Das Erziehungsdepartement hat ein Massnahmenpaket zur Weiterentwicklung der integrativen Schule vorgestellt. Der zentrale Punkt der Förderklassen-Initiative soll darin umgesetzt werden: Dass verhaltensauffällige und lernschwache Schüler*innen separat in Förderklassen oder «teilseparat» in Fördergruppen unterrichtet werden. Zusätzliche Massnahmen sind «Lerninseln» für schwierige Situationen im Klassenzimmer zur Betreuung durch Sozial- und Heilpädagog*innen, Doppelbesetzung in «besonders belasteten» Kindergärten, flexibler Einsatz der Förderrresourcen durch die Schulleitungen und ein sonderschulisches Spezialangebot «SpA plus» für Schüler*innen mit selbst- und fremdgefährendendem Verhalten. Die Massnahmen sollen 16,2 Millionen Franken kosten. Laut Schätzungen des ED würden neu 6 Prozent der Schüler*innen in Basel an separativem oder teilseparativem Unterricht teilnehmen. Bis 7. Juli können sich Teilnehmende zum Vorschlag des ED äussern.

Zurück zu den Förderklassen – ein Schritt in die richtige Richtung?

417 Stimmen
David Rutschmann
David Rutschmann
Moderation
Top antworten
Heidi
18. Mai 2023 um 09:31

Inklusion ist ein Menschenrecht

Das grösste Problem ist wohl, dass wir statt Inklusion immer noch Integration anstreben. Das Problem sind die Kinder, statt das System. Der akute Lehrpersonenmangel hat sich schon vor Jahren abgezeichnet, ebenso die hohe Burnoutrate. «Gelöst» wurde es, indem man den Zugang zum Studium erschwert hat. Auch die Förderklasseninitiative setzt am falschen Ort an. Es scheint, viele wollen einfach «zurück»; was schlussendlich heisst, dass Kinder mit Behinderungen, und entsprechend auch alle anderen Menschen mit Behinderungen, wieder ausgeschlossen werden sollen. Statt dass wir endlich unser Bildungssystem umkrempeln, uns bewusst werden, welche Skills Schüler*innen tatsächlich in dieser Welt brauchen und uns dafür einsetzen, dass die Frühförderung ausgeweitet wird, die Jobs in diesen bereichen entsprechend aufgewertet werden etc. Und wir sprechen zu wenig mit denen, die es am meisten trifft: Menschen mit Behinderungen.

Gaby Hintermann
Gaby Hintermann
Leiterin Primarstufe Basel, angefragt von Basel

Mit ein bisschen mehr Separation zu mehr Integration

Ich denke, der Schritt in die richtige Richtung ist unsere Aussage, dass ein bisschen mehr Separation dazu beitragen soll, damit Integration noch besser gelingt. Förderklassen sind eine Möglichkeit, ich präferiere Fördergruppen, in denen Schülerinnen und Schüler in der Regelklasse angehängt bleiben und nicht für mehrere Jahre aus dem Regelsetting rausgehen.

WhatsApp Image 2023-05-17 at 09
Nadine Bühlmann
Lehrerin, angefragt von Bajour

Umgang mit Herausforderungen gelingt nur durch starke, wachsende Beziehungen

Ich finde, es ist der falsche Hebel, die Kinder zu separieren. Den Vorschlag mit den Förderklassen und Lerninseln finde ich problematisch. Wer soll die Zuteilung vornehmen, wann die Kinder in Förderklassen kommen? Werden die Kinder und Eltern in die Entscheidung miteingebunden? Der Umgang mit Herausforderungen gelingt nur durch starke, wachsende Beziehungen. Diese werden durch separative Massnahmen eingeschränkt. Daneben gibt es einige Punkte, die ich durchaus unterstützen kann, zum Beispiel Weiterbildungen zum Umgang mit schwierigen Situationen, den flexiblen Einsatz von Ressourcen an den jeweiligen Standorten und die Doppelbesetzung in den Kindergärten – aber warum ist es nicht möglich, auch für eine Doppelbesetzung in den Stufen 1 bis 6 aufzustocken?

Stark
Roland Stark
Mitglied Initiativkomitee, Ex-SP-Präsident und Lehrer, angefragt von Bajour

Pflästerli-Pädagogik hilft niemandem

Die 25 Seiten des Massnahmenplans kann man auf einen Satz herunterbrechen: Das ED will keine Förderklassen im Sinne unserer Initiative. Das wird mit schönen Wörtern verkleistert, aber im Grunde ist klar, dass eine durchgehende Separation in Förderklassen von der Regierung abgelehnt wird. Fördergruppen und Lerninseln mögen für einige Schülerinnen und Schüler sinnvoll sein. Aber der Kern des Problems sind die vielen Kinder, die massiv verhaltensauffällig sind und in einer Regelklasse ihre eigentlich vorhandenen Möglichkeiten nicht ausschöpfen können. Diese «Pflästerli-Pädagogik» hilft niemandem: dem Kind nicht, den Lehrern nicht und der Schule insgesamt nicht. Es wird also deutlich, dass die Regierung und wir als Initiativkomitee noch in unterschiedliche Richtungen unterwegs sind. Bislang sehe ich nicht, wo sich unsere Wege treffen könnten.

Franziska Roth
Franziska Roth
Präsidentin Bildungskommission, SP-Grossrätin und Sozialpädagogin Primarstufe, angefragt von Bajour

Mehr Integration ist der bessere Hebel

Viele Studien sagen, dass Kinder sich besser entwickeln, wenn sie integriert geschult werden. Ich finde es falsch, wenn die Kinder separiert werden; wenn wir ihnen mit auf den Weg geben, dass sie aus der Klasse rausfliegen, wenn sie schelchter sind. Deshalb finde ich, dass Förderklassen nicht infrage kommen, auch wenn verschiedene Massnahmen grade auf Ebene Kindergarten und Tagesstruktur. Sinnvoller wäre es, allgemein in kleinere Klassen zu investieren und denLehrplan anzupassen, damit Integration besser funktioniert. Generell müsste man mehr beim Thema Integration ansetzen – ich hätte zum Beispiel im Hinblick auf den starken Fokus der Förderklassen-Initative auf Verhaltensauffälligkeit erwartet, dass das ED noch mehr Massnahmen im Bereich der Sozialpädagogik in den Blick nimmt.

Marianne Schwegler
Marianne Schwegler
Initiativkomitee und Vizepräsidentin FSS, angefragt von Bajour

Zu eng gefasste Definition von Förderklassen

Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber aus Sicht des Initiativkomitees nimmt die Regierung die Kernanliegen, die Förderklassen, noch zu wenig auf und verzettelt sich in zu vielen weiteren Massnahmen, von denen einige sicher sinnvoll sind. Der Fokus muss aber auf den Förderklassen liegen und da wird die Zielgruppe vom ED zu eng gefasst, da sie nur Kinder mit Lernschwäche in den Blick nehmen. Unsere Idee umfasst aber auch Kinder, die aus sozialen und emotionalen Gründen Sonderbedürfnisse für eine Förderklasse haben.

Joël Thüring
Joël Thüring
SVP-Grossrat Bildungskommission, angefragt von Bajour

Scheitern der linken Bildungsbürokratie

Der Schritt ist richtig, aber er wurde zu kompliziert aufgegleist. Man hätte sich noch mehr an der Förderklassen-Idee der Initiative orientieren sollen, ohne die teuren Drumherum-Massnahmen, die es meiner Meinung nach nicht braucht und die den Pädagogenapparat aufblähen. Das Erziehungsdepartement traut sich allerdings nicht, komplett vom Modell der integrativen Schule abzukehren, weil man eingestehen müsste, dass die im ED von linken Bildungsbürokraten entworfene Bildungspolitik der letzten 20 Jahre gescheitert ist. Die integrative Schule hat alle schlechter gemacht, Basel ist am unteren Ende aller Bildungsranking. Damit jeder die Chancen seines jeweiligen Niveaus nutzen kann, braucht es nunmal Separation. 

Conradin Cramer
Conradin Cramer
Erziehungsdirektor (LDP), angefragt von Bajour

Wir wollen das für die Konsultation offen lassen

Wir schlagen vor, entweder Förderklassen oder Fördergruppen an den Schulen zu bilden. Darin können wir die Schülerinnen und Schüler individuell fördern, die ein kleineres Lernsetting brauchen und Mühe haben, dem Unterricht in der Regelklasse zu folgen.

Ich glaube, dass das ein richtiger Schritt ist. Ich bin sehr gespannt auf die Konsultation, ob da separierte Förderklassen oder flexiblere Fördergruppen eine grössere Zustimmung finden – da könnte man sagen, dass zum Beispiel der Mathematikunterricht in einer Fördergruppe stattfindet und der restliche Unterricht in der Regelklasse. Das eine ist eher integrativ, das andere eher separativ. Wir wollen das für die Konsultation offen lassen.

Ueli
17. Mai 2023 um 13:42

Immer noch weiter bis zum Geht-nicht-mehr?

Auch wenn es nach wie vor eine ganz grosse Mehrheit offensichtlich nicht wissen will: Reformen dienen dem Zweck, dass im Prinzip alles beim Alten bleiben kann. So war es auch vor Jahren mit der Einführung der sogenannten Integrativen Schule. Und so soll es jetzt mit noch mehr Aufwand weiter gehen. Einer meiner Schlüsselsätze dazu lautet: «Damit bei einem maroden System eine für alle günstig wirksame Veränderung erreicht werden kann, braucht es gemeinsam den Mut, mit den falschen Dingen radikal aufzuhören. Erst dann wird Raum frei für grundlegend und wahrhaftig zukunftsfähig Neues.»

Das könnte dich auch interessieren

Lehre

Michelle Isler am 20. März 2025

Ist eine Lehre noch attraktiv?

Weiterlesen
Frage des Tages Billetautomaten-2 (3)

Valerie Wendenburg am 19. März 2025

Kein Bargeld an Billettautomaten: Gut so?

Weiterlesen
2025-03-18 Frage des TagesRassismus-1

David Rutschmann am 18. März 2025

Wird Rassismus wieder salonfähig?

Weiterlesen
2025-03-14 Frage des Tages-1

Franziska Zambach am 14. März 2025

Braucht die Fasnacht ein Awareness-Team?

Weiterlesen