälle. Unter Umständen blieb sogar noch Zeit, um eine kleine regionale Fuhre zu erledigen.
Es war schön, in der Corona-Zeit von vielen Seiten her Respekt zu erfahren. Denn das Transportgewerbe ist ein wichtiger Pfeiler für die Gesellschaft. Gemessen an der Tonnage der Güter, die der Lastwagen transportiert, ist er ausserdem keine Umweltschleuder, sondern sehr ökologisch. Aber wieso bekommt unser Beruf erst durch diese Krise die Wertschätzung, die ihm zusteht? Das macht mich nachdenklich.
Wir haben mehr Respekt verdient. Ich hoffe, das bleibt in den Köpfen der Leute, wie auch immer die Krise endet. Denn die Logistik- und Transportbranche wird wie immer für euch da sein und euch das bringen, was ihr zum täglichen Leben braucht und darüber hinaus. Bitte denkt daran, auch jetzt, wo langsam die «Normalität »zurückkommt.
Stichwort «Normalität»: Wie geht es jetzt weiter? Die Lockerungen sehe ich sehr gemischt. Man sehnt sich nach einer Normalität, die so nicht zurückkommen wird und riskiert mehr Leute in der Öffentlichkeit und somit wieder steigende Zahlen an Infizierten. In zwei Wochen werden wir Gewissheit haben; Stichwörter Steine und überfüllte Freie Strasse. Meiner Meinung nach gehen die Vorschriften zum Abstand je länger je mehr vergessen. Ohne Maskenpflicht werden die Lockerungen kontraproduktiv verlaufen.
Trotzdem glaube ich, dass jede Krise ihr Gutes hat und sich darauf aufbauen lässt. Ich für meinen Teil nehme sehr gerne die Freundlichkeit und die netten Gesten mit, die mir die Gesellschaft als Lastwagenfahrer entgegengebracht hat. Solche gab es bis zu Corona selten bis gar nicht.
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