Transboys will be Boys and only Boys? Blödsinn!

Auf dem Kassenzettel der Mediziner*innen stehen bei der Verschreibung von Testosteron immer noch zwei Geschlechter. Das ist schlecht. Sascha rechnet ab.

Sascha
Sascha und zwei herzhafte fuck you's ans Patriarchat. (Bild: Anna Gabriel-Jürgens)

In der letzten Kolumne hab ich ja mal ne Runde mit Testo™ geschnackt und sowohl Testosteron als auch ich bedauerten, dass es in seiner Packungsbeilage nur cis Männer adressiert.

Es gibt aber eben noch andere Menschen, die gerne Testo einnehmen: Trans Männer und ein paar non-binäre Menschen, wie ich. Und das ist in zweierlei Hinsicht ein Problem: Erstens gibt es keine Langzeitstudien. Und weil es keine Langzeitstudien und keine Zielgruppenforschung gibt, ist das Medikament noch immer nur auf cis Männer ausgerichtet. 

Zweitens: Nicht alle transmaskulinen Menschen identifizieren sich als trans Männer. 

In der Packungsbeilage werden aber wie gesagt nur cis Männer angesprochen – und weibliche Körper explizit dazu aufgefordert, kein Testosteron einzunehmen, weil das beispielsweise folgende Nebenwirkungen haben könnte: «Stimmbruch, Bartwuchs, Haarwuchs an Bauch und Beinen, Virilisierung («Vermännlichung») des Körpers…» Das sind genau die Wirkungen, die trans Männer und Enbies sich wünschen. 

Die grosse Schwierigkeit ist aber, überhaupt erst an Testo ranzukommen. 

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Treffen sich Sascha und Testosteron auf einen Schwatz

Kommt ein cis Klischee vorbei. Was macht ihr da? Beide: «Halbwissen wegflanken, sieht man doch.» Ein Trashtalk.

Die feinsten, sanftesten, zartbesaitensten, femininsten – OK, you got me! – trans Männer haben mir davon erzählt, wie sie bei den Psychiater*innen, die sie besuchen mussten, einen auf grosse Macker machten, vom Fussballspielen und rumprügeln und rülpsen bei drei Liter Bier erzählten, um so maximal stereotyp männlich zu wirken wie irgendwie möglich. Der Plan ging lächerlich einfach auf: Diese trans Männer erhielten ihre Rezepte in der Regel sehr schnell. 

Hinterfragendere, fragilere Männlichkeiten, die sich nicht auf dieses Spiel einlassen wollten, mussten sich demgegenüber einer langwierigen Abklärung unterziehen, bis sie schlussendlich ebenfalls ein Rezept erhielten. Das Beispiel zeigt auf: Viele Psychiater*innen denken so binär und simpel über Geschlecht, als würden sie RTL und Pro7 schauen, um Genderkompetenz zu erwerben. Man hätte meinen könnten, dass gerade sie ein Verständnis von Geschlecht entwickelt haben, das eben nicht binär funktioniert, sondern Geschlecht als fliessender Eintrag auf einem Spektrum akzeptiert. 

Mein Gynäkologe verspricht mir dauernd verheissungsvoll: «Sie werden irgendwann schon noch voll transitionieren.» 

Das ist aber nicht die einzige Enttäuschung auf diesem Gebiet. Es gibt auch transphobe Ärzt*innen, die sogar auf trans Menschen spezialisiert sind, wie z.B. mein Gynäkologe. Er ist total offen – für binäre trans Menschen. Non-binäre Menschen schickt er dafür gleich wieder aus der Praxis (ich habe schon zwei frustrierte Emails von non-binären Menschen erhalten, die beim gleichen Arzt anklopften, aber unverzüglich aus seiner Praxis rausgeworfen wurden. Angeblich, weil sie doch offensichtlich «Frauen» seien). 

Bei mir war das anders: Da ich schon eine Mastektomie vorgenommen hatte (so nennt man die Entfernung der weiblichen Brust) wurde mir eine ausreichende Glaubwürdigkeit attestiert und ich durfte Hormone beziehen. Als Gel. Dieser Gynäkologe meint dennoch bei jedem regulären Besuch, dass ich doch endlich mal auf die Spritze wechseln könnte und doch eigentlich nur ein trans Mann «in the closet» sei. (In the closet = «im Schrank» steht für eine Person, die sich noch nicht geoutet hat). 

Er verspricht mir dauernd verheissungsvoll: «Sie werden irgendwann schon noch voll transitionieren.» 

Die Spritze würde eine solche «volle Transition» einleiten. Minimale virilisierende Effekte, über die ich in meiner letzten Kolumne geschrieben habe, würden dadurch einem deutlich männlich gelesenen Erscheinungsbild weichen. Ich möchte das nicht und sage das jedesmal. Und trotzdem: Es wird mir jedesmal empfohlen. 

Weil ich dann endlich ins System passe? 

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Tampons, Testosteron, Mooncup, Mastektomie. Können Sie mit dieser Kombination umgehen, liebe Mediziner*innen? (Bild: Anne Gabriel-Jürgens)

Lieber mit Unsicherheiten leben als falsch

Manche Studien sprechen von einer minimal kürzerer Lebensdauer durch die Hormonbehandlung. Die meisten sagen jedoch, zu transitionieren führe keine gesundheitlichen Schäden herbei. Aber nachhaltig verlässliche Facts gibt’s zu all diesen Medikationen noch keine. Warum sich eine*r so etwas unter diesen Umständen antun möge, fragst Du Dich? Weil wir Transmenschen und Enbies uns immer noch besser fühlen so zu leben, als in einer falschen Geschlechtswahrnehmung. 

Wenn die Entscheidung im schlimmsten Fall zwischen einem Leben mit diesen Ungewissheiten oder gar keinem Leben gefällt werden muss, dann macht die Ungewissheit weniger Angst.  

Bei Geburt dem weiblichen Geschlecht zugewiesene Enbies, wie ich, haben noch viel weniger wissenschaftlichen Rückhalt, als binäre trans Menschen. Der Austausch untereinander wird zum Wissenschaftsforum. Auch bei mir: Ich las durch Informationen von anderen Enbies von einem Schmerz, den einige teilen und erhielt erst vor kurzem die Diagnose bestätigt, an einer vaginalen Atrophie zu leiden.

Das bedeutet, dass die Schleimhäute meiner Vagina und Gebärmutter austrocknen, die Gebärorgane veraltern sozusagen – grundsätzlich ist das kein Problem, aber Penetration wird dadurch höllisch schmerzhaft.

Fuck you, Patriarchy, für deine miese Wissensvermittlung! 

Diese vaginale Atrophie ist eine «Krankheit» unter der 25 Prozent der Geschlechter früher oder später leiden. Nämlich die Hälfte aller Menschen mit weiblichen Geschlechtsorganen in den Wechseljahren.

Fuck you Patriarchy!, denk ich da einmal mehr, denn ich habe zuvor noch nie von diesem Phänomen gehört! Und es ist eben nicht irgend eine spezielle Kondition, die ich in meinem non-binary-Dasein erlebe, sondern eine, in meinem Falle durch das Testosteron bedingte, bei mir mit 28 Jahren einsetzende Kondition. 

Die meisten Frauen warten sonst bis 50 auf diesen Gschpass.  

Es ist ein Thema, das noch immer nicht breit diskutiert wird. Noch weniger als die Endometriose, der nun vermehrt auch mediale Sichtbarkeit eingeräumt wird. Und ich bin echt empört: Es kann doch nicht sein, dass die Zahl der potenziell betroffenen Personen so hoch ist und wir aber nicht darüber sprechen? Es fehlt nicht nur den trans Männern und den Enbies an klinischen Studien, es fehlt auch der Gesellschaft – wieder einmal – an Aufklärung der weiblichen Geschlechtsorgane und ihren «Stadien». 

Schuld an diesen Lücken – ob Frauen oder trans Menschen – trägt ein patriarchal männlich-orientiertes Interesse, das aufgelöst werden sollte und für alle Geschlechter neu sensibilisiert werden müsste.

Und das sich für Menschen, ihre Entwicklung(en) und Bedürfnisse, und nicht ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit interessieren sollte. 

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Die Fotos dieser Serie sind Arbeiten der freiberuflichen Fotografin Anne Gabriel-Jürgens. Sie lebt und arbeitet in Zürich und Hamburg und begleitet Sascha für ein Langzeitprojekt mit dem Titel «Outbetweeninside». Die Fotografin beschreibt die Arbeit als visuellen Dialog mit Sascha. Alle Bilder dieser Artikelserie sind Teil dieser Zusammenarbeit.


Sascha hat übrigens auch eine Kolumne beim queerfeministischen Missy Magazin aus Berlin. Hier kannst du die Texte lesen.

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