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Belästigt, beleidigt, belangt

Alle auf Sibel Arslan

Die Basler Nationalrätin wird immer wieder attackiert. Und die Medien berichten noch so gerne über die aufgezwungenen Konflikte. Die Sachpolitik der Basta-Frau geht dabei unter. Den Rechten kann das recht sein.

Adelina Gashi

08/26/21, 03:00 AM

Aktualisiert 08/26/21, 06:22 AM

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Frau. Grün. Migrantin. Und am Mikrophon.

Frau. Grün. Migrantin. Und am Mikrophon. (Foto: Keystone-SDA)

Kein*e Basler Nationalrät*in ist national so bekannt wie Sibel Arslan. Sie hat in der Politik schon einiges bewegt. Fünf Beispiele:

  1. Fremdsprachige Ausländer*innen mit B-Bewilligung, wie Expats, können in Basel im ersten Jahr gratis einen Deutschkurs besuchen. Die Integrationsidee stammt von Sibel Arslan, damals noch Grossrätin und Mitglied der Justizkommission.

  2. Die Schweizer Stimmbevölkerung hat im März die elektronische ID abgelehnt. Arslan hat den Widerstand gegen die E-ID als Mitglied der nationalrätlichen Rechtskommission angestossen.

  3. Das Schweizer Parlament diskutiert wieder über das Stimmrechtsalter 16 und es sieht so aus, als ob das Begehren Chancen hätte. Der entsprechende Vorstoss kam aus Basel, bzw.  Sibel Arslan hat ihn eingereicht. 

  4. Als es um die Wiederwahl des umstrittenen Bundesanwalts Michael Lauber ging, war es Sibel Arslan, die einen Antrag für Nichtwiederwahl ins Spiel brachte.

  5. Der Bundesrat arbeitet zur Zeit an einem besseren Schutz von Opfern von häuslicher Gewalt und Stalking, angestossen wurde die Revision von Sibel Arslan im Parlament und in der Rechtskommission.

Michael Lauber verhindert, Integration vorangetrieben, Opfer geschützt, die Jungen demokratisch eingebunden. Doch wen interessiert’s? 

Natürlich berichten die Medien über Arslans Engagement, etwa beim Stimmrechtsalter 16. Doch bei vielen Journalist*innen gilt Arslan bis heute offenbar als Non-Valeuse, der vor den Wiederwahlen gerne alle Chancen abgesprochen werden. 

Umso mehr scheinen die Skandale zu interessieren, mit denen Arslan (längst nicht immer selbstverschuldet) wiederholt zu kämpfen hat. Hier eine kleine Auswahl:

  • Dieser Tage machte der Blick bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Arslans Immunität aufheben will. Unter anderem weil Arslan am 14.Juni 2020 an einer unbewilligten Demonstration zwischen Polizei und Demonstrant*innen vermittelt hat und gegen die Covid-Bestimmungen verstossen haben soll.

  • Im Februar hat ein gewählter Rechtsextremer, den ganz Basel bewusst ignoriert, Sibel Arslan in einem Video übel beleidigt. Blick und 20 Minuten zeigten und verbreiteten das obszöne und vermutlich persönlichkeitsverletzende Video, im Gegensatz zu den Basler Medien. Arslan hat rechtliche Schritte eingeleitet.

  • Die Beleidigungen zielen auf die Frau und auf die Herkunft. Als Klimajugendliche im September 2020 den Bundesplatz besetzten, nannte Andreas Glarner von der SVP Sibel Arslan «Frau Arschlan» und nachher: «Das hat es in Deinem Staat nicht gegeben!» und meinte damit Sibels Geburtsland, die Türkei. Der Name sei ein versehentlicher Versprecher gewesen, sagte er nachher. An der Aussage mit der Türkei hielt er fest.

Kaum eine*e Politikerin wird so häufig attackiert wie Sibel Arslan, hat man den Eindruck. Sie wird beleidigt, gestalkt und angezeigt, und obendrauf auch noch vom Staatsschutz fichiert

Klar, auch die politischen Gegner*innen, die gerne austeilen, erleben Druck und Kritik bis Verachtung. 

Der genannte Andreas Glarner, etwa, wurde nach seinen Aussagen an die Adresse von Arslan breit kritisiert. Und auch der Basler SVP-Hardliner Joel Thüring geriet in laute Kritik. Etwa, als er die Armeeabgaben nicht bezahlte (er hat sich entschuldigt) oder widerrechtlich die E-Mails seines Parteikollegen gelesen haben soll (die beiden haben sich gütlich geeinigt).

Doch Glarner wie Thüring werden, bei allen Unflätigkeiten, medial nicht auf ihre selbst verursachten Skandale reduziert, sondern nach wie vor häufig zu sachpolitischen Themen zitiert. Long-Covid-Patient Glarner ist aktuell wegen seiner Position zum Covid-Gesetz auf den Titelseiten zu lesen. Und der Basler Thüring ist weiterhin gefragt als Kolumnist und Interviewpartner zu Corona, Messerstechereien, Bettelverboten, der Kommunikationsstrategie der Basler Regierung oder was sonst gerade anliegt.

Kommt Sibel Arslan mehr dran als andere? Und wenn ja: Warum?

«Starke Frauen in der Politik sind exponiert und werden eher beleidigt als Männer», sagt die Baselbieter Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. Die Mitte-Politikerin erhält unanständige Zuschriften, ihr Briefkasten wurde zerstört, die Autonummer verklebt. Sie verzichte aber darauf daraus eine grosse Geschichte zu machen. «Das ist letztlich nicht zielführend.»

Frauen würden eher auf Äusserlichkeiten reduziert, und weniger über die Sachpolitik wahrgenommen, ergänzt Mitte-Parteikollegin Kathrin Amacker, Wirtschaftsfrau und ehemalige Nationalrätin: «Ich war als Wirtschafts- und Sozialpolitikerin engagiert, wurde als Mutter von drei Kindern aber immer wieder als Familienpolitikerin vorgestellt. Meine Kenntnisse in der beruflichen Vorsorge interessierten weniger, ob ich mich in der Familienpolitik auskenne wurde nie hinterfragt. Das spricht doch Bände.»

Frauen bekommen im Wahlkampf weniger mediale Beachtung als ihre männlichen Konkurrenten. Die Universität Zürich hat über 54’000 Artikel über die Parlamentswahlen 2019 in 84 Medientiteln durchforstet. Resultat: Auf den Listen für Stände- und Nationalrat hat es 41 Prozent Frauen, in Printartikeln kommen sie aber nur zu 32 Prozent vor. 

Schneider-Schneiter hat eine Erklärung für die Beleidigungen: «Gewisse Männer haben ein antiqiuiertes Weltbild und lassen sich von starken Frauen verunsichern.» Denn: Wenn Frauen Politik machen, steige die Konkurrenz für Männer, das sorge für Existenzängste.

Oder wie es Samira Marti, SP-Nationalrätin fürs Baselbiet ausdrückt: «Wir Frauen in der Politik tragen eine historische Bürde, die es zu überwinden gilt.» Das sei mitunter ein Grund, weshalb der Hass gegen Frauen härter ausfalle. «Als junge, linke Frau greift man den Status Quo gleich mehrfach an.»

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Erlebt Arslan also, was alle Frauen in der Politik durchmachen?

Bei ihr kommt noch der Migrationshintergrund dazu: «Sibel Arslan ist doppelt exponiert», sagt Amacker. «Und sie ist links. In gewissen Kreisen löst das einen dreifachen Abwehrreflex aus.» 

Das bestätigt auch Stefanie Bailer, Professorin für Politikwissenschaften an der Uni Basel: «Der Durschnittspolitiker war bis anhin weiss, Mitte bis Ende 40 und mit bürgerlichem Beruf», sagt Bailer. «Frauen, die nach politischer Macht streben, werden daher stärker beobachtet, als Männer, weil sie nicht in die Norm passen.»

Zwar erleben männliche Politiker ähnlich viel Hass wie Frauen in den sozialen Medien. Aber: Bei Frauen ist die Abwertung und Gewalt stärker «sexualisiert», wie Studien zu Hatespeech bei britischen Politiker*innen belegen.

Allerdings wandelt sich das Bild der Politik. Seit den letzten Wahlen im Herbst 2020 sitzen so viele Frauen wie noch nie im nationalen Parlament. Das ist der feministischen Bewegung, dem Frauenstreik 2019 zu verdanken, sagt Bailer: «Die Parteien haben damals verstanden, dass es sich lohnt, Frauen auf gute Listenplätze zu setzen.»

Die Attacken auf Arslan nehmen aber nicht ab. Und sie kommen meistens aus der rechten Ecke.

Wir machen auch Fehler. Tschuldigung.

Zufall? 

Politologieprofessorin Bailer ist nicht überrascht. Sie würde zwar nicht so weit gehen, Attacken wie die von Glarner als rechte Diskursstrategie zu bezeichnen, die (migrantische) Frauen in der Politik diffamieren soll. Aber es falle auf, dass sich die SVP-Parteileitung nicht von Glarners Aussagen distanziert habe. «Es entspricht der rechten Strategie, solche diskriminierenden Aussagen als versehentliche Zwischenfälle zu labeln», sagt Bailer. 

Der Grund: «Es passt nicht in die rechtspopulistische Ideologie, wenn da kein alter weisser Mann spricht, sondern eine junge, souveräne Frau, die Schweizerin mit kurdischem Migrationshintergrund ist». 

Bajour wollte gerne wissen, wie sich sich Sibel Arslan zu den aufgezwungenen Diskussionen verhält. Die Basler Nationalrätin wollte sich dazu bis zur Anhörung vor der nationalrätlichen Immunitätskommission am 7.September nicht äussern.

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