Wenn Einkaufen bei Migros und Coop nicht drinliegt

Sie kommen kaum hinterher: Hilfsorganisationen, die Lebensmittel an Bedürftige abgeben. Seit der Krise sind darunter auch Basler*innen, die diese Angebote zum ersten Mal nutzen.

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Die Schlange vor dem Lager von «Dienst am Nächsten» reisst nicht ab.

Die Schlange geht langsam voran. Nach etwa zehn Minuten ist Amed* an der Reihe. Der Helfer von «Dienst am Nächsten» reicht ihm den prall gefüllten Sack mit Essen. Amed grummelt «Danke» und läuft zügig davon. Amed ist 13 Jahre alt. Zu Hause warten sein kleiner Bruder und seine Eltern auf ihn. «Normalerweise kommt mein Vater hier vorbei», sagt er. Aber weil er und Ameds Mutter zur Risikogruppe gehören, verlassen sie momentan nicht die Wohnung. 

Hilfsorganisationen: Angebote ausgeweitet

«Mein Vater hilft eigentlich in einer Autowerkstatt aus, aber das geht seit Corona nicht mehr», sagt Amed. Schon vor der Pandemie habe seine Familie regelmässig Lebensmittel bei «Dienst am Nächsten» abgeholt. Aber seit der Verdienst vom Vater wegfalle, seien sie besonders froh, hier günstig Essen zu bekommen, erzählt Amed. 

Das Hilfswerk «Dienst am Nächsten» (DaN) hat seit der Corona-Krise seine Einsätze verdoppelt, sagt Michel Fischer, der für die Lebensmittelausgabe zuständig ist. Seit 2008 kümmert sich die gemeinnützige Organisation um Menschen in Not und versorgt sie kostengünstig mit Nahrungsmitteln. Für 1.- erhält man den sogenannten «Heilandsack», der mit frischem Gemüse, aber auch haltbarem Essen gefüllt ist. Die Lebensmittel erhält DaN von der Schweizer Tafel.

«400 Säcke Lebensmittel pro Woche»

«In Basel-Stadt sind 12’000 Menschen von der Sozialhilfe abhängig. Für sie liegt Einkaufen in Coop und Migros finanziell kaum drin», sagt Fischer. Weil in Basel eine der wichtigsten Anlaufstellen, «Tischlein deck dich», den Betrieb grösstenteils eingestellt hat, haben andere Institutionen übernommen, um die zahlreichen Bedürftigen in der Krise weiter mit Essen zu versorgen. 

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Freiwillige Helferinnen füllen die «Heilandsäcke» mit Nahrungsmitteln.

DaN, die Hilfsorganisation Schwarzer Peter und die Gassenküche machen seither gemeinsame Sache, um die gestiegene Nachfrage bewältigen zu können. «Man hat uns zusätzliche Freiwillige vermittelt, damit wir beim Verteilen nachkommen. Unser Team würde das nicht alleine schaffen. Wir wollen nämlich vermeiden, dass sich eine zu lange Schlange bildet», sagt Fischer. Früher hätten sie an einem Nachmittag pro Woche ihre Tore geöffnet. Das hat man nun auf zwei Tage ausgeweitet. «Wir geben mittlerweile jede Woche etwa 400 Säcke mit Lebensmitteln weg», sagt Fischer. 

«Wer heute nichts mehr erhält, muss nächstes Mal wiederkommen»
Michel Fischer, Lebensmittelausgabe

Seit 7 Uhr früh sind die Helfer*innen an der Arbeit. Morgens wurden die Säcke gepackt, ab 11 Uhr begannen sie zu verteilen. Viele der Freiwilligen von DaN sind schon seit Jahren dabei und kennen mittlerweile die meisten, die bei ihnen regelmässig vorbeikommen. Seit der Krise seien aber auch einige unbekannte Gesichter darunter, so Fischer. «Einige, die früher wohl Unterstützung von anderen Organisationen erhielten, wenden sich nun an uns», sagt er. 

Kurz nach 15 Uhr sind bereits fast alle Säcke weg. Die Schlange draussen reisst aber nicht ab. Eilig füllen die Helfer*innen weitere Plastiktaschen mit Lebensmitteln aus dem Lager auf. 

«Wer heute nichts mehr erhält, muss eben nächstes Mal wiederkommen», sagt Fischer. 

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Vor dem Caritas-Markt müssen die Menschen ebenfalls anstehen. Nur drei Kund*innen aufs Mal dürfen in den Laden.

«Viele Menschen kommen an ihre Grenzen»

Schlange stehen muss man seit Corona auch vor dem Caritas-Markt in der Ochsengasse, wo Bedürftige vergünstigt Nahrungsmittel einkaufen können. 

Um den Einlass im Caritas-Markt kümmert sich Cyril Haldemann. Er ist eigentlich in der Geschäftsstelle der Organisation tätig und springt zurzeit vor Ort ein. «Wir haben mehr Personal benötigt, da wegen der Pandemie ein Teil der Mitarbeitenden ausgefallen ist», sagt er. Um Zutritt zu dem Geschäft zu erhalten, müssen sich die Kund*innen ausweisen. So wird sichergestellt, dass sie zu den Bedürftigen gehören. 

Denn die Angebote der Caritas - genauso wie die von DaN - sind jenen vorbehalten, die unter existenziellen Engpässen leiden, neben der AHV und IV Ergänzungsleistungen beziehen oder Sozialhilfe empfangen. 

Seit der Corona-Krise habe die Nachfrage nach günstigen Lebensmitteln aus dem Caritas-Markt zugenommen, sagt Domenico Sposato, Geschäftsleiter der Caritas beider Basel. Ihr Büro erhalte täglich Anfragen von Familien und Einzelpersonen, die um Hilfe bitten oder neu die Caritas-Karte beziehen wollen. «Viele Menschen kommen momentan an ihre Grenzen», sagt auch Haldemann. «Sie wenden sich an uns, weil sie nicht mehr weiterwissen». 

Neu bei Caritas: Musiker ohne Einkommen

Neu beobachten Haldemann wie auch Sposato, dass sich vermehrt auch Kunstschaffende an die Caritas wenden würden. «Kürzlich kam ich mit einem Musiker ins Gespräch, der hier Schlange stand. Weil seine Aufträge abgesagt wurden, sei er zurzeit knapp bei Kasse», erzählt Haldemann. 

Sposato geht davon aus, dass die Basler Anlaufstellen für Caritas-Karten ihre Auflagen den aktuellen Umständen angepasst haben. Es stehe im Vordergrund, dass den Menschen rasch geholfen werden könne.

«Mein Mann ist IV-Bezüger und ich habe früher geputzt, aber wegen der Krise keine Arbeit mehr»
eine Frau

Eine dunkelhaarige Frau mittleren Alters steht vor Haldemann und bittet um Einlass – ohne gültigen Ausweis. «Mein Mann ist IV-Bezüger und ich habe früher geputzt, aber wegen der Krise keine Arbeit mehr», sagt sie. Haldemann reicht ihr das Formular und bittet sie, mit gültigen Unterlagen zurückzukehren. «Dann können wir das rasch abwickeln», sagt er. 

Armut auch in Bundesbern Thema

Landesweit würden jede Woche hunderte solcher Markt-Karten ausgestellt, vermeldete Caritas Schweiz kürzlich. Unterstützung für Armutsbetroffene ist aber nicht nur Sache der Hilfsorganisationen, sondern auch der Politik. Deswegen hatte Caritas Schweiz beim Bundesrat um Soforthilfe in Höhe von insgesamt 1 Milliarde Franken gebeten. Das sind 1000 Franken pro Person. Dieses Geld sollen die Bedürftigen nicht zurückzahlen müssen. Cédric Wermuth und andere SP-Bundespolitiker*innen unterstützten den Antrag, berichtet der Tages-Anzeiger. Bislang blieb das Unterfangen aber erfolglos. Wermuths Motion blitzte bei der zuständigen Kommission für Soziales und Gesundheit des Nationalrats ab. 

*Name geändert

Informationen für Betroffene:

Wo erhalte ich eine Caritas-Markt-Karte? Rund 200 Anlaufstellen beider Basel sind dazu berechtigt, den Caritas-Ausweis auszustellen. Darunter sind die Sozialdienste der verschiedenen Gemeinden und Kirchgemeinden, Spitäler, wie das Kantonsspital Basel-Land oder das Felix-Platter-Spital, bis hin zu Beratungsstellen für Asylsuchende. 

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