Linke, hört die Signale

Dieser Ohrfeige bei der AHV ist auch selbstverschuldet. Zeit, dass die Linke Lösungen fürs Rentenproblem sucht, statt nur Reformen zu verhindern. Ein Kommentar.

Martine Docourt, Co-Praesidentin SP Frauen, Cedric Wermuth, Co-Praesident SP, Tamara Funiciello, Nationalraetin SP-BE, Co-Praesidentin SP Frauen, Tom Cassee, Co-Generalsekretaer SP, Prisca Birrer-Heimo, Nationalraetin SP-LU, Samira Marti, Nationalraetin SP-BL, Mattea Meyer, Co-Praesidentin SP, und Emmanuel Amoos, Nationalrat SP-VS, von links, reagieren auf die erste Hochrechnung, beim Versammlungsort der Linken, am Sonntag, 25. September 2022 im Progr in Bern. Die Linke lehnt mehrheitlich die AHV-Vorlage und die Verrechnungssteuer-Vorlage ab, und unterstuetzt die Massentierhaltungsinitiatve. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Enttäuschte Linke nach dem Ja der Schweizer Stimmbevölkerung zur AHV-Reform.

Die Gewerkschaften haben sich einen Gläpper eingefangen. Das Resultat war sehr knapp. Am Ende haben die Linken verloren, und das zum ersten Mal seit fast 20 Jahren bei einer Rentenabstimmung. Damit verlieren sie an Einfluss im nationalen Parlament: Bisher konnte die Linke bei der Altersvorsorge ihr Referendumsgewicht in die Waagschale werfen nach dem Motto: Gehen die Bürgerlichen zu weit, bekämpfen sie die Reform mittels Volksabstimmung und gewinnen. 

Dieses Mal ist die Bevölkerung der Linken aber nicht gefolgt. Das dürfte die Macht der Linken im Parlament schwächen.

Was ist passiert?

Wer verhindert, muss auch Lösungen präsentieren. Und das hat die Linke verpasst.

Zum einen waren nebst der grossen Allianz von GLP bis SVP auch alle grossen Medienhäuser für die Reform. Nur die linke WoZ hielt dagegen. Eine schwierige Ausgangslage.

Zum anderen zeigt die Mehrheit der Schweizer Männer offenbar wenig Verständnis für die Rentenproblematik der Frauen, die sich vor allem aus der Familienarbeit ergibt (unten mehr dazu).

Die Linke hat aber auch zwei grosse Fehler gemacht. 

  1. Erstens: Teile der Linken haben 2017 den Rechten dabei geholfen, die AHV2020 zu bodigen - ein Kapitalfehler. Die Reform wollte auch das Rentenalter 65 für Frauen, hätte aber unter anderem die AHV-Rente erhöht (um 70 Franken) - eine solche Stärkung des wichtigsten linken Sozialwerkes kommt nicht mehr so schnell. Da hat die Linke ihre Chance verpasst. Man muss aber sagen: Das war nicht in erster Linie die Schuld der SP und der grossen Gewerkschaften, diese unterstützten den Kompromiss mit der Mitte. Die Opposition kam aus der linksideologischen Ecke: Jusos und Welsche Gewerkschaften. Zusammen mit SVP und FDP liessen sie die Reform scheitern. 
  2. Zweiter Kapitalfehler: Die Linke hat es seither nicht geschafft, Lösungen für das Rentenproblem zu präsentieren. Die Schweiz steht nun einmal vor der Tatsache, dass die Menschen älter werden und die Geburtenraten sinken: Immer weniger Menschen zahlen für immer mehr Pensionierte ein, das geht nicht auf. 

Dafür braucht es Lösungen. Doch während Bundesrat und Parlament Reform nach Reform formulierten, sang die Linke ein Klagelied über die diskriminierten Frauen. Und negierte die Finanzierungslücken der AHV.

Wer der Linken folgte, musste eine Wette auf eine ungewisse Zukunft abgeben. Das war vielen Menschen wohl zu riskant.

Dass wir uns hier richtig verstehen: Das weibliche Klagelied ist durchaus berechtigt. Unsere Gesellschaft legt den Frauen, insbesondere den schlecht ausgebildeten Müttern, alle möglichen Steine in den Weg, anständig Geld zu verdienen und bestraft sie nachher bei der Pensionskasse dafür (Stichwort Koordinationsabzug). Von daher ist es durchaus bedenkenswert, dass die Schweizer Männer ihre Mütter, Partnerinnen, Freundinnen und Töchter hängen liessen. Und auch die Männer mit kleinen Einkommen. Die, die viel verdienen oder Vermögen haben, arbeiten ja sowieso nicht bis 65, weil sie sich tendenziell frühpensionieren lassen.

Nur: Wer verhindert, muss auch Lösungen präsentieren. Und das hat die Linke verpasst. Der konkreteste AHV-Sanierungs-Vorschlag war, die AHV mit den bisherigen Negativzinserträgen der Nationalbank aufzubessern. Nur: Gerade jetzt wird wieder klar, wie unzuverlässig Nationalbankgewinne sind.

Ansonsten hört man von der Linken nur vage Ideen: Die AHV soll gestärkt und die 2. Säule längerfristig abgebaut werden. Das betonte die SP-Wortführerin in Finanzfragen, Jacqueline Badran, im Abstimmungskampf: Es sollten (...)  möglichst viele Lohnprozente vom BVG in die AHV verschoben werden. Schon mit einem Lohnprozent mehr könnte man eine 13. AHV-Rente finanzieren.» 

Weniger einzahlen, mehr Rente bekommen, klingt aus Sicht von Menschen mit kleinem oder mittleren Lohn vernünftig (aus Sicht der Versicherungslobby weniger). 

Aber eine vage Idee ist noch kein Plan. Wer der Linken folgte, musste daher eine Wette auf eine ungewisse Zukunft abgeben. Und das in unsicheren Zeiten. 

Letzteres war vielen Menschen wohl zu riskant. 

Die Linke hat zwar Macht eingebüsst. Aber kluge Strategien im Rententhema tun nach wie vor not.

Aber: Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung. Die Linke hat zwar Macht eingebüsst. Doch kluge Strategien im Rententhema tun nach wie vor not: Bereits 2030 droht der AHV das nächste Defizit, die nächste Reform muss also aufgegliedert werden. Und auch in der zweiten Säule braucht es Verbesserung, vor allem für die Menschen mit schlechten Löhnen und Familienverantwortung (Stichwort Teilzeitarbeit) – und ja, das sind in der Mehrheit immer noch die Frauen. Die bürgerliche Politik hat beschämenderweise bis jetzt wenig Willen gezeigt, die Situation der weiblichen Bevölkerung zu verbessern.

Die Linke sollte sich daher jetzt daran machen, eine kluge Rentenreform auszuarbeiten, welche die AHV endlich existenzsichernd macht und gerade den Leuten mit kleinem Einkommen die Angst vor dem Alter nimmt. So, wie es in der Schweizer Verfassung steht.

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