Wie erfolgreich wären Studis ohne Matur?

In Basel sollen Über-30-Jährige auch ohne Matur an die Uni gehen können, wird im Parlament gefordert. Vorbild sind die Unis Bern und Fribourg, die bereits solche Programme haben. Doch wie laufen die überhaupt?

Hörsaal Universität
Ohne Matur an die Uni? Das will ein Vorstoss in Basel möglich machen. (Quelle: Creative Commons)

Edibe Gölgeli fordert ein Umdenken bei der Zulassung zur Universität Basel. Mit einem Vorstoss will die SP-Grossrätin den Regierungsrat dazu bringen, Wege zu prüfen, dass berufstätige Personen über 30 auch ohne Matur oder ähnlichen Bildungsausweis an der Uni studieren können. Sie denkt an Aufnahmeprüfungen.

Gölgeli argumentiert, dass man so dem Fachkräftemangel begegnen könne und auch der spezifischen Lebenssituation vieler Menschen gerecht werde, die wegen ausländischer Abschlüsse, Elternschaft oder nicht-bildungsaffinen Familien erst später im Leben ein Studium beginnen wollen. Ihr Vorstoss fand von links bis rechts Unterstützung. Und auch bei unserer Frage des Tages sprachen sich fast 80 Prozent der Abstimmenden für diese erleichterte Zulassung aus.

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Ein Grossteil der Community findet die Idee gut. (Quelle: Screenshot Frage des Tages)

In ihrer Motion verweist Gölgeli auf die Universitäten Bern und Fribourg, wo es solche Ausnahmen bereits gibt. Ein Blick auf diese Unis ist auch für die Debatte in Basel sinnvoll: Wie gross ist überhaupt das Interesse bei Über-30-Jährigen an den Universitäten? Könnte damit wirklich der Fachkräftemangel bekämpft werden? Und wie erfolgreich ist man mit dem Programm?

Die Universität Bern hat seit 2013 das sogenannte «Aufnahmeverfahren 30+». Dazu gibt es einen Kompetenztest, der kognitives Denken, Textanalyse und Rechtschreibung prüft, sowie einen fachspezifischen Aufnahmetest, ob man das Niveau hat, um dem Lerninhalt folgen zu können. Brigit Bucher von der Medienstelle der Uni Bern sagt: «Obwohl das Aufnahmeverfahren 30+ für die Universität Bern administrativen Aufwand bedeutet, stellt es eine sinnvolle Erweiterung der Zugangsmöglichkeiten dar.»

Hauptsächlich Jurist*innen ohne Matur

In den vergangenen fünf Jahren hätten sich jeweils rund 20 Personen für dieses Programm angemeldet, die Hälfte tritt den Prüfungsteil an – Bucher verweist auf frühzeitigen Rückzug und unvollständige Unterlagen für den vorzeitigen Abbruch. Wirklich zugelassen würden dann rund fünf Personen jährlich. Die Anmeldungen sind in allen Studiengängen ausser Medizin und Pharma möglich.

Die meisten Anmeldungen habe es bisher in absteigender Reihenfolge an den Fakultäten Rechtswissenschaften, Psychologie, Theologie, Sportwissenschaften, Informatik und Kunstgeschichte gegeben. Erfolgreiche Abschlüsse von Nicht-Maturand*innen gebe es bisher in den Rechtswissenschaften mit sechs Bachelor- und vier Masterabschlüssen sowie in der Kunstgeschichte mit zwei Bachelorabschlüssen und einem Master. Eine Abschlussquote kann gemäss Bucher nicht erhoben werden, da viele Studierende aktuell noch immatrikuliert seien.

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Daher lohnt sich auch der Blick auf die Universität Fribourg, wo man schon sehr lange Erfahrungen mit Nicht-Maturand*innen über 30 hat, die zum Studium zugelassen werden. Mindestens seit den 80ern gebe es das entsprechende Programm, heisst es aus der Medienstelle. Und entsprechend etabliert ist es bereits: Jährlich gibt es 20 bis 35 Neu-Immatrikulationen von Nicht-Maturand*innen.

Mit Abstand am beliebtesten sind die Fächer Literatur, Rechtswissenschaften und Theologie. «30-Jährige ohne Matur sind deutlich seltener in den exakten Wissenschaften vertreten. In den Wirtschaftswissenschaften gibt es das Programm aktuell nicht», erklärt Mediensprecher Marius Widmer.

Er führt weiter aus, dass bei den 30+-Studierenden die Bachelor-Erfolgsquote unter jener der Maturand*innen liegt. Exakte Quoten liessen sich jedoch schwer bestimmen, da die Unterschiede je nach Studiengang – bei manchen ist die Zeitgestaltung individueller, manche sind zeitaufwändiger – unterschiedlich ausfallen und Abbruchquoten auch von der Vereinbarkeit mit Beruf und Privatleben abhänge.

Die Basler Zeitung bezeichnet die Aufnahmeprüfungen an beiden Universitäten als kompliziert und aufwändig. Wie das Ganze dann in Basel aussehen könnte, müsste die Regierung ausarbeiten. Aber nur, wenn der Grosse Rat den Vorstoss wirklich überweist.

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