«Wenn ich zu lange an einem Ort bleibe, werde ich unruhig»

Anna und Bálint Kostyál-Büchel lernten sich im Studium kennen. Heute reisen sie mit ihrem Wanderzirkus «Tarkabarka», ihren zwei Kindern und Hund Buksi durch die Länder. Gerade ist die Familie in Basel auf dem Letziplatz.

Zirkus Tarkabarka
Bálint im Zirkuswagen der Familie. (Bild: Noëmi Laux)

Es ist ungewöhnlich ruhig an diesem Tag rund um den bunten Wagen vom Zirkus Tarkabarka. Von der vierköpfigen Familie treffen wir nur auf Bálint. Seine Frau Anna ist mit dem 5-jährigen Sohn Vitus beim Arzt und die zweijährige Tochter Anikó ist bei Bálints Mutter, die nur wenige Strassen vom Letziplatz entfernt wohnt. Nur Buksi, der Familien- und Zirkushund, bellt ab und an, wenn Spaziergänger*innen vorbei laufen.

Die letzten Wochen waren anstrengend, erzählt Bálint und setzt sich an den Tisch vor dem Wagen. «Es hat viel geregnet und wir wussten oft bis kurz vor der Show nicht, ob wir auftreten können.» Bálint und Anna sind mit ihrem Programm auf trockenes Wetter angewiesen, denn eine überdachte Bühne haben sie nicht. Ihre Show besteht aus einer Mischung von Theater, Akrobatik und Musik, «aber ohne Worte», ergänzt Bálint: «Wir erzählen viel, ohne zu reden.» 

Seit acht Jahren tourt das Paar mit ihrem Zirkus Tarkabarka von Ort zu Ort. Heute Morgen haben sie ihr Lager für die kommende Woche auf dem Letziplatz in Basel aufgeschlagen.

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Schön bunt: Zirkusfamilie Kostyál-Büchel mit Hund Buksi. (Bild: zVg)

Anna und Bálint lernten sich im Psychologiestudium in Basel kennen. Sie kam aus Liechtenstein fürs Studium in die Schweiz, er wusste nicht recht, was er studieren sollte und schrieb sich für Psychologie ein. Die beiden kannten sich flüchtig, als sich Anna und Bálint zufällig beim Spazieren treffen und kennenlernen. Bis sie ein Paar werden, wird es aber noch einige Zeit dauern.

Peru statt Psychologie

Denn während Anna ihr Psychologiestudium abschliesst, bricht Bálint nach zwei Jahren ab. Es wurde ihm zu methodisch und menschenfremd, sagt er. Zu dem Zeitpunkt ist Bálint 23 Jahre alt und beschliesst, nach Südamerika zu gehen. Dort arbeitet er in einem Kinderheim und reist als Strassenmusiker durch Peru. Als er ein Jahr später zurück in die Schweiz kommt, weiss er, was er will: auf die Bühne. Er lässt sich an der Theaterschule Comart in Zürich für Theater, Mime und Tanz ausbilden.

Kaum ist er zurück in der Schweiz, dauert es auch nicht mehr lange, dass er und Anna ein Paar werden und zusammenziehen. Schon während dem Studium begeistert sich auch Anna für Akrobatik und die Kleinkunstbühne. Sie lernt verschiedene Instrumente zu spielen, fährt Einrad und beginnt, zu jonglieren. Nach ihrem Bachelor lässt auch sie sich an der Comart ausbilden.

«Wir erzählen viel, ohne zu reden.»
Bálint Kostyál-Büchel, Zirkus-Artist

In der Sommerpause gehen Anna und Bálint zum ersten Mal gemeinsam auf Tour. Sie möchten das ausprobieren, was sie in der Ausbildung gelernt haben und vor allem wollen sie unterwegs sein. Zweimal reisen sie für mehrere Wochen nach Ungarn und ziehen dort mit dem Fahrrad und einem kleinen Programm im Gepäck von Ort zu Ort.

Im Jahr 2013 – Anna ist 26, Bálint 28 – schliessen sie sich dem Circolino Pipistrello, einem Mitmachzirkus, an und touren drei Jahre durch die Schweiz. Von Frühling bis Herbst zieht der Zirkus von Ort zu Ort und veranstaltet Projektwochen mit Schulen, heil- und sonderpädagogischen Institutionen. An jedem Ort zeigt das 17-köpfige Pipistrello-Team auch seine eigene Zirkus-Theater-Show und lädt die Menschen aus dem Quartier ein, in die Zirkuswelt einzutauchen.

Zirkus Tarkabarka
Ohne Dach: Der Zirkus Tarkabarka spielt immer unter freiem Himmel. (Bild: zVg/naeffotografie.ch)

Nach dieser Erfahrung kommt für Anna und Bálint ein klassisches, gesettledes Leben nicht mehr in Frage. Sie machen sich selbstständig, kaufen ihren ersten Zirkuswagen und ziehen zu zweit weiter. Der Zirkus Tarkabarka entsteht: Tarkabarka heisst auf ungarisch kunterbunt – «wie unser Leben», fügt Bálint an und lacht. Ohne grossen Plan reist das Paar durch Europa. «Wir wussten oft nicht, wo wir am nächsten Abend spielen», erinnert sich Bálint. So schlagen sie jeweils dort ihr Lager auf, wo es ihnen gefällt. Ihr Verdienst ist das, was die Leute nach der Vorstellung in den Hut werfen.

Familienleben im Zirkuswagen

Dass Anna und Bálint in den Zirkuswagen gezogen sind, ist nun zehn Jahre her. Heute sind die beiden seltener ganz spontan unterwegs. Das liegt mitunter daran, dass aus dem Paar eine kleine Familie mit zwei Kindern und Hund wurde. Statt auf gut Glück, wissen sie heute, wann sie wo spielen, können sich auf die Orte vorbereiten und vorher Werbung machen. «Das ist zwar ein bisschen weniger aufregend als früher, aber auch um einiges entspannter.» Denn anstrengend ist das Leben auf Rädern manchmal ohnehin. Insbesondere während längeren Schlechtwetterperioden, dann, wenn Anna und Bálint nicht auftreten und die Kinder nicht raus können, «dann wird es manchmal schon eng hier drin.»

«Wenn die Kinder Lust auf die Bühne haben, unterstützen wir sie, aber sie sollen einfach das machen, was sie glücklich macht.»
Bálint Kostyál-Büchel, Zirkus-Artist

Dafür bekommen die Kinder von klein an mit, was ihre Eltern machen und wie sie ihr Geld verdienen. «Ich glaube, dass das in vielen Familien anders ist», fügt Bálint an. Vitus, der ältere der beiden, stand auch schon mit seinen Eltern auf der Bühne. Ob die Kinder aber später einen ähnlichen Weg einschlagen wie ihre Eltern, darüber machen sich Bálint und Anna noch keine Gedanken. «Wenn die Kinder Lust auf die Bühne haben, unterstützen wir sie, aber sie sollen einfach das machen, was sie glücklich macht.»

Ist die Saison vorbei, bezieht die Familie ihr Winterquartier in Vaduz – ein Haus ganz in der Nähe von Annas Eltern. Dann widmen sie sich anderen Projekten, unterrichten, geben Workshops und kommen vor allem zur Ruhe. Mal nicht unterwegs zu sein, geniessen Anna und Bálint. Auf Dauer können sie sich ein Leben, fest an einem Ort, aber nicht mehr vorstellen. «Wenn ich zu lange an einem Ort bleibe, werde ich unruhig», sagt Bálint.

Aus der Ferne sehen wir Anna und Vitus. Vitus läuft auf seinen Vater zu und umarmt ihn. An seinem Finger trägt er einen Verband. «Das ist halb so schlimm», sagt Anna. Vitus Finger dürfte bald wieder verheilt sein. Bevor ich gehe, drückt mir Bálint einen Flyer in die Hand. Diese Woche spielen Anna und Bálint am Donnerstag, Freitag und Samstag jeweils um 18.30 Uhr auf und am Sonntag um 17 Uhr hier auf dem Letziplatz vor ihrem Wagen.

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The show must go on.

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