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Klimawandel

Lena blockiert eine Grossbank - Teil 2, Der Notstand

Im Juli 2019 kämpfte Lena mit ihrem Körper vor der UBS gegen den Klimawandel. Sie betonierte ihren Arm in ein Fass. Wie weit geht ziviler Ungehorsam – und was passiert dann? Eine Reportage in drei Teilen.

06/30/20, 01:09 AM

Aktualisiert 07/02/20, 05:15 PM

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Wird ein Lausanner Urteil den Basler Prozess beeinflussen? Im Bild die Kathedrale von Lausanne. (Foto: CC/AlterVista)

Wird ein Lausanner Urteil den Basler Prozess beeinflussen? Im Bild die Kathedrale von Lausanne. (Foto: CC/AlterVista) (Foto: CC/AlterVista)

Was bisher geschah: In «Teil 1 - Die Blockade» haben wir die Ereignisse vom 8. Juli 2019 nacherzählt: Klima-Aktivist*in Lena verbrachte die erste Tageshälfte an ein Fass gekettet vor der UBS am Basler Aeschenplatz. Dann verbrachte sie 24 Stunden in Polizeigewahrsam. Sie hat, zusammen mit mindestens 62 anderen Aktivist*innen, Einsprache erhoben – nun stehen die Prozesse an.

Worum es nun geht: Lena hat gegen den Strafbefehl Einspruch erhoben. Jetzt muss sie sich für die Blockade der Basler UBS-Filiale im Sommer 2019 vor Gericht verantworten. Folgt das Gericht der Staatsanwaltschaft – oder stellt ein Urteil aus Lausanne den Basler Prozess plötzlich auf den Kopf? Teil 2 unserer Serie.

Wir blicken in die Westschweiz, nach Lausanne, wo Anfang dieses Jahres ein ähnlicher Prozess stattfand.

Am 13. Januar 2020 standen in Lausanne, genauer im Vorort Renens, 12 Klimaaktivist*innen für ein inszeniertes Tennisspiel in einer Filiale der Credit Suisse vor einem Bezirksgericht. Das Spiel war ein Akt des Protests gegen die Bank und einen Werbeträger, der in der Schweiz als Saubermann schlechthin gilt: Roger Federer. Die Aktivist*innen machten darauf aufmerksam, dass sich Roger Federer von der Bank sponsern lässt, obwohl diese die fossile Industrie jährlich mit Milliardensummen finanziert.

Der Gerichtsprozess war von den Aktivist*innen einkalkuliert. Sie nutzten die mediale Aufmerksamkeit, um auf die von ihnen kritisierten Missstände aufmerksam zu machen. Mit einem Freispruch rechnete kaum jemand – bis Einzelrichter Philippe Colelough alle 12 Angeklagten überraschend freisprach. Er bezog sich in seinem Urteil auf Artikel 17 des Strafgesetzbuchs (StGB), der einen rechtfertigenden Notstand beschreibt:

Artikel 17 lautet: «Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um ein eigenes oder das Rechtsgut einer anderen Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten, handelt rechtmässig, wenn er dadurch höherwertige Interessen wahrt.»

Der Begriff des «Notstands» rückte im vergangenen Jahr vor allem durch den ähnlichen Begriff des «Klimanotstands» in den Vordergrund. Diesen haben in der Schweiz viele Städte und Kantone auf Druck des Klimastreiks ausgerufen. So auch die Kantone Waadt und Basel-Stadt.

Wichtig ist aber, den Unterschied zum «rechtfertigenden» Notstand zu beachten. Während der Klimanotstand ein Versprechen von Parlamenten ohne Verbindlichkeit ist, kennt der «rechtfertigende Notstand», Artikel 17 des Strafgesetzbuches, eine klare Rechtspraxis und kann in einem Strafprozess zur Anwendung kommen.

Das Lausanner Gericht unter Einzelrichter Philippe Colelough tat genau das: Es brachte Artikel 17 zur Anwendung. Die zentrale Aufgabe in der Urteilsbegründung war deshalb festzustellen, ob die Voraussetzungen für diesen rechtfertigenden Notstand gegeben waren. Und weil die Urteilsbegründung auch für den Basler Prozess relevant werden könnte, schauen wir uns dieses Urteil nochmals etwas genauer an.

Eine juristische Schnellbleiche, bist du bereit?

Die Voraussetzungen für Artikel 17 beschreibt das Gericht in der Urteilsbegründung wie folgt:

«Die Gefahr muss unmittelbar bevorstehen, d.h. weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft liegen, sondern gegenwärtig und konkret sein.» Weiter schreibt das Gericht als Voraussetzung, dass es «unmöglich sein muss, die Gefahr anderweitig abzuwenden.»

Um die Aussergewöhnlichkeit des Urteils zu verstehen, nehmen wir die Urteilsbegründung genauer unter die Lupe.

In einem ersten Schritt wurde in der Urteilsbegründung untersucht, ob im vorliegenden Fall eine «unmittelbare Gefahr» gegeben sei. Das Gericht kam zum Schluss, dass dies aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse, gegenwärtiger Entwicklungen, sowie unter Berufung von Zeug*innen gegeben sei. Das Gericht bezog sich dabei in erster Linie auf den Weltklimarat (IPCC) und schrieb: «Die Arbeit des Weltklimarats führt zum Schluss, dass die globale Erwärmung menschgemacht, zu schnell und gefährlich ist.»

In einem zweiten Schritt prüfte das Gericht anschliessend, ob die Gefahr nicht anderweitig hätte abgewendet werden können. Dazu stellte es drei alternative Möglichkeiten in den Raum:

  • Erstens: Hätte der Protest nicht mit einer bewilligten Demonstration erreicht werden können?
  • Zweitens: Hätte die Bank nicht auf anderem Weg auf ihr Fehlverhalten aufmerksam gemacht werden können?
  • Drittens: Hätten die Aktivist*innen nicht auf formalrechtliche Mittel zurückgreifen können?
Hätte das als Protest auch gereicht? Klima-Demo in Basel. (Foto: Olivier Christe)

Hätte das als Protest auch gereicht? Klima-Demo in Basel. (Foto: Olivier Christe)

In allen drei Punkten, und das war wirklich nicht vorherzusehen, kam das Gericht zu negativen Entscheiden. Das Gericht argumentierte wie folgt:

Zum ersten Punkt: Hätte der Protest nicht mit einer bewilligten Demonstration erreicht werden können?

In der Urteilsbegründung ist festgehalten, dass solche bewilligten Demonstrationen bereits stattgefunden hätten – mit dem Ziel, den Druck auf die Regierungen zu erhöhen. Damit meint das Gericht die unzähligen Demonstrationen der Klimastreik-Bewegung, aber auch die nationale Klimademo in Bern von vergangenem Herbst mit rund 100'000 Teilnehmer*innen.

Anders stufte das Gericht unter Einzelrichter Philippe Colelough jedoch die vorliegende Aktion ein. Diese habe versucht habe, die «öffentliche Aufmerksamkeit auf das Problem der Klimaerwärmung im Allgemeinen und auf die Beteiligung des Schweizer Finanzplatzes im Besonderen zu lenken.»

Das Gericht kam zum Schluss: «Eine Ansammlung von etwa zwanzig Personen, selbst wenn sie grimmig gekleidet wären, die auf der öffentlichen Strasse, sogar auf dem Bürgersteig vor der Credit Suisse, ein karikiertes Tennisspiel spielen, wäre wahrscheinlich nicht nur verboten worden, sondern hätte vor allem in keiner Weise die Wirkung auf die Öffentlichkeit erreicht, wie sie im vorliegenden Fall erzielt wurde.»

Das Gericht hielt damit fest: Nein, mit einer bewilligten Demonstration wäre dieselbe Wirkung nicht zu erzielen gewesen.

Zweitens: Hätte es andere Wege gegeben, um die Bank auf ihre klimaschädlichen Geschäfte aufmerksam zu machen? 

Dazu schrieb das Gericht, dass die Credit Suisse jegliche Kontaktaufnahme in der Vergangenheit verweigert habe. Insbesondere Anfragen von Greenpeace seien nicht beantwortet worden. Das Gericht schloss daraus, und das ist so wörtlich in der Urteilsbegründung festgehalten, dass die vorliegende Aktion «das einzige wirksame Mittel war, um die Bank zu einer Reaktion zu bewegen.»

Drittens: Welche formalrechtlichen Mittel hätten die Aktivist*innen wählen können?

Das Gericht stellte drittens fest, dass der rechtliche Rahmen zur Bekämpfung der Klimaerwärmung verfassungsrechtlich grundsätzlich gegeben sei.

Dieser rechtliche Rahmen wird zunächst von eine ganze Reihe von Paragraphen ins Feld abgesteckt – das Gericht nannte dafür Artikel 73 (Nachhaltigkeit) und 74 (Umweltschutz) der Bundesverfassung, Artikel 2 (Recht auf Leben) und 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Menschenrechts-Konvention EMRK, sowie das Pariser Klimaübereinkommen.

Da irgendwo ist Lena: Aktion vor der UBS am Aeschenplatz. (Foto: Olivier Christe)

Da irgendwo ist Lena: Aktion vor der UBS am Aeschenplatz. (Foto: Olivier Christe)

Dann holt die Urteilsbegründung aus zum grossen ABER. Das Gericht wies darauf hin, dass, obwohl Parlamentarier*innen des National- und Ständerats seit mehr als fünf Jahren Interpellationen und Motionen zuhanden des Bundesrats eingereicht hätten, dieser nicht «konkreter reagiert hat als mit harmlosen oder gar beruhigenden Absichtserklärungen, die im Widerspruch zur finanziellen, wissenschaftlichen oder politischen Realität stehen.»

Obwohl der legale Rahmen also gegeben sei, so das Gericht weiter, werde dieser nicht entsprechend umgesetzt. Ausgedeutscht: Der Bund hat die Werkzeuge, um Veränderung voranzutreiben. Er tut: Viel zu wenig.

Aufbauend auf all diesen Überlegungen schloss das Gericht, «dass alle Voraussetzungen des Artikels 17 des Strafgesetzbuches erfüllt sind und dass die Angeklagten daher aufgrund des von ihnen erlangten Notstands rechtmäßig gehandelt haben.»

Neuland in der Schweizer Rechtsprechung

 Die Nachricht über das Urteil verbreitete sich unter Jurist*innen wie ein Lauffeuer und sorgte weltweit für Schlagzeilen, sogar in der New York Times. Ein solches Urteil ist Neuland in der Schweizer Rechtsprechung. Zum ersten Mal wurden hierzulande Aktivist*innen, diie zivilen Ungehorsam angewandt haben, unter Berufung auf Artikel 17 (StGB) in erster Instanz freigesprochen.

Martino Mona, Professor für Strafrecht an der Universität Bern und Herausgeber des Buchs «Die Grenzen des rechtfertigenden Notstands», spricht von einem  Schock, als wir ihn am Telefon erreichen. Noch nie wurde Artikel 17 in der Schweiz auf diese Weise ausgelegt. Rechtfertigt der Zweck hier also die Mittel?

Oder haben wir es hier mit einem Präzedenzfall zu tun? Muss die gängige Rechtsprechung angesichts der Bedrohung, die von der Klimaerhitzung ausgeht, neu gedacht werden?

Aus Basler Sicht interessiert vor allem: Was bedeutet das Urteil für Lena und die anderen Aktivist*innen, welche am 8. Juli 2019 die UBS blockiert haben und nun auf den Prozess warten? Können sie ebenfalls mit einem Freispruch nach Artikel 17 rechnen?

Die waadtländische Staatsanwaltschaft hat nur einen Tag nach dem Urteil des Lausanner Gerichts bekannt gegeben, dass sie den Fall ans kantonale Appellationsgericht weiterzieht. Die weitere Bearbeitung steht dort noch aus.

«Zu einem Freispruch wird es weder dort noch in Basel kommen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer», sagt Martino Mona. Nach Einschätzung des Berner Strafrechtsprofessors Mona sieht es – Spoiler – nicht gut aus für Lena und ihre Mitstreiter*innen. Was wird die mögliche Anwendung der gängigen Rechtssprechung auf den Basler Fall sein – und was heisst das für den Klimaschutz? Das lest ihr im dritten Teil.

Über den Autor: Olivier Christe ist freier Journalist. Er schreibt über Klimapolitik und die Finanzindustrie. Aktuell ist er zudem an einer kantonalen Volksinitiative beteiligt, die Basel bis 2030 klimagerecht ausrichten will.

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