Was wollen Grossinvestor*innen mit schmucklosen Mehrfamilienhäusern?
Versicherungen besitzen am Luzernerring mehrere Liegenschaften. Das zeigen erste Daten unserer «Wem gehört Basel»-Recherche. Warum sind diese grauen Immobilien für sie attraktiv? Ein Wohnmarktexperte erklärt.
Herr Weinert, warum kaufen Renditeinvestor*innen überhaupt Wohnungen?
Ganz generell sind Versicherungen und Pensionskassen seit je interessiert an Immobilienanlagen, weil es Teil ihrer Anlagestrategie ist.
Wie lautet diese Anlagestrategie?
Ziel ist ein gutes Risiko-Rendite-Verhältnis. Versicherungen und Pensionskassen müssen aufgrund ihrer Anlagerichtlinien eine gewisse Rendite bei einem relativ tiefen Risiko für die Versicherten leisten. Dabei verteilen sie die Investments auf riskantere Anlagen wie Aktien oder auf relativ sicher geltende Formen. Staatsanleihen und Immobilien zählen zu den letzteren.
Pensionskassen und Versicherungen haben also immer schon in den Immobilienmarkt investiert, weil es als sicheres Investment gilt?
Ja, Pensionskassen und insbesondere Versicherungen gehören zu den institutionellen Investoren in der Schweiz, die schon sehr lange am Immobilienmarkt tätig sind. Aber ihre Aktivitäten am Immobilienmarkt haben sich in den letzten Jahren verstärkt.
Robert Weinert ist Director bei Wüest Partner. Er leitet die Publikation «Immo-Monitoring» und ist unter anderem im Bereich Markt und Research tätig und beschäftigt sich mit Immobilienmarktforschung und -beobachtung.
Woran liegt das?
Das hängt eng mit der expansiveren Geldpolitik der weltweiten Notenbanken zusammen. Aufgrund der aktuellen Politik gibt es für Staatsanleihen, die oft die Alternative zu Immobilien sind, keine Renditen mehr. Meist sind sie sogar negativ. Dadurch haben sich die Möglichkeiten für die Institutionellen reduziert, um Geld anzulegen. Als Folge wird mehr und mehr Geld im Immobilienmarkt angelegt. Denn bei den Versicherungen und den Pensionskassen steigt momentan noch das Volumen der Gelder, die sie anlegen müssen.
Warum steigt das Volumen der Gelder?
Im Moment nehmen die Pensionskassen mehr Beiträge ein als sie auszahlen müssen. Mit der alternden Gesellschaft wird sich das irgendwann ändern, dann ist es anders herum. Aber derzeit müssen Pensionskassen die steigenden Beiträge von den Versicherten anlegen.
Wenn es um Geld geht, warum ist es dann für grosse Renditeinvestor*innen interessant, eher schmucklose Mehrfamilienhäuser zu besitzen (wie die am Luzernerring), als etwa Luxuswohnungen?
Ob gewisse Objekte schmucklos sind, ist Geschmackssache. Jedoch sind Grossstädte wie Basel, Zürich, Bern, Lausanne, Genf und Winterthur sehr attraktiv in Bezug auf Investments. Hier ist die Nachfrage nach Wohnungen hoch, die Wohnungen sind oft knapp und demzufolge die Leerstände sehr tief.
«Bei Wohnungen in Grossstädten sind Mieteinnahmen nahezu garantiert.»
Heisst das: Wo die Wohnungen knapp sind, sind Menschen bereit, auch weniger attraktive Wohnungen zu mieten?
Weil Wohnungen in Grossstädten begehrt sind, sind kontinuierliche Mieteinnahmen langfristig nahezu garantiert. Das ist genau das, an was beispielsweise Pensionskassen interessiert sind. Es ist sicherer in einer Grossstadt zu investieren als in einer peripheren Gemeinde, auch wenn das Objekt dort äusserlich gesehen vielleicht attraktiver erscheint. In der Peripherie sind die Leerstandsrisiken meist deutlich höher.
Aus unseren bisherigen Daten entsteht der Eindruck, dass grosse Investor*innen seltener Besitzer von Einfamilienhäusern sind. Wieso sind Mehrfamilienhäuser für sie attraktiver?
Das hängt einerseits mit den Betriebs- und Verwaltungskosten zusammen. Die sind bei mehreren kleinen Objekten im Schnitt pro Wohnung höher. Bei Mehrfamilienhäusern sind also die Kosten pro Wohnobjekte tiefer. Der zweite Faktor bezieht sich auf die Nachfrage: Ein Einfamilienhaus möchten die meisten ihr eigen nennen, sie möchten es lieber kaufen als mieten. Der dritte wichtige Grund ist, dass für den Preis einer Immobilie nicht nur das Objekt selber, sondern auch die benötigte Bodenfläche entscheidend ist. Und bei Einfamilienhäusern wird die Fläche relativ ineffizient genutzt, da pro Quadratmeter Grundstücksfläche weniger Wohnraum erstellt wird. Die Raumnutzung von Mehrfamilienhäusern ist deutlich effizienter.
«Privatpersonen sind immer noch die wichtigsten Player im Mietwohnungsmarkt.»
Anders herum gefragt: Ist es für Privatpersonen also nicht so attraktiv, Mehrfamilienhäuser oder Wohnungen darin zu kaufen?
Mehrfamilienhäuser mit Mietwohnungen gehören in der Schweiz zu knapp 50 Prozent Privatpersonen. Die Privatpersonen sind also immer noch die wichtigsten Player im Mietwohnungsmarkt. In der Nordwestschweiz liegt die Quote der privaten Besitzer von Mehrfamilienhäusern bei rund 45 Prozent und die Institutionellen liegen bei rund einem Drittel – ihr Anteil ist in den letzten Jahren gestiegen. Dann kommt noch die öffentliche Hand dazu, Wohnbaugenossenschaften und Baufirmen. Für Privatpersonen sind Renditeanlagen im Immobilienmarkt verhältnismässig attraktiv, weil auch ihnen aufgrund der Tiefzinspolitik Anlagemöglichkeiten fehlen. Es war zum Beispiel in den letzten Jahren oft zu beobachten, dass private Haushalte einzelne Wohnungen kaufen, sie aber nicht selber nutzen, sondern weitervermieten.
Was ist denn heute attraktiver? Neue Eigentumswohnungen oder neue Mietwohnungen zu bauen?
Kommt ganz drauf an. Je besser die Lage der Liegenschaft, desto höher ist der Bodenpreis. In den letzten Jahren sind die Bodenpreise in der Schweiz und in vielen Ländern Europas stark gestiegen. Wenn man eine leerstehende Fläche kaufen möchte und sich entscheiden muss, ob dort Mietwohnungen oder Stockwerkeigentum entstehen, ist es momentan so, dass in städtischer Lage mehr für Mietwohnungen spricht.
Wirklich?
Ja, wegen der hohen Bodenpreise. Sie bewirken, dass die Erstellung von Eigentumswohnungen so teuer werden würde, dass sich die Wohnungen nur noch ganz wenige leisten können. Ein weiteres Kriterium ist die Frage, welche Art von Investor dahintersteht. Pensionskassen oder Versicherungen, die in der Innenstadt neu bauen, werden sich fast immer für Mietwohnungen entscheiden, weil sie an den jährlichen Mieteinnahmen interessiert sind. Wenn sie Wohneigentum realisieren würden, könnten sie es verkaufen und so bestenfalls auf einen Schlag einen grossen Betrag einnehmen, aber dann stellt sich wieder die Frage, wo sie das Geld anlegen.
Also sind Mietwohnungen schlicht die Entscheidung für langfristige Einnahmen?
Genau, das ist das Entscheidende bei Versicherungen und Pensionskassen und anderen institutionellen Anlegern: Dass sie langfristig stabile Mieteinnahmen erzielen. Und das spricht oft für Mietwohnungen.
Letzte Frage: Wenn Wohnungen so ein gutes Investment sind, warum dann Luxussanierungen …?
Das ist ein ganz neues Thema. Darüber reden wir nächstes Mal.
Wem gehören eigentlich all die Häuser in Basel? Und was haben die Eigentümer*innen mit unserer Stadt vor? Oder ist es ihre Stadt, weil ihnen die Häuser gehören?
Wir wollen es wissen und knacken dafür die Immobilien-Blackbox Basel. Dafür brauchen wir dich! Zusammen finden wir bei jedem einzelnen Haus in Basel heraus, wem es gehört.