Hier ist der Wurm drin
Würmer fressen mit Vorlieben unseren Bioabfall und machen daraus fruchtbare Erde. Der Südafrikaner Clinton Friedman will die Basler*innen deshalb von Wurmkompostierung begeistern. Wir haben ihn bei der Wurm-Ernte begleitet.
«Look at that», sagt Clinton Friedman und zieht voller Ehrfurcht einen Knoten Würmer aus dem Dreck. Wie ein stolzer Vater schaut er auf die rosa Kringel, die sich um seinen schwarzen Einweg-Handschuh winden. «No worm left behind», sagt er und gibt sie in einen Eimer. Sein Hund Woody tollt aufgeregt durch den Garten, während sich der 54-Jährige weiter in der Erde zu schaffen macht.
Clinton Friedman heisst nicht nur wie ein Holzfäller, mit der roten Flanneljacke sieht er auch wie einer aus. Aber er ist wohl eher sowas wie ein Cowboy für Würmer, ein Wormboy quasi. Clint, wie er am liebsten genannt wird, bezeichnet sich als «Worm Hero». Denn für die Würmer ist er tatsächlich so etwas wie ein Held, denn er versorgt sie mit reichlich köstlicher Nahrung: Küchenabfällen. «Ich stelle mir vor, dass sie jubeln, sobald ich den Deckel der Kompostboxen hebe und sie mein Gesicht sehen.» Ein bisschen mag man es ihm glauben.
Heute ist Ernte. Friedman muss nämlich Wurm-Nachschub für einige seine Kund*innen besorgen. Zwei Päckli mit je einem halben Kilo Würmer soll es geben, eins wird er mit der Post nach Sion schicken, das andere nach St. Gallen. Bei ein paar Freund*innen, die seine «Worm Café» genannten Wurmkompostierungs-Boxen zuhause im Garten haben, darf der 54-Jährige für die Ernte ab und an ein paar Würmer aus den Boxen stibitzen.
Dieser Wurm-Diebstahl ist kein Problem: «Wenn sie genug Futter und Platz haben, vermehren sie sich sehr schnell wieder», sagt er, während er die Erde in der Box ein paar Mal mit der Hand lockert. So wie bei herkömmlichen Komposthaufen muss auch hier die Erde immer wieder gewendet werden, um den Kompost zu vermischen und Fäule zu vermeiden. Doch hier geht es einfacher, denn die Boxen sind kompakt. Friedman macht es mit den Händen – wer sich vor Würmern ekelt, kann aber auch eine Gartenkelle nehmen. Andererseits: Wer sich für Würmern ekelt, für den ist wohl auch Wurmkompostierung nichts.
«Wenn ich nichts anderes im Leben erreicht habe, dann habe ich immerhin einen Haufen Erde produziert.»Clinton Friedman
Friedman verspürte von Anfang an keinen Ekel vor den Würmern. Die ersten Exemplare für sein Kompost-Projekt hat er aus einem Haufen Rossmist im Berner Seenland gezogen, wo er «vor 30 Sommern» aus Südafrika der Liebe wegen hinzog – heute lebt er der Liebe wegen in Basel. «Aber alle Nachkömmlinge in den Worm Cafés sprechen noch immer Berndeutsch», scherzt er, als wir uns in sein Auto setzen und zur nächsten Station seiner Wurm-Ernte fahren.
2017 brachte ihn eine befreundete Biologin aus Südafrika auf den Wurm. Sie hatte grosse Visionen, eine Business-Idee von Wurmkompostierungs-Anlagen mit 30 Metern Durchmesser, die man in ganz Europa vermarkten könnte. Friedman gefiel die Idee, aber die Zusammenarbeit entzweite die beiden. Doch die Würmer liessen ihn nicht los. Er bestellte eine erste Ladung Worm Cafés aus Australien, um sie in der Schweiz zu verkaufen.
Während andere mit Mitte 40 eine Midlife Crisis haben, fing er also an, sich der Wurmkompostierung zu widmen. «Nach 20 Jahren in der Telekommunikationsbranche habe ich mich gefragt, was eigentlich mein Beitrag zum Guten in der Welt ist», sagt er und fügt verschmitzt an: «Wenn ich nichts anderes erreicht habe, dann habe ich immerhin einen Haufen Erde produziert.»
Was genau passiert, damit die Würmer aus Grünabfällen «black gold», also beste Komposterde machen, kann Clint Friedman selbst nicht erklären, als wir aus seinem Auto steigen, um uns an der nächsten Station wieder den Worm Cafés widmen. Dennoch spricht er mit schulbübischer Faszination über die Würmer: «Man fährt eine Woche in die Ferien und lässt sie mit dem Grünabfall alleine – und danach ist nur noch Kompost übrig.»
Die Worm Cafés, die Friedman anbietet, haben ein spezielles System: Eine 32 Liter fassende Wanne, in der man seine Grünabfälle reinschmeissen kann. Wenn die Wanne voll ist, stellt man einfach eine neue Wanne oben drauf und füllt diese. Durch kleine Löcher in den Wannen können die Würmer jeweils in die nächste Ebene kriechen, wenn sie auf der unteren fertiggemampft haben.
Durch die Löcher kann auch der «Worm Tea» abtropfen, der bei dem Kompostierungsprozess entsteht. Friedman schiebt einen Eimer unter die Konstruktion und betätigt einen Zapfhahn, worauf eine schwarze Flüssigkeit in den Eimer plätschert. Auch das: Natürlich kein einfaches Abfallprodukt – sondern hervorragender Dünger. «Jedes Mal, wenn ich den Worm Tea zu meinem Oleander gebe, blüht er», sagt er.
Viel Platz braucht das Ganze nicht. Gerade in Basel, wo es keine staatliche Grünabfuhr gibt – und Küchenabfälle ganz unorthodox auch mal im Bebbi Sagg verschwinden – sind die kompakten Worm Cafés für ihn eine gute Kompost-Alternative, wenn man in der Mietwohnung keinen Garten, sondern nur einen Balkon hat. Überwintern ist für die Würmer kein Problem – «man könnte sie aber auch in die Keller oder sogar Wohnung stellen», findet Friedman. Denn so wirklich nach Abfall riecht es bei den Worm Cafés nicht, wie ein Nasenschein an mehreren Standorten zeigt.
Das überrascht, da der lateinische Name der Kompostwürmer «Stinkwürmer» ist. Den Gestank absondern die Würmer aber nur, wenn sie gestresst sind – was im Kreislauf-System eines gemütlichen Worm Cafés nicht der Fall sein sollte. Friedman nennt sie lieber «red wigglers», das klingt liebevoller. Aus seiner Sicht sind sie die perfekte Wahl für die Kompostierung, denn sie sind sehr pflegeleicht, widerstandsfähig und haben viel Hunger: Sie können täglich das anderthalbfache ihrer Körpergrösse essen – im Worm Café werden wöchentlich ein bis zwei Kilo Grünabfall gefuttert.
Als Friedman so durch den wurmstichigen Dreck wühlt, hat er auf einmal einen halben Laib Brot in der Hand. Eigentlich sollten seine Kund*innen wissen, dass das den Würmern dann doch eine Nummer zu gross ist. Grosse Mengen Fleisch, Teigwaren, Zwiebeln, Kabis – das mögen die Würmer nicht und lassen es im Dreck liegen.
Sonderlich heikel sind die Würmer aber nicht mit ihrem Menu. Zum Beweis streut Friedman ein paar Briefkuverts in den Kompost: Papier und Karton kompostieren sie mit dem gleichen Eifer wie Avocados und Bananen. Als wir uns wieder auf den Weg zum Auto machen, kommen wir an einer Kartonsammlung vorbei. Friedman stockt kurz. «Man fängt an, Karton mit ganz anderen Augen zu sehen», sagt er. Vielleicht so wie Nagetierbesitzer, wenn sie Löwenzahn auf der Wiese erspähen.
Sogar ein T-Shirt können seine Würmer kompostieren, wie Friedman vor kurzem demonstrierte, als er in einem Kindergarten zu Besuch war. Das würde er gerne wieder machen – Kindern mit der Wurmkompostierung zeigen, wie unsere Natur funktioniert. Man lernt dabei, die Funktionsweisen der Erde zu verstehen. Friedman verweist gerne auf ein Zitat von Charles Darwin:
«Es darf bezweifelt werden, dass sich noch viel mehr solcher Tiere finden lassen, die in der Weltgeschichte eine derart wichtige Rolle gespielt haben wie diese einfach organisierten Lebewesen.»Charles Darwin
Als wir wieder in seinem Auto und im Basler Stau sitzen – sein Radio spielt gerade «Knocking on heavens door» – sagt Friedman: «Man kann von den Würmern viel über Dankbarkeit lernen.» Sie brauchen nicht viel, nur etwas Erde und den Müll, den wir ihnen lassen – und schenken dafür neues Leben. Wenn ein Wurm stirbt, wird auch dieser kompostiert. Der Kreislaufgedanke schmälert vielleicht die Last der eigenen Vergänglichkeit ein bisschen. Und er gibt der Existenz in einem an natürlichen Wundern nicht armen Universum einen Sinn – wenn sogar ein kleiner Wurm einen Unterschied machen kann.