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#BlackLivesMatter

Hallo Basler Polizei, macht ihr Racial Profiling?

Es ist ein Dilemma mit diskriminierenden Personenkontrollen. Schwarze Menschen sagen: Das passiert uns. Die Polizei sagt: Das gibt es nicht, aber wir tun etwas dagegen. Die Politik findet: Schlimm, aber vor einer griffigen Lösung scheuen wir uns. Ein Überblick.

Marguerite Meyer

06/20/20, 08:33 AM

Aktualisiert 06/20/20, 10:31 AM

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Eine Fusspatrouille am Rheinufer. (© Kanton Basel-Stadt: www.bs.ch/bilddatenbank)

Eine Fusspatrouille am Rheinufer. (© Kanton Basel-Stadt: www.bs.ch/bilddatenbank)

Jetzt müssen konstruktive Lösungen gegen Rassismus her! Das war der Tenor an der gestrigen SRF-«Arena». In den letzten Wochen gingen in der Schweiz Zehntausende Menschen gegen Rassismus auf die Strasse. Auch in Basel wurde demonstriert. Auslöser für weltweite Proteste war der Erstickungstod des Afroamerikaners George Floyd durch einen US-Beamten während einer Polizeikontrolle.

«Die meisten von uns haben Racial Profiling erlebt.»

Ashley, Demonstrantin «Black Lives Matter» in Basel

Doch offenbar sind rassistische Polizeikontrollen gegenüber Schwarzen und People of Colour nicht nur in den USA, sondern auch in Basel ein Problem. An der Basler Demo sagte die Rednerin Ashley: «Die meisten von uns haben Racial Profiling und Stereotypisierung erlebt und ich zum Beispiel musste mich schon so oft gegen Misstrauen und Ungläubigkeit wehren, wenn ich diese Geschichten erzählt habe.»

Und Spoken-Word-Poetin Fatima Moumouni dichtet dazu:

Die Einzige im Abteil, die inspiziert wird
Die Einzige im Abteil, die ins Visier fällt
Die Einzige im Abteil, deren Pass seziert wird
Ein rotes Tuch dem Bullen, der auf der Pirsch ist,
Sie finden nichts und gehen weiter.
Sie finden nichts, aha. 

(aus: «Zugfahren», aus dem Buch «Racial Profiling», S. 173).

Racial Profiling bedeutet, dass Polizist*innen Menschen nur aufgrund von Hautfarbe, Religion oder ethnischer Herkunft kontrollieren. Ohne Verdachtsmoment. Es gilt also nicht die Unschuldsvermutung TROTZ dieser Merkmale, sondern der Verdacht WEGEN dieser Merkmale. Das ist in der Schweiz gemäss Bundesverfassung verboten

«Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich viel höher.»

Johan Göttl, Leiter Beratungsstelle «Stopp Rassismus»

Dennoch erleben Schwarze Menschen in Basel offenbar diskriminierende Polizeikontrollen. Gemäss der Schweizer Beratungsstellen für Rassismusopfer hatten sich im vergangenen Jahr schweizweit 23 Menschen deswegen bei einer der Anlaufstellen gemeldet, wie Johan Göttl von der Beratungsstelle «Stopp Rassismus» beider Basel sagt. «Die Dunkelziffer ist aber wahrscheinlich viel höher», sagt Göttl.

Anders tönt es, wenn man die Polizei selbst fragt. Es gäbe in seinem Korps kein Racial Profiling, hatte der Basler Polizeikommandant Martin Roth letzten Herbst gegenüber SRF festgehalten.

«Die Hautfarbe darf nie der einzige Faktor für eine Kontrolle sein.»

Toprak Yerguz, Polizeisprecher

Und Toprak Yerguz, Mediensprecher der Basler Polizei, sagt zu Bajour: «Personenkontrollen dürfen nicht anlassfrei erfolgen, Kontrollen 'ins Blaue hinaus' oder nach 'Bauchgefühl' sind unzulässig.» Es könne sein, dass die Hautfarbe bei der Personenkontrolle ebenfalls eine Rolle spielt: «Sie darf aber nie der einzige Faktor sein.»

Aus diesem Grund hat die Basler Polizei laut Regierung Massnahmen ergriffen, um ihre Polizist*innen gegenüber rassistischem Verhalten zu sensibilisieren.

Zum Beispiel:

  • überarbeitete Lehrmittel in den Polizeischulen
  • das Thema Ethik in der Grundausbildung
  • Infoveranstaltungen in Asylzentren
  • erste Austausch-Veranstaltungen mit migrantischen Vereinen
  • eine Gruppe Forschungspraktikant*innen an der Universität Basel wurde mit der Untersuchung des Themas beauftragt

Es bleibt ein kleiner Widerspruch: Einerseits gäbe es kein Racial Profiling, heisst es offiziell. Andererseits erkennt die Polizei das Problem an, indem sie versucht Massnahmen zu erarbeiten und umzusetzen. 

Das hier soll kein Polizei-Bashing werden. Es gilt die Unschuldsvermutung. Deswegen werfen wir einen Blick auf einige dieser Massnahmen. 

Beginnen wir dort, wo Polizeiarbeit geleistet wird: im Korps. 

Seit rund 15 Jahren lässt die Polizei Basel-Stadt auch Bewerbungen von Ausländer*innen zu. «Bei der Kantonspolizei Basel-Stadt arbeiten 24 vereidigte Polizisten und Aspiranten mit einer C-Bewilligung», sagt Yerguz. Also 3,5 Prozent der rund 700 Polizist*innen im Aussendienst - sprich: auf Streife. 

Das ist wenig dafür, dass Basel-Stadt einen Ausländer*innenanteil von rund 36 Prozent hat. Wie viele Polizist*innen mit Schweizer Pass und Migrationshintergrund oder People of Colour gibt im Korps? Das lässt sich nicht beziffern. «Die Kantonsverwaltung erfasst ihre Mitarbeitenden nicht nach diesen Kriterien», so Yerguz. 

Diversitätsproblem bei der Polizei?

Auch für Frauen scheint die Polizeiarbeit wenig ansprechend: Nur rund 17 Prozent der Bewerber*innen sind weiblich. Um die Diversität in den Basler Teams steht es grundsätzlich nicht besonders gut. Festgelegte Quoten gibt es nicht.

Doch durchmischte Teams, welche die Bevölkerung auch abbilden, arbeiten grundsätzlich besser und machen weniger Fehler. Gemäss einem Bericht der OSZE erhöhen mehr Frauen in Polizeiteams die Zugänglichkeit und das Vertrauen. Und eine Datenerhebung aus Grossbritannien zeigt: Nur schon eine kleine Erhöhung von Polizist*innen aus ethnischen Minderheiten im Korps führte zu einer grossen Senkung von diskriminierenden Personenkontrollen.

«Einheiten, die lange in gleicher Besetzung bestehen, sind gefährdet, ein eigenes Wertesystem zu entwickeln.»

Toprak Yerguz

In Basel ist man sich immerhin der Teamdynamik bewusst: «Einheiten, die lange in gleicher Besetzung bestehen, sind gefährdet, mit fortschreitender Zeitdauer ein eigenes Wertesystem zu entwickeln», sagt Sprecher Yerguz. So würden die Teams regelmässig neu zusammengestellt, um «Cliquenbildung» zu vermeiden.

Hast du blaue Augen?

Eine weitere Massnahme sind die sogenannten Blue-Eyed-Workshops. Dabei werden die Teilnehmenden in die Kategorien «blauäugig» und «braunäugig» eingeteilt und unterschiedlich behandelt. So sollen sie erfahren, wie es ist, wenn man aufgrund von äusseren Merkmalen diskriminiert wird. 

Die ersten Pilot-Workshops sollen Ende 2020 durchgeführt werden – sie sind für die Ressortleitenden mit Strassendienst Pflicht. «Als Führungspersonen haben sie eine Vorbildfunktion und können korrigierend eingreifen, sollten Mitarbeitende diskriminierendes Verhalten zeigen», sagt Yerguz. 

Die Workshops sind nicht unumstritten: Eine Evaluation der Universität of Georgia stellte fest, dass weisse Teilnehmende nach solchen Workshops zwar eine verbesserte Haltung gegenüber asiatisch und lateinamerikanisch aussehenden Personen aufwiesen, nicht aber gegenüber Schwarzen Personen. Auch seien Abwehrhaltungen bei Teilnehmenden aufgetreten, wenn sie Vorurteile bei sich selbst festgestellt hatten. Polizei-Teams in Deutschland hätten damit jedoch gute Erfahrungen gemacht, sagt Yerguz. 

Auch die berühmte US-Talkmasterin Oprah Winfrey hatte das Experiment in den 90ern mit ihren Publikumsgästen durchgeführt. Schau hier:

Laut Expert*innen reichen die heutigen Massnahmen allerdings nicht. Eine der Schwierigkeiten: Häufig ist für kontrollierte Personen nicht klar, warum sie überhaupt von der Polizei angehalten wurden. Das ist aber wichtig, um einschätzen zu können, ob der Einsatz gerechtfertigt war – oder eben nicht.

Kontrolliert worden? Hier gibt’s die Quittung!

Die Polizei hält fest, dass sie «wenn möglich» bei einer Personenkontrolle den Grund dafür angibt. Aber: «Meistens kann dies aus ermittlungstaktischen Gründen nicht während, sondern erst nach der Kontrolle gemacht werden», sagt Yerguz.

Da liegt die Krux: Jemand wird kontrolliert. Die Polizei prüft zum Beispiel Papiere und merkt: Ok, da ist doch nichts. Sie gibt dafür keinen Grund an, und zieht von dannen. Im Nachhinein ist es schwierig zu rekonstruieren, ob es tatsächlich ein Fall von Racial Profiling war. «Opfer von Racial Profiling haben kaum Optionen, sich im Nachhinein gegen die Diskriminierung zu wehren», sagt der Basler Rassismus-Experte Göttl. 

Ein Lösungsansatz dafür, der immer wieder diskutiert wird, ist ein sogenanntes Quittungssystem. Das geht so: Der*die Polizist*in stellt der Person nach der Kontrolle eine Quittung aus – mit Zeit, Namen, dem Grund für und Details zum Vorfall. Ein Exemplar für die Polizei, eins für die kontrollierte Person.

Antirassismus-Organisationen wie die «Allianz gegen Racial Profiling» fordern bereits seit Jahren ein solches Monitoring-System als probates Mittel für mehr Verantwortlichkeit und Nachvollziehbarkeit. Auch der Best-Practice-Bericht der UNO zur Verhinderung von Racial Profiling sieht es als eine der Möglichkeiten gegen diskriminierende Personenkontrollen.

«Mit einem Quittungs-System fühlten sich beide Seiten nach einer Kontrolle besser.»

David Martín Abánades, spanischer Polizei-Inspektor und Strafrechtsexperte

Und in Spanien haben nach der Einführung eines solchen Systems nicht nur die kontrollierten Personen, sondern auch die involvierten Polizist*innen positive Schlüsse gezogen. «Damit fühlten sich beide Seiten nach einer Kontrolle besser», stellte der spanische Polizei-Inspektor David Martín Abánades erstaunt fest. Die Nachvollziehbarkeit und die systematische Datenbasis seien eine gute Grundlage, um das Problem überhaupt mit der Bevölkerung lösungsorientiert diskutieren zu können, so der Strafrechts-Experte.

Vorstoss in Basel: Keine Chance

Die heutige Regierungsrätin und damalige Grossrätin Tanja Soland (SP) hat vor einem Jahr eine Pilotphase eines solchen Systems für Basel in einem Vorstoss gefordert.

Doch die Regierung wollte davon nichts wissen: «Das Quittungssystem verfestigt (...) den ideologischen Vorwurf, dass die Polizei grundsätzlich diskriminierende Personenkontrollen durchführt oder strukturell diskriminierend wirkt.»

Übersetzt heisst das: Die Regierung befürchtet, dass zu viel Selbstkontrolle und Transparenz dem Ruf der Polizei schaden. 

Ähnliche Vorstösse hatten auch in Bern und Zürich keine Chance. Und auch der Bundesrat findet es zu «bürokratisch», wie er in einer Antwort auf eine Interpellation der Basler Nationalrätin Sibel Arslan (BastA!/Grüne) vor drei Jahren schrieb. 

Das Dilemma von Racial Profiling in Basel, heruntergebrochen:

Betroffene Menschen sagen: Das passiert uns alltäglich.
Die Polizei sagt: Das gibt es nicht, aber wir tun etwas dagegen.
Die Politik sagt: Das Problem ist uns den Aufwand für griffige Lösungen nicht wert.

Sie wüssten nicht… sie müssten ja…
Ich könne ja… man weiss ja nie…
Warum ich denn… es ist doch nur…
Sie wollten nicht… es ist halt so…
Es war ja nicht… es kann ja sein…
Nicht ich, nicht sie, nur Zufall…

(aus: “Zugfahren”, Fatima Moumouni) 

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