Grüssaugust, Mieterschreck, Klimaschnägg?
Conradin Cramer ist der erste bürgerliche Vorsteher des Präsidialdepartements. Er inszeniert sich als entscheidungsfähig und hat mit dem ESC nun die beste Möglichkeit, sich und Basel gut aussehen zu lassen. In der Verwaltung eines Dauerkrisendepartements scheint derweil Ruhe eingekehrt zu sein.
Es hatte nur eine Nacht zum Drüberschlafen gebraucht, damit Conradin Cramer seine Chance erkannte. Am Morgen nach Nemos Sieg am Eurovision Song Contest – die mediale Schweiz war noch voll im etwas ungläubigen Siegestaumel – tweetete der Basler Regierungspräsident, keine zwei Wochen im Amt, seine Absichten in die Welt hinaus, dass er Basel zum nächstjährigen Austragungsort des grössten internationalen Musikwettbewerbs machen wollen würde.
Cramer war sich sofort bewusst: Wenn Basel den Zuschlag bekommt, hätte das wahnsinnig viel Potenzial – der ESC ist so ziemlich die grösstmögliche Werbeanzeige, die eine Stadt von der Grösse Basels für sich machen kann. Liverpool hat durch die Austragung 2023 einen nachhaltigen Tourismus-Boom erlebt, der auf ein Plus von 250 Millionen Pfund in drei Jahren geschätzt wird. Cramer – der schon vor zehn Jahren als Nachwuchshoffnung der LDP als «tadellos» bezeichnet wurde und nie ganz das Bild streberhafter Musterschülers los wurde – würde sich gern einen solchen Verdienst für Basel auf die Fahne schreiben.
Dass der ESC in die Schweiz kommen wird, war also ein Glücksfall für Cramer. Dass Basel dann den Zuschlag bekam, war mehr als das, nämlich gescheites Lobbying. Denn Basel hat Standort-, Logistik- und Kapazitätsnachteile im Vergleich zu Genf und Zürich, den ursprünglichen Favoritinnen. Cramer liess daher alle Hebel in Bewegung setzen, um mit abenteuerlichen Public-Viewing-Konzepten, aufwändigem Werbevideo und blumigen Dreiland-Narrativen keinen Zweifel daran auszulassen: ESC in Basel? Match made in heaven!
Kurz gesagt: Klar ist Conradin (wie er mononym im Bewerbungsvideo genannt wird) mitverantwortlich dafür, dass der ESC im Mai nach Basel kommt. Und es gibt einen Vorgeschmack darauf, wie er die in der Vergangenheit viel kritisierte Repräsentationsrolle eines Regierungspräsidenten wieder positiv besetzen könnte.
Dazu gehört auch, dass er Social Media viel besser versteht als seine Vorgänger*innen: Wenn er in Videos den Erklärbär macht oder einen ESC-Freudentanz aufführt, strahlt er das Gefühl aus, nicht nur wichtige Hände schütteln und lächeln zu wollen, sondern auch den Draht zur Bevölkerung zu suchen.
Doch Repräsentieren ist nicht nur spassig und locker flockig. Erstens, weil alle Augen darauf gerichtet sind (unter dem ESC-Tanz-Video wurde kommentiert, wie steif sich Cramer bewegt). Zweitens, weil allein die Repräsentationsrolle schon kontrovers ist. Schon als das Departement vor 15 Jahren geschaffen wurde, verunglimpfte man Guy Morin, der erste «Stapi» (die Bezeichnung «Stadtpräsident» war ursprünglich geläufig), als «Grüssaugust».
Auch wenn die Kritik sich derzeit mehr auf das Bau- und Verkehrsdepartement bündelt – das PD galt lange als undankbares und unbeliebtes Departement, denn man kann kaum sachpolitische Akzente setzen. Als Elisabeth Ackermann die Museumsstrategie vorstellte, wurde das als kleiner Wurf abgetan. Kulturpolitisch steht nun auch für Cramer die Erarbeitung des neuen Kulturleitbilds an, sein Entwurf soll kommendes Jahr in die öffentliche Vernehmlassung gehen. Lorbeeren wird sich aber auch Cramer damit nicht verdienen können.
Zwar wurde 2022 die Initiative zur Abschaffung des PD abgelehnt, aber 40 Prozent Ja-Stimmen waren auch nicht der vollkommene Vertrauensbeweis in die Arbeit des Departements. Dabei hatte sich Cramers Vorgänger Beat Jans Mühe gegeben, um dem PD nach der Ackermann-Abwahl 2020 mehr politisches Gewicht zu verleihen. Dafür wollte er das Amt für Umwelt und Energie (AUE) im Präsidialdepartement ansiedeln – in einer Zeit wohlgemerkt, in der sich damit noch Wahlen gewinnen liessen.
Mit diesem Plan scheiterte er bekanntlich und schuf mit der Fachstelle Klima im PD dann doch noch eine Strategiebehörde, welche die Kompetenz in Klimafragen in seinem Departement bündeln sollte.
Schon im Wahlkampf für die Nachfolge von Jans als Regierungspräsident liess Cramer im Interview mit der BaZ durchblicken, dass er sich auch wieder eine andere Struktur vorstellen könnte: Er sei der Ansicht, dass im PD nicht die Klimapolitik des Kantons gemacht werde (sondern im Umwelt- sowie im Bau- und Verkehrsdepartement). Und er kündigte an, genau hinschauen zu wollen, ob die neue Fachstelle Klima in ihrer Koordinationsfunktion wirklich einen Mehrwert bringe. Nach 100 Tagen im Amt kündigte er an, eine externe Evaluation der Fachstelle in Auftrag gegeben zu haben.
Auch wenn man relativieren muss: Die Evaluation der neuen Fachstelle war von Anfang an (also noch unter Jans) geplant, weil das eben zu neuen Fachstellen dazugehört. Aber es entstand der Eindruck: Das einzige, was Cramer in Sachen Klimapolitik konkret macht, ist die Infragestellung der dafür zuständigen Fachstelle. Diese Sorge – dass der erste bürgerliche Regierungspräsident das Rad in der Klimapolitik wieder zurückdreht – veranlasste das Junge Grüne Bündnis dazu, einen offenen Brief zu veröffentlichen. Die Klimaloki dürfe unter Cramer nicht zum klimapolitischen Schnägg werden, hiess es darin.
Cramer hat bislang noch keine Lösungen präsentiert, wie die ambitionierten Basler Klimaziele erreicht werden sollen. Bald wird er dazu aber die Möglichkeit haben, denn die Fachstelle Klima hat sich zum Ziel gesetzt, bis Ende des Jahres den zweiten Teil der Klimastrategie vorzustellen.
Nachdem im ersten Teil vor einem Jahr skizziert wurde, wie die direkten CO2-Emissionen (Energieversorgung, Mobilität, Gebäude) sinken sollen, widmet sich der zweite Teil den viel schwieriger steuerbaren indirekten Emissionen: Wie minimiert man den ökologischen Fussabdruck von Baumaterial, das zuerst hergestellt und nach Basel transportiert werden muss? Kriegen wir die Basler*innen dazu, weniger Güter zu konsumieren? Oder weniger in den Urlaub zu fliegen?
Es geht also nicht mehr um den Ausbau des Fernwärmenetz oder Ölheizungsverbote, sondern um schwierige Entscheidungen, um die unbequemen Themen Verzicht und Verbot, deren Wirkung sich auch schwieriger messen lässt. Aber im Endeffekt ist das der viel wichtigere Teil der Klimastrategie: Die direkten CO2-Pro-Kopf-Emissionen der Basler*innen liegen heute bei 3,3 Tonnen, die indirekten bei 13 Tonnen.
Wenn Cramer es ernst meint damit, den Volksentscheid von Netto-Null bis 2037 zu respektieren, wird er also im Rahmen der Klimastrategie Entscheide bekannt geben müssen, die auch Bürgerlichen nicht gefallen dürften. In Anbetracht dessen ist seine Devise derzeit wohl: erstmal abwarten. Aus der Medienstelle des Präsidialdepartements heisst es dann auch, dass «die Arbeiten für den zweiten Teil der Klimastrategie derzeit an die Hand genommen» werden. Heisst: Dieses Jahr wird diese nicht mehr erscheinen.
Statt aufs Klima setzt Cramer auf den Wohnschutz
Statt des Klimas, das mittlerweile wieder weitestgehend aus der medialen Tagesaktualität verschwunden ist, hat sich Cramer sowieso bereits im Wahlkampf entschieden, seine präsidialen Pflöcke bei einem anderen, medial derzeit präsenteren Thema einzuschlagen: beim Wohnschutz. Niemand ist damit zufrieden, der Mieter*innenverband zetert und die Investor*innen und ihre Lobby jammern.
Um relativ früh in seiner Amtszeit Entscheidungswille zu beweisen, kündigte Cramer zu seinem 100-Tätigen an: Es sollen wieder stärkere Erhöhungen der Mietzinsen nach Sanierungen möglich werden, was einer Lockerung des Wohnschutzes gleichkommt.
«Es besorgt uns, dass er sich weder zur Umsetzung des neuen Gleichstellungsgesetzes noch zur Rassismusbekämpfung geäussert hat.»Raffaela Hanauer, Grünen-Co-Chefin
Den Linken gefällt das natürlich nicht. Grünen-Parteichefin Raffaela Hanauer sagt, dass diese Medienkonferenz gut veranschauliche, warum sie sich grosse Sorgen gemacht habe, dass der Regierungspräsident jetzt sein LDP-Parteibüchlein hervorholt: «Statt bei Gleichstellung und Klimaschutz voranzukommen, kommuniziert er hauptsächlich eine Schwächung des Wohnschutzes und lockert damit eine wichtige Errungenschaft, obwohl die Bevölkerung klar für einen starken Wohnschutz gestimmt hat. Es besorgt uns auch, dass er sich in der Medienkommunikation weder zur Umsetzung des neuen Gleichstellungsgesetzes noch zur Rassismusbekämpfung geäussert hat, beides zentrale Dossiers des Präsidialdepartements.» Die Grünen wollen Cramer und seinen Sitz im PD nun bei den Wahlen mit Anina Ineichen angreifen.
Patricia von Falkenstein hingegen, Präsidentin von Cramers LDP und dem kantonalen Hauseigentümer*innenverband, findet «gerade wegen der Klimaziele» sei es richtig, dass er seinen Fokus auf den Wohnschutz lege: «Um 2037 klimaneutral zu sein, müssen jetzt viele veraltete Wohnungen erneuert werden, was vom Wohnschutz verhindert wird.» Die Nationalrätin nimmt ihn als einen Regierungspräsidenten wahr, der sich Zeit für Menschen und die einzelnen Dossiers nimmt: «Er macht das sehr gerne, das merkt man. Und er hat sich gut eingelebt.» Nun erwartet sie, dass Cramer die «mit der nötigen Vorsicht» die Wohnschutzverordnung anpasst – und dann auch das Wohnschutzgesetz angeht, ausgehend von den von Bürgerlichen Parlamentarier*innen überwiesenen Motionen.
«Er macht das sehr gerne, das merkt man. Und er hat sich gut eingelebt.»Patricia von Falkenstein, Präsidentin LDP
Bisher ist Cramer bei der Lockerung geschickt vorgegangen: Er machte klar, dass er die Abstimmung über den Wohnschutz vor zwei Jahren nicht infrage stellen will, aber eben auch das Basler Bauwesen aus der aktuellen Sackgasse herausmanövrieren muss. Dazu will er die Wohnschutzverordnung anpassen, also nicht das von der Bevölkerung beschlossene Gesetz antastet. Ihm kann also nicht vorgeworfen werden, den Wähler*innenwillen nicht zu respektieren. Doch der Mieter*innenverband findet das Vorgehen, wie er in einer Mitteilung schreibt, unredlich und bezeichnet Cramer als «Mieterschreck».
Was nach Populismus klingt, ist ein tatsächliches Risiko von Cramers Vorgehen: Mit Lockerungen geben sich zunächst die Bürgerlichen, die Investor*innen und Baufirmen zufrieden. Aber der Mieter*innenverband ist nach wie vor mächtig und kann Abstimmungen gewinnen. Die Krux wird sein, die seit Jahren zerstrittenen Seiten zusammenzubringen und wie bei «Basel baut Zukunft» einen Kompromiss zu finden.
«Man hört wieder mehr Lachen im Rathaus.»Anonyme*r Mitarbeiter*in im PD
Den verschiedenen Darstellungen seiner politischen Gegner*innen zum Trotz, die den Bürgerlichen auf dem Thron der Basler Politik ein bisschen zum Schreckgespenst machen wollen, hört es sich im Präsidialdepartement nicht so an, als würde da gerade die bürgerliche Revolution stattfinden. Ein*e Mitarbeiter*in, der*die anonym bleiben möchte, sagt: «Es wird sicher nicht alles auf den Kopf gestellt. Natürlich haben seine Entscheidungen eine bürgerliche Handschrift – aber er hat grossen Respekt vor den Beschlüssen seiner Vorgänger und zweifelt diese nicht an.»
Cramer hat bereits sieben Jahre lang ein Regierungsdepartement geleitet, er weiss also, auf was es in der Führungskultur ankommt: Er habe eine robuste eigene Meinung sowie methodisches Verständnis der Regierungsinstrumente, bringe sich konstruktiv-kritisch ein, wolle mit offenem Dialog gut überlegte Entscheidungen möglich machen, so der*die Mitarbeiter*in. Doch das Klima im PD sei dennoch entspannter: Nach Krisen- und Umbruchszeiten (dass Beat Jans höhere Ambitionen hatte und nach Bern schielte, war kein Geheimnis) sei Ruhe eingekehrt, «man hört wieder mehr Lachen im Rathaus». Conradin, das merke man, sei voll und ganz für Basel da.