«Wir wollen, dass es aufhört!» – Über 5000 Menschen demonstrieren in Basel gegen Rassismus
Stimmen, Erfahrungen, Bilder. Der Demonstrationsbericht.
In Basel gingen am Samstagnachmittag, 6. Juni, über 5000 Menschen auf die Strasse, um gegen Rassismus zu demonstrieren. Auslöser war der Tod des Afroamerikaners George Floyd, der in Minneapolis während einer Kontrolle durch einen weissen Polizisten getötet wurde. Aber es ging um mehr. Über dem Demonstrationszug in Basel hing wie ein bleiernes Banner das Gefühl einer enormen Erschöpfung in der Schwarzen Community.
Einer Erschöpfung, noch immer für die eigene Sichtbarkeit einzustehen. Einer Erschöpfung, der weissen Mehrheitgesellschaft immer und immer wieder erklären zu müssen, was Rassismus bedeutet. Dass dieser Rassismus omnipräsent ist. Dass People of Colour im Alltag permanent damit rechnen müssen, angefasst, exotisiert, misstrauisch behandelt und aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert zu werden.
Diese Erschöpfung ging aus den zahlreichen Reden hervor, die auf dem Barfüsserplatz und entlang der Demonstrationsroute durch die Innenstadt, über die mittlere Brücke und entlang der Klybeckstrasse bis zur Dreirosenanlage gehalten wurden. Es waren wütende Reden. Weisse Menschen hatten an diesem Samstag kein Rederecht. Die meisten respektierten das.
Folgende Rede wurde am Ende der Demonstration auf der Dreirosenanlage gehalten. Weitere Reden sind am Ende des Artikels zum Nachhören aufgeschaltet.
Um 13:00 Uhr war der Barfüsserplatz bereits voller Menschen. Die allermeisten hatten dem Aufruf, der zuvor in den Sozialen Netzwerken kursierte, Folge geleistet und trugen Atemschutzmasken. Von wem der Aufruf genau ausging, blieb unklar. Verschiedene Bündnisse und Gruppierungen hatten die Einladung geteilt, eine Bewilligung lag nicht vor. Die Polizei agierte zurückhaltend.
Wir haben mit einigen Demonstrationsteilnehmer*innen geredet und gefragt: Warum seid ihr heute hier?
Die Aufmerksamkeit richtete sich auf den Soundwagen. Eine Frau hielt eine Rede. Dann versuchte ein weisser Mann das Mikrofon zu ergattern, er wurde abgewimmelt. Eine zweite Frau, Ashley, 27, ergriff das Wort. Während der Reden hätte man auf dem Barfüsserplatz eine Stecknadel fallen hören können, so still war es. Die Stimmung war angespannt. Einige Zuhörer*innen weinten. Hier sind Auszüge aus den Reden:
M*: «Rassismus ist für mich Alltag, hier in der Schweiz, seit 45 Jahren. Rassismus ist kein amerikanisches Problem, weit weg von uns. Rassismus ist nicht nur Mord durch die Polizei auf offener Strasse. Rassismus sind auch die unzähligen Mikroaggressionen, die wir Betroffenen Tag für Tag erleben. Hände in unseren Haaren. Hasserfüllte Blicke. Beleidungen. Albtraummässige Wohnungs- und Arbeitssuchen. Das ständige Sich-Erklären und Sich-Legitimieren-Müssen, das wir tatsächlich auch von hier und auch echte Schweizer*innen sind.»
Ashley: «Über das Thema Rassismus und Diskriminierung zu sprechen ist ein schmerzhafter Prozess. Die meisten von uns haben Racial Profiling und Stereotypisierung erlebt und ich zum Beispiel, musste mich schon so oft gegen Misstrauen und Ungläubigkeit wehren, wenn ich diese Geschichten erzählt habe. Das bedeutet nicht nur, dass ich dabei die schmerzhaften Erlebnisse nochmals durchleben musste, sondern dass ich auch noch Energie darin investieren musste, dass mir überhaupt geglaubt wurde.
Sogar jetzt, wo einzelne Ereignisse von Polizeibrutalität gefilmt und verbreitet werden, so dass sie die ganze Welt sehen kann, ist da eine gewisse Skepsis. Oft ziehen diese Beweise Fragen nach sich wie: Aber da muss es doch bestimmt einen guten Grund dafür geben, oder? Das macht mich krank. Menschen, die so etwas fragen begreifen nicht, dass George Floyd nur die Spitze des Eisberges ist.»
Nach den Reden setzte sich der Zug in Bewegung. An der Spitze ein grosses Banner mit der Aufschrift: «Black Lives Matter. Auch in der Schweiz. #Wecantbreathe». Der Hashtag war nach dem Tod George Floyds zum Symbol der weltweiten Proteste geworden. «I can't breathe» waren die letzten Worte George Floyds, bevor er unter dem Knie des Polizisten das Bewusstsein verlor. Im Krankenhaus wurde sein Tod festgestellt.
Auf der mittleren Brücke kam der Demonstrationszug zum Stillstand. Eine Rednerin bat um 8 Minuten und 46 Sekunden Schweigen. So lange hatte der Polizist auf dem Nacken George Floyds gekniet. Die Protestierenden gingen auf die Knie oder in die Hocke. Dann war es 8 Minuten und 46 Sekunden lang still.
Am Rand der Strasse gab es einen engen Korridor durch den sich unbeteiligte Passant*innen durch die schweigende Masse schlängelten. Wer nahe genug am Rand sass, konnte sie schnauben hören. Manche gerieten regelrecht in Rage ob der Blockade, sie stiessen Luft durch die Nase, sie zischten, sie fluchten und zeterten. Die Masse schwieg. Es war ein beklemmender Moment zwischen der Trauer um den Tod mehrerer Menschen, die durch rassistische Gewalt gestorben waren auf der einen Seite. Auf der anderen Seite blitzte blanke Rage auf, unterbrochen zu werden. Die, die da sassen, die störten manche Vorbeigehende offenbar sehr. Sie störten den Fortgang, störten den Alltag, störten den selbstverständlichen Weg von A nach B.
Natürlich gab es auch Passant*innen, die inne hielten, die ebenfalls niederknieten in einem Akt spontaner Solidarität. Zwei Polizisten waren ebenfalls niedergekniet.
Aber es gab auch diese Auswürfe einer reflexhaften Wut darüber, im Samstagnachmittagsselbstverständnis gestört zu werden.
Der Zug setzte sich fort. Vor dem schiefen Eck versuchten einige angetrunkene Gäste mit unflätigen Gesten und Pöbeleien die Stimmung zu kippen. Erfolglos. Eine kleine Gruppe von Menschen stellte sich zwischen die Pöbler*innen und die Demonstrant*innen. Die Polizei beobachtete die Szene. Weiter passierte nichts.
Vor der Kaserne wurden nochmals Reden gehalten bevor die Demonstration gegen 16:00 Uhr auf der Dreirosenanlage einbog. Von der Treppe über der Brücke aus war zu sehen, dass beinahe die gesamte Wiese besetzt war von Demonstrierenden, die Parolen skandierten. «No Justice, No Peace – Black Lives matter». Weitere Reden folgten, wir haben vier von Ihnen am Ende dieses Artikels zum Nachhören aufgeschaltet.
Gegen 17:30 löste sich die Gruppe langsam auf.
Mitarbeit: Timo Posselt