Big Pharma bringt die Power, Startups liefern die Kreativität
In Coronazeiten freuen sich die grossen Pharmafirmen über einen Profitschub. Aber auch in kleinen Unternehmen steckt viel Potenzial.
Antigen-Schnelltests von Roche, Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer. Die Namen vieler Pharmaunternehmen gehören seit der Corona-Pandemie zu unserem aktiven Wortschatz. Es sind vor allem die grossen, oder durch Corona gross gewordenen, Namen, die wir hören. Doch im Abglanz der Grossen kommen auch kleine Firmen zur Blüte.
In der Region ist Big Pharma bekanntlich zu Hause. Daneben gibt es mehr als 70 Biotech-Startups in den beiden Basel. Die Pandemie ist für sie eine Chance, ihre Erfindungen in die grosse Arena zu führen. Zu ihnen gehören Kinarus, ACM Biosciences und RocketVax. Sie alle haben Produkte entwickelt, von denen sie hoffen, dass sie in der Bekämpfung der Coronapandemie eine Rolle spielen werden. Ihre Gründer und leitenden Manager*innen stammen nahezu alle aus dem Umfeld von Roche, Novartis oder den anderen Grossen. Und um dereinst abzuheben, hoffen sie wiederum auf eine Zusammenarbeit mit den Big Pharma.
Gegründet: 2017
Leitung: Alexander Bausch (CEO)
Mitarbeiter*innen in Basel: 5
Corona-Produkt: Vorbeugendes Mittel gegen schwere Corona-Verläufe und Long Covid. Gründer Alexander Bausch hat einen Entzündungshemmer patentiert. Auch bei Covid-19 kommt es zu Entzündungen im Körper, weshalb sie sich vom Medikament viel versprechen. Mit dem Mittel soll die Entzündung gehemmt, aber auch das Virus daran gehindert werden, sich zu vermehren.
Zeitplan: Frühestens 2022 auf dem Markt
Drei Büros mit Computer, mehr nicht
Besuch im Stücki Park. Auf dem Firmencampus liegt die Kinarus AG. Das Unternehmen rückte kürzlich ins Licht der Öffentlichkeit, weil es ein Mittel gegen Long Covid auf den Markt bringen will – schon kommendes Jahr. Das Medikament ist gedacht als vorbeugendes Mittel für Menschen, die sich mit Corona angesteckt haben und mit Symptomen ins Spital eingeliefert wurden. So soll es erst gar nicht zu einer künstlichen Beatmung oder zu Long-Covid-Symptomen kommen.
CEO Alexander Bausch holt seinen Gast persönlich beim Aufzug ab, bei Startups ganz normal. Er führt zu seinem Büro, es ist eng: ein Schrank, ein Schreibtisch und zwei Stühle. Kinarus ist eine kleine Biotech-Firma mit fünf Leuten. «Wir haben drei Büros mit Computer, das war’s.»
Bausch sagt das nicht ernüchtert, er ist einfach realistisch. Er weiss, was seine Firma leisten kann und was nicht. «Ich komme ja auch von Big Pharma», sagt Bausch, der Pharmazie studiert und in Basel promoviert hat, bevor er 20 Jahre in der Forschung bei Roche gearbeitet hat. Bausch befindet sich in guter Gesellschaft. Nach Angaben der Standortförderung «Basel Area Business & Innovation» wurden etwa die Hälfte der Startups in Basel und Umgebung von ehemaligen Mitarbeitenden von grossen Pharmakonzernen (mit)gegründet. Bekanntestes Beispiel ist Actelion im Baselbiet. Das Unternehmen hat sich in weniger als 20 Jahren von einem kleinen Roche-Ableger zu einem erfolgreichen Pharmaunternehmen entwickelt und wurde 2017 für 30 Milliarden von Johnson & Johnson übernommen.
Von so einem kometenhaften Aufstieg kann Bausch derzeit nur träumen. Die Grundlage seiner Firma ist eine Substanz, die er von einer grossen Pharmafirma lizenziert hat. Drei Jahre lange musste er verhandeln, um die Lizenz zu bekommen. Die Substanz kann als Medikament gegen verschiedene Krankheiten eingesetzt werden. Für die grosse Firma sei das Arzneimittel allerdings nicht von Nutzen gewesen, da es nach wenigen Tagen aufgehört hat zu wirken. Bausch und sein Team haben herausgefunden, woran das liegt. Und festgestellt, dass man diesen Effekt verhindern kann, wenn man eine zweite Substanz hinzugibt. Diese Kombination hat Kinarus patentiert in fünf Indikationen – das ist, was die Firma ausmacht. Indikation meint nichts anderes als das Krankheitsbild, für das ein Medikament eingesetzt wird, zum Beispiel Covid-19.
«Es gibt viele Biotechfirmen, die von ‹weggeschmissenen› Ideen der Grossen profitieren.»Alexander Bausch, CEO und Gründer Kinarus AG
Bauschs Taktik ist aufgegangen. «Es gibt viele Biotechfirmen, die von ‹weggeschmissenen› Ideen der Grossen profitieren», sagt Bausch. «Ich suche immer aktiv nach einer vorhandenen Anwendung einer Substanz, an die die Leute noch nicht gedacht haben. Und das patentiere ich dann.» Schon vor Covid wollte der studierte Pharmazeut seine Substanz in verschiedenen Indikationen einsetzen. «Als dann Covid kam, mussten wir eigentlich nur in den Keller gehen, um unsere bisherigen Resultate rauszuholen und diese einzubringen.»
Aktuell hat Bausch sein Medikament an 14 Patient*innen getestet, die mit Covid-19 ins Spital eingeliefert wurden. Die Studie läuft noch, er sucht nach mehr Testpersonen. Da es derzeit wenig Fälle gibt, sind die gar nicht so leicht zu finden.
Ob es das Mittel denn bis 2022 auf den Markt schafft, wie zu lesen war? «Pff», Bausch atmet schwer aus, lacht fast, «nur wenn alles super läuft. Wenn ich keine Patienten bekomme, dann geht es länger.» Damit alles «super» läuft, braucht es eine gute Wirkung und Gespräche mit den jeweiligen Gesundheitsbehörden. Aber auch Geld. Bausch ist derzeit mit Investor*innen im Gespräch.
Und was passiert, wenn das Medikament tatsächlich gegen Corona eingesetzt wird? «Ich befürchte, dann könnten wir nicht schnell genug wachsen. Wenn es eine deutliche Wirkung hätte, dann müsste man sich einen Partner suchen, eine grosse Pharma-Firma.»
So läuft es häufig: Eine Idee von einem grossen Player wird im Kleinen weitergesponnen. Hat die Erfindung Erfolg, braucht es jedoch wiederum einen Partner, der die Kapazitäten hat, grosse Mengen zu produzieren und der über ein grosses Netzwerk verfügt, um weitergehende Studien im grossen Rahmen durchzuführen.
Gründung: September 2020
In der Projektleitung: Alexander Breidenbach (CBO)
Mitarbeiter*innen in Basel: 5
Corona-Produkt: Protein-Impfstoff und mRNA-Impfstoff (Kooperation mit Steve Pascolo vom Universitätsspital Zürich): Mithilfe eines Transportmoleküls soll der Impfstoff gezielter in den richtigen Zellen ankommen, egal welche Art Impfstoff. Dadurch sollen weniger unangenehme Nebenwirkungen auftreten. Dass die Vehikel mRNA- sowie Protein-Impfstoff transportieren können, ist neu, da die meisten Transportmoleküle, die zurzeit für Impfstoffe verwendet werden, nur für das eine oder für das andere gehen. Zudem sei die Herstellung einfacher und für die Lagerung seien lediglich Kühlschranktemperaturen nötig und nicht Minusgrade, wie es aktuell bei mRNA-Impfstoffen der Fall ist.
Zeitplan: Das präklinische Paket des Protein-Impfstoffs wird in der zweiten Sommerhälfte abgeschlossen sein und nach Behördengesprächen soll es im November die erste klinische Studie gehen. Die erste klinische Studie mRNA-Impfstoff ist für kommendes Jahr geplant.
Vom Grossen ins Kleine und umgekehrt
Auf einen grossen Partner wäre auch ACM Biosciences angewiesen, falls die Forschung des Startups auf fruchtbaren Grund fällt. Die Basler Biotechfirma ist auf Impfstoffe für Menschen spezialisiert. Alexander Breidenbach ist seit Mai dabei und der Chief Business Officer und Chief Development Officer. Bis 2019 hatte er bei der Roche gearbeitet. «In diesem Netzwerk in Basel ist es irgendwann nur noch eine Frage der Zeit, wann man angesprochen wird, ob man nicht in die Biotech wechseln möchte», sagt Breidenbach. Sein Kollege Andreas Wallnöfer, Chairman of the Board, kennt ihn noch aus Roche-Zeiten und fragte ihn. Mal wieder ging der Weg vom Grossen ins Kleine.
Für die Forschung an einem neuen mRNA-Impfstoff hat das Unternehmen kürzlich Geld von der Schweizer Agentur für Innovationsförderung Innosuisse erhalten. Dort soll die klinische Studie, also jene am Menschen, im kommenden Jahr beginnen. Etwas weiter ist das Unternehmen bei den Protein-Impfstoffen, Basis ist die Beta-Virus-Variante, die zuerst in Südafrika entdeckt wurde. «Das Virus wird immer wieder mit neuen Varianten kommen, um den Immunschutz zu unterlaufen. Wir hoffen, dass wir mit der Südafrika-Variante einen Schritt voraus sind», sagt Breidenbach.
Das Startup kann auf eigene Labore in Singapur mit einem Team von etwa zehn Wissenschaftler*innen zurückgreifen. Für die Studien sind sie jedoch auf externen Vertragsinstitute angewiesen. Ohne Partner*innen geht es als kleines Startup nicht.
«Wenn wir einen grösseren Partner an Bord bekämen, wären die Timelines auch andere», sagt Breidenbach. Letztes Jahr seien mehrere Impfstoffe in einem Zeitraum von weniger als einem Jahr zugelassen worden. «Das waren Pandemiebedingungen, die haben wir jetzt nicht mehr. Wir werden andere Zeitschienen haben als unsere Wettbewerber, die schon auf dem Markt sind», sagt Breidenbach. Der Manager glaubt, dass es neben den jetzt bekannten bald noch weitere Corona-Impfstoffe geben wird. Dafür brauche es aber eine Zusammenarbeit zwischen Biotech und Big Pharma. «Das kann kein Unternehmen alleine stemmen.»
Gründung: Sommer 2020
Leitung: Vladimir Cmiljanovic und Natasa Cmiljanovic. Thomas Klimkait von der Uni Basel leitet die präklinische Studie, gehört aber nicht dem Unternehmen an.
Mitarbeiter*innen in Basel: 15
Corona-Produkt: Impfstoff (in Kooperation mit Unispital Basel und Universität Basel): Wie bei der Masern-Mumps-Röteln-Impfung soll ein abgeschwächtes Virus im Körper eine kräftige Immunantwort auslösen: Dem Virus werden wichtige Eigenschaften entfernt, sodass es die Krankheit nicht mehr verursachen kann, aber ansonsten komplett ist. Dadurch sollen Gedächtniszellen stärker aktiviert werden. In der Folge wäre der Impfschutz länger anhaltend und Auffrischimpfungen seltener nötig. Denn die Gedächtniszellen merken sich, wie der Körper auf den Erreger reagieren muss – sprich wenn nicht mehr viele Antikörper vorhanden sind, ist man durch die Gedächtniszellen geschützt.
Zeitplan: Die präklinischen Studien an Tieren sind der erste Schritt in Richtung Zulassung. Sie sollen schon demnächst zeigen, ob Mäuse genügend Antikörper produzieren, und ob diese das Virus deaktivieren. Die ersten klinischen Studien am Menschen sind für dieses Jahr geplant.
Kreative Kleine, produktionsstarke Grosse
Thomas Klimkait sieht es ähnlich. Der Virologe von der Uni Basel leitet für das Startup RocketVax die präklinische Forschung für einen möglichen Impfstoff aus Basel. Er sagt, er wäre froh, wenn man mehr zusammen arbeiten würde. Denn die Kreativität liege bei den Kleinen und die Produktions-Power bei den Grossen.
«Wenn das besser gelingen könnte, bin ich überzeugt, dass wir Wirkstoffe weit schneller umsetzen könnten. Vielleicht sind wir da jetzt auf einem richtigen Weg: Die Impfhersteller Moderna, Biontech und CureVac waren auch sehr klein. Wenn dann die Grossen den Kleinen zeigen, wie man eine Tonne Material herstellt, dann ist das wunderbar.»
Und auch Klimkaits Arbeit für RocketVax ist auf solch eine Symbiose angewiesen. Sie seien bereits im Gespräch mit einem grossen Player. So viel kann Klimkait verraten: Es ist ein Schweizer Unternehmen.
Klimkait glaubt, dass es noch viele Corona-Varianten geben wird und deswegen wiederholte Auffrischungsimpfungen nötig werden. «Wenn unser Impfstoff länger hält oder einen anderen Vorteil hat, dann sind wir im Geschäft. Aber letztendlich muss es uns weniger ums Geschäft gehen, sondern darum, dass wir auf globaler Ebene Menschen helfen können.»
Das nächste Corona-Projekt im Blick
Um einen neuartigen Impfstoff zu entwickeln, hat das Unternehmen 1 Million Franken vom Kanton und 1 Million Franken vom Basler Unispital bekommen sowie 1,2 Millionen Franken Förderung von Innosuisse. Das klinge nach viel, sagt Klimkait, sei es aber nicht im Vergleich zu zum Beispiel CureVac, das 300 Millionen Euro Förderung von Deutschland bekommen hat. Trotzdem helfe die «erhebliche Summe», die Forschung voranzutreiben.
Das Konzept hinter dem Impfstoff, den Klimkait mitentwickelt, ist das, was auch bei der Masern-Mumps-Röteln-Impfung greift, wo ein abgeschwächtes Virus im Körper eine kräftige Immunantwort auslöst. Klimkait und sein Team hoffen, der Impfschutz hält dadurch an, so dass es weniger Auffrischimpfungen braucht.
Wenn die präklinischen Tests mit Mäusen erfolgreich sind, muss der Impfstoff sls Nächstes auch beim Test an Menschen Wirkung zeigen. Schon jetzt sind laut Klimkait die nächsten Schritte in Planung. «Die müssen wir in diesem Jahr aufgleisen, sonst sind wir zu spät.»
Klimkait hat aber bereits das nächste Projekt mit Corona im Blick. «Ich bin von den ersten Firmen angefragt worden, ob wir auch Substanzen für mögliche Medikamente testen, um zu sehen, ob diese gegen das Coronavirus wirken. Und gerade hier in Basel haben viele Firmen enorm viele Substanzen in den Regalen stehen, wo es sich vielleicht lohnt, genauer hinzuschauen.»
Und in vielen Fällen werden es die kleinen Firmen sein, die genauer hinschauen und kreativ werden. Sie sind zwar abhängig von den Ressourcen der Grossen. Aber auch Big Pharma profitiert von den frischen Ideen der Startups.