Hätte das Wohnraumfördergesetz die Embolo-Massenkündigung verhindert?

Bajour macht den Realitäts-Check und fragt: Welche Massenkündigungen wären konkret verhindert worden?

Unbenannt
Hat national Schlagzeilen und Nati-Kicker Breel Embolo den Übernamen «Mieterschreck» eingebracht: Massenkündigung an der Kannenfeldstrasse.

Eigentlich ist seit dem 20. Juni 2018 alles klar: Die Basler Stimmbevölkerung will günstigen Wohnraum erhalten. Alle vier Wohnschutz-Vorlagen wurden an diesem Tag angenommen. Und doch stimmen wir am 29. November wieder darüber ab, ob der Vorschlag von Regierung und Parlament den bestehenden günstigen Wohnraum ausreichend schützt. Weil so genau weiss das niemand, nicht mal die Befürworter*innen und Gegner*innen des Wohraumfördergesetz, kurz WRFG.

Wir sind die Einträge im Massenkündigungsticker durchgegangen und haben sie Andreas Zappalà vom Hauseigentümerverband (Befürworter) und Beat Leuthardt vom Mieterinnen- und Mieterverband (Gegner) vorgelegt. Mit der Frage: Hätte das WRFG die Mieter*innen vor einer Kündigung bewahrt?

Fall 1, das Embolo-Haus an der Kannenfeldstrasse. Der Nati-Kicker Breel Embolo hat 2016 einen Wohnblock an der Kannenfeldstrasse gekauft und zwei Jahre später sämtlichen zwölf Mieter*innen gekündigt. Was national Schlagzeilen gemacht hat und ihm beim Blick den Übernamen «Mieterschreck» eingebrockt hat. Über diesen Fall ist vieles bekannt, beispielsweise einige Mieten:

  • 1 x 3½-Z’Whg = 1'368 netto (Basis 2000)
  • 1 x 1-Z’Whg = 650 netto (Basis 2015)
  • 1 x 3½-Z’Whg = 1'285 netto (Basis 2007)

Herr Zappalà, hätte das vorliegende Gesetz die Mieter*innen vor dem Rauschmiss bewahrt?

Andreas Zappalà: «Aufgrund meiner Erfahrungszahlen dürfte die 1-Zimmerwohnung darunter liegen und deshalb geschützt sein, die 3-Zimmerwohnung mit CHF 1285 um den Median liegen und die 3-Zimmerwohnung mit CHF 1368 über dem Median und somit vom Gesetz nicht geschützt sein. Aber im Moment ist noch nicht klar, wo der Median von 50 Prozent der günstigeren Wohnungen im Zeitpunkt des Inkrafttretens tatsächlich liegen wird.» Anmerkung der Redaktion: Gemäss Gesetzesvorschlag sollen 50 Prozent der Mietwohnungen als bezahlbar eingestuft werden. Ob eine Wohnung vor Totalsanierungen geschützt werden soll, hängt also davon ab, ob sie zu den 50 Prozent «teuren» oder 50 Prozent «günstigen» Wohnungen zählt.

Was sagen Sie, Herr Leuthardt?

Beat Leuthardt: «Wir wissen es schlicht nicht. Wir halten die Angaben im Abstimmungsbüchlein für fragwürdig, nicht nachvollziehbar, sie werden auch in keinem Gesetz oder in keiner Verordnung erwähnt, und denken über eine Abstimmungsbeschwerde nach, weil das Büchlein eine Genauigkeit suggeriert, die so nicht gegeben ist.»

Tatsächlich scheint gemäss Abstimmungsbüchlein alles klar zu sein: Dort steht, schwarz auf gelb und weiss:

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Auszug aus dem Abstimungsbüchlein. Wo ist die Dreieinhalbzimmer-Wohnung?

Fall 2, Solothurnerstrasse. Ein Bajour-Leser hat diese Massenkündigung durch die Migros-Pensionskasse in unser Massenkündigungs-Formular eingetragen - inklusive Mietpreis. Deshalb wissen wir, dass er vor Sanierung für eine 3-Zimmer-Wohnung 1450 Franken bezahlt hat. Klarer Fall gemäss Abstimmungsbüchlein, die Migros hätte sanieren können, nur 3-Zimmer-Wohnungen mit Netto-Mieten unter 1277 Franken sind geschützt.

Stimmt das, Herr Zappalà?

Zappalà: «Wenn diese 3-Zimmerwohnung netto 1450 Franken kostet, dürfte sie eher nicht unter das Gesetz fallen. Hinzu kämen dann noch ca. 150 – 200 Franken Nebenkosten. Eine Miete in dieser Höhe gilt kaum als preisgünstig. Sind in dieser Miete hingegen die Nebenkosten eingeschlossen, fällt die Wohnung in der Tendenz unter den Schutz des Gesetzes. Zu beachten ist zudem der Effekt, wenn eine Wohnung in der Liegenschaft als preisgünstig gilt. Wir gehen davon aus, dass dann die Liegenschaft gesamthaft unter den Schutz fällt, auch wenn die anderen Wohnungen nicht als preisgünstig gelten. Aber auch diese Frage muss noch abschliessend geklärt werden.»

Leuthardt: «Es steht nirgends, dass eine preisgünstige Wohnung das ganze Gebäude schützt. Und auch wenn es so wäre, würde es dazu führen, dass clevere Investoren diese Wohnung verteuern könnten, ehe sie den Umbau planen.»

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Hier hätte das neue Gesetz kaum gegriffen: Massenkündigung im Gundeli.

Alles unklar soweit? Ist gar nicht so schlimm, denn wenn das Basler Stimmvolk weiterhin so mieterfreundlich abstimmt, ist das WRFG lediglich ein Papiertiger. Weil, egal wie die Abstimmung am 29. November ausgeht, der Mieterinnen- und Mieterverband wird sowieso nochmals Druck machen und zwar mit einer weiteren Initiative mit dem Namen «JA zum ECHTEN Wohnschutz!». Die Unterschriften sind zusammen, am Mittwoch wird das Geschäft im Grossen Rat behandelt. Und irgendwann kommt sie vors Volk, das dann wieder entscheiden darf: Soll in Basel-Stadt günstiger Wohnraum erhalten bleiben? Sofern bis dann noch günstiger Wohnraum übrig ist.

Unbenannt
Wir besetzen Basel
Bajour bleibt
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Samuel Hufschmid

Samuel hat als Lokal- und Datenjournalist bei «20 Minuten» und der «bz Basel» gearbeitet, ehe er als Gründungsmitglied zu Bajour wechselte. Er prägte den Start des «Basel Briefings» und hat mehrere Crowd-Recherchen wie «wem gehört Basel?» verantwortet. Zusammen mit dem Datenjournalismus-Team von SRF hat er für Bajour übers Schwingen recherchiert und wurde 2023 mit dem «Swiss Press Award» ausgezeichnet. Seit 2024 gehört er der Geschäftsleitung an und kümmert sich um Marketing und Produktentwicklung.

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