100 Milliarden Devisen verpufft
Kantone und Bund haben sich an die fetten Gewinnausschüttungen der Nationalbank gewöhnt. Wegen enormen Devisenverlusten drohen diese wegzufallen. Basel-Stadt hat dank reichlich fliessender Steuereinnahmen weniger Probleme. Kritischer ist die Lage für Baselland.
Bis zu sechs Milliarden Franken Gewinn hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) dem Bund und den Kantonen jährlich ausgeschüttet. Alleine an die Kantone gingen in den vergangenen fünf Jahren insgesamt über 13 Milliarden. Fast ist vergessen gegangen, dass diese Gewinnauschüttungen nicht selbstverständlich sind.
Denn unsere Notenbank bekommt in regelmässigen Abständen Krisen auf den Finanzmärkten zu spüren. Wie jetzt gerade wieder. Und dann kann sich der Gewinn plötzlich in einen Riesenverlust verwandeln.
Während Jahren hat die SNB den Franken zur Schonung der Exportindustrie tief gehalten. Vereinfacht lief es so: Die SNB kaufte ausländische Währungen (z.B. Euro und Dollar). Diese Währungen wurden damit tendenziell gestützt. Der Frankenkurs wurde gebremst und schoss nicht nach oben.
Effekt: Dank des (relativ) tiefen Frankens wurden Schweizer Exportprodukte nicht teurer und liessen sich im Ausland einfacher verkaufen. Die Zeiten sind vorerst mal um, weil die SNB weniger am Markt interveniert. Der Euro hat deutlich an Wert verloren und ist jetzt weniger als einen Franken wert.
Die SNB sitzt hingegen auf einem riesigen Haufen Finanzanlagen in ausländischer Währung. Unfassbare 966 Milliarden Franken betrugen Ende 2021 die Devisenanlagen.
Die Aktien der Nationalbank bestehen zum grössten Teil aus Gold und Devisenanlagen. Sie werden zum Marktpreis bewertet. Daher hängt das Ergebnis der Nationalbank überwiegend von der Entwicklung der Gold-, Devisen- und Kapitalmärkte ab. Grosse Gewinnschwankungen sind die Folge – nach oben und nach unten.
So führt eine Aufwertung des Frankens gegenüber den wichtigsten Währungen um 1 Prozent bei der aktuellen Höhe der Devisenanlagen zu einem Verlust von gegen 10 Milliarden Franken, war in der Basler Zeitung zu lesen. Gleich viel Verlust resultiert, wenn die Aktienkurse an den Börsen um 4 Prozent fallen.
Was passiert, wenn diese Fremdwährungen an Wert verlieren, liegt auf der Hand: Es entsteht ein Verlust, je nachdem ein riesiger Verlust. Genau das passierte im ersten Halbjahr, als sich dieser auf 97,4 Milliarden Franken summierte. Wie das zweite Halbjahr aussehen wird, weiss niemand genau. Es sind unsichere Zeiten.
Für die Kantone und den Bund ist die Gewinnentwicklung von grosser Wichtigkeit, denn in den vergangenen Jahren haben sie praktisch regelmässig vom Geldsegen der SNB profitiert. Das Nationalbankgesetz ermöglicht eine jährliche Ausschüttungen auf maximal sechs Milliarden, wobei ein Drittel dem Bund, zwei Drittel den Kantonen zufallen.
Von 2018 bis 2021 machte die SNB einen Gewinn von insgesamt 150 Milliarden Franken. Nur ein einziges Mal in der Geschichte der Nationalbank – 2013 – zahlte sie keine Dividende. Damals fiel der Goldpreis stark, und die Ausschüttungsreserve, die dazu da ist Gewinnschwankungen zu glätten, belief sich auf lediglich 5,3 Milliarden.
Aktuell beläuft sie sich auf 102 Milliarden. Bleibt es also bei dem aktuellen Halbjahresverlust von 97 Milliarden, dürfte es für Bund und Kantone keine Ausschüttung geben. Diese 97 Milliarden sind gut die Hälfte des Novartis-Unternehmenswertes und deutlich mehr als das Jahresbudget des Bundes.
«Die starken Gewinnschwankungen haben grosse Auswirkungen auf die Rechnungen der Kantone. Aber Panikmache ist sicherlich falsch.»Michela Seggiani, Grossrätin SP
Politiker*innen landauf, landab machen sich jetzt Gedanken darüber, wie hoch diese Steuerausfälle werden dürften und wie sie allenfalls kompensiert werden könnten. So hat die Basler SP-Grossrätin Michela Seggiani eine Interpellation zum Thema eingereicht.
Es sei wichtig einzuschätzen, was das schlechte Halbjahresergebnis und ein möglicherweise schlechtes Jahresergebnis für die Ausschüttungen an Bund und Kantone bedeute.
«Die starken Gewinnschwankungen haben grosse Auswirkungen auf die Rechnungen der Kantone. Aber Panikmache ist sicherlich falsch. Wir müssen sachlich bleiben. Mit meiner Interpellation möchte ich eine Einschätzung von der Regierung hören, welche Konsequenzen ein allfälliger Verlust der SNB hat», sagt Seggiani. «Nach dem schlechten Halbjahresergebnis müssen wir darauf vorbereitet sein.»
Die Schweizerische Nationalbank ist mehr als nur eine Gelddruckmaschine. Sie führt die Geld- und Währungspolitik des Landes. Sie muss sich gemäss Verfassung und Gesetz vom «Gesamtinteresse des Landes» leiten lassen. Sie soll Preisstabilität gewährleisten (also weder zu viel Inflation noch Deflation). Sie soll dabei der konjunkturellen Entwicklung Rechnung tragen.
Zur Umsetzung ihrer Geldpolitik legt die Nationalbank den SNB-Leitzins fest. Dabei strebt sie an, dass die kurzfristigen Geldmarktzinssätze in Franken nahe am SNB-Leitzins liegen. Bei Bedarf wird sie auch am Devisenmarkt aktiv. Das heisst, sie kann Finanzanlagen in ausländischen Währungen kaufen und verkaufen. Dass der Devisenbestand in der SNB-Bilanz Ende 2021 auf 960 Milliarden Franken angeschwollen war, ist die Folge dieser Politik. Dieser hohe Bestand beinhaltet selbst ein hohes Wechselkursrisiko. Auf rund 100 Milliarden netto belief sich der Wechselkursverlust im ersten Halbjahr 2022. In anderen Jahren entstanden aber auch fette Gewinne.
Die Nationalbank ist nicht zuletzt die Bank des Bundes. Sie wirkt ausserdem bei der internationalen Währungskooperation mit. Sie arbeitet dazu mit den Bundesbehörden zusammen. Die SNB erstellt Statistiken über die Banken in der Schweiz, die Finanzmärkte, die Zahlungsbilanz, die Direktinvestitionen und das Auslandvermögen.
(Quelle: SNB, eigene)
Was bedeutet das für die Investitionen des Stadtkantons, wenn die SNB-Geldquelle versiegt, fragt sich die SP-Grossrätin. Wie könnten die monetären Einbussen abgefedert werden? Und kann das geplante Steuerentlastungspaket wie geplant umgesetzt werden?
Michela Seggiani ist für eine vorsichtige Budgetierung – und damit ist sie klar auf der Linie der bisherigen Politik der Regierung, die eine lange Tradition hat. Zwei Beispiele:
- Im Jahr 2020 war der BS-Rechnungsüberschuss 300 Millionen, die Gewinnausschüttung der SNB 61 Millionen. Budgetiert waren – vorsichtig – 16 Millionen.
- 2021 lag der Überschuss bei 215 Mio., der SNB-Beitrag 91 Millionen. Budgetiert waren für diesen Posten lediglich 32 Millionen.
«Basel steht finanziell recht gut da», findet Seggiani. «Das dürfen wir doch auch mal deutlich sagen.» Etwas weniger gut sieht die Lage im Kanton Baselland aus.
«Die Steuerreformen sind enorm wichtig für unseren Kanton, da wir hier, im Gegensatz zur Thematik der SNB-Gewinnausschüttung, wirklich ein Problem haben.»Saskia Schenker, Landrätin FDP
Baselland plane die SNB-Ausschüttungen nicht für laufende Ausgaben ein, sagt Landrätin Saskia Schenker (FDP) gegenüber Bajour. Schenker ist Mitglied der BL-Finanzkommission. Im Vergleich zu anderen Kantonen budgetiere Baselland, ähnlich wie Basel, relativ vorsichtig.
Im BL-Kantonsbudget 2023 seien denn auch weniger SNB-Ausschüttungen vorgesehen als 2022. Die geplanten Steuerreformen für natürliche Personen seien ebenso bereits eingerechnet. «Die Steuerreformen sind enorm wichtig für unseren Kanton, da wir hier, im Gegensatz zur Thematik der SNB-Gewinnausschüttung, wirklich ein Problem haben», so Schenker. Seit der letzten Steuerreform für natürliche Personen im Jahr 2007 habe sich schweizweit einiges verändert «und unser Kanton ist im interkantonalen Vergleich viel zu teuer und unattraktiv für diejenigen, die Steuern bezahlen. Deshalb braucht es mehrere Steuerreformen bei den natürlichen Personen, Vermögenssteuern und Einkommenssteuern. So, wie sie unser Nachbarkanton Basel-Stadt auch plant.»
Welchen Rechnungsabschluss Baselland vorlegen wird – einen roten oder schwarzen –, weiss man erst, wenn das Jahr zu Ende ist. Und die Rechnung der SNB vorliegt.
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