Eric Nussbaumer, warum distanzieren Sie sich nicht von Daniele Ganser?

Ex-Nationalrats-Präsidentin Christa Markwalder distanziert sich vom Verschwörungsmythiker Daniele Ganser und seinem Institut Siper, weil er sich in den letzten zehn Jahren «stark radikalisierte». Eric Nussbaumer, der als zukünftiger Nationalratspräsident gehandelt wird, tut das nicht. Droht dem Parlament ein Reputationsschaden?

Daniele Ganser Eric Nussbaumer
Eric Nussbaumer (rechts) unterstützt nach wie vor Siper, das Friedensprojekts von Verschwörungsmythiker Daniele Ganser (links).

Es gab eine Zeit, da war Daniele Ganser in der Schweiz das Maskottchen der politischen Intellektuellen. Der «Inside-Job 9/11» und Verschwörungsmythen galten als ironisches Hobby unter kritischen Denker*innen und jeder zweifelte ein wenig an allem. Das war vor der Pandemie und dem Ukrainekrieg.

Inzwischen sind Verschwörungsmythen noch mehr ein Geschäftsmodell, mit dem sich Bücher und Vorträge verkaufen lassen. Coronaleugner*innen, Putinversteher*innen, Reichsbürger*innen und Chemtrail-Gläubigen gehören zur Anhängerschaft des Dr. Daniele Ganser.

So will sich Ganser sehen. Medien dürfen nur von ihm inszentierte Fotos publizieren.
Aus seinen Augen sieht die Welt anders aus: Daniele Ganser

Ganser verurteilt zwar den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Doch jetzt kommt das «Aber»: Der Basler Autor sieht die grosse Schuld bei der USA und der Nato. Eine seiner Behauptungen: Die Amerikaner hätten 2014 auf dem Kiewer Maidan-Platz einen Putsch aufgegleist und finanziert. Etwas, das man auch gerne in russischen Propagandamedien liest und das der Propagandalinie Putins entspricht. 

Wegen solcher und anderer unbelegter Behauptungen ist Daniele Ganser in der Kritik. Ehemalige Kolleg*innen haben sich distanziert. 2006 flog er von der ETH Zürich, weil er in einem Artikel behauptete, der Terroranschlag vom 11. September 2001 könnte eine von der US-Regierung geplante Operation gewesen sein. Die Uni Basel lehnt sein Vorhaben zur Habilitierung 2008 ab, weil es keinen wissenschaftlichen Standards genüge.

Alte Freunde fallen ab

Und auch Politiker*innen, die den Autoren früher wohlwollend gegenüberstanden, haben sich von Ganser in den letzten Tagen distanziert. Das stand vor ein paar Tagen so in der BaZ. Denn es wurde bekannt, dass Ganser auf der Webseite seines Friedensprojekts «Schweizer Institut für Frieden und Energieforschung» (Siper) mehrere Schweizer Politiker*innen als «Partner» führte, mit individuellen Zitaten. 

Unter den Partner*innen finden sich der Basler Regierungspräsident Beat Jans (SP), Kathy Riklin, Nationalrätin der Partei «Die Mitte», SVP-Politiker Erich von Siebenthal und SP-Nationalrat Roger Nordmann. Und wie auch FDP-Nationalrätin Christa Markwalder zeigen die meisten «Partner» Entsetzen und Verwunderung, über die Ausstellung der teils zehn Jahre alten Zitaten und distanzieren sich klar von Daniele Ganser. Einzig der als zukünftig gehandelter Nationalratspräsident Eric Nussbaumer will sich nicht vom kontroversen selbsternannten «Friedensforscher» distanzieren. Warum nicht?

«Auch von Köppel distanzieren?»

Auf die Telefonanfrage von Bajour reagiert der Baselbieter Sozialdemokrat mit einer rhetorischen Gegenfrage zum SVP-Scharfmacher und Weltwoche-Chef Roger Köppel: «Muss ich mich jetzt auch noch von Köppel distanzieren?» Den Rest der Fragen beantwortet Nussbaumer dann per Mail.

Er sei damals angefragt worden, ob er die Arbeit von Siper mit einem Zitat positiv würdigen könnte und habe dies auch getan. Denn auch andere Akteure in der Friedens- und Energieforschung hätten seine Unterstützung, wie Nussbaumer schreibt. 

Eric Nussbaumer, SP-BL, spricht waehrend die Debatte um der Anpassung der Bundesbeschluesse ueber den zweiten Schweizer Beitrag an ausgewaehlte UE-Mitgliedstaaten bei der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Donnerstag, 30. September 2021 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Eric Nussbaumer wird wahrscheinlich nächster Nationalratspräsident.

Der SP-Nationalrat verurteilte «den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg» auf die Ukraine, die Schweiz trägt die Sanktionen der EU gegen Russland mit. Ebendiese Schweiz wird Nussbaumer bald repräsentieren: Im Jahr 2023 wird er Nationalratspräsident und als solcher «oberster Schweizer». Schadet er mit seiner Unterstützung von Daniele Ganser nicht dem Ansehen der Schweiz?

Nein, ist Nussbaumer überzeugt. Zwar findet auch er, Ganser irre sich, wenn er impliziere, Russland sei im Ukrainekrieg ein Opfer. Trotzdem will er sich nicht distanzieren: «Die Grenzen der Meinungsfreiheit definiert das schweizerische Gesetz. Auch wenn Herr Ganser in diesem Punkt (Ukrainekrieg) sicher irrt, bin ich zurückhaltend, seine Meinungsfreiheit ‹distanzierend› zu begrenzen.»

Ein Nationalratspräsident tue gut daran, die Meinungsfreiheit aller Bürgerinnen und Bürger in unserer Demokratie hochzuhalten. «Das heisst aber nicht, dass ich alle Meinungen und Äusserungen von jedem Einzelnen teile. Wenn die Meinungsfreiheit missbraucht wird, dann greift das Gesetz.»

Politologe Hermann: «Kein Problem»

Michael Hermann, Geschäftsführer von SOTOMO und Politikexperte, findet Nussbaumers Entscheid nicht problematisch: «Für mich ist das zu wenig relevant.» Es wäre problematisch, wenn Eric Nussbaumer beginnen würde, die Ereignisse vom 11. September zu hinterfragen, oder die Sichtweise von Putin im Ukrainekonflikt übernehmen würde.

«Da das aber klar nicht der Fall ist, sehe ich kein Problem darin, dass Herr Nussbaumer sich nicht wie andere Politiker von Daniele Ganser distanzieren will. Auch nicht als potenziell zukünftiger Nationalratspräsident.»

Christa Markwalder, FDP-BE, spricht waehrend der Fruehlingsession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 4. Maerz 2020 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Christa Markwalder distanziert sich klar von Daniele Ganser.

Dass es auch anders geht, zeigt Christa Markwalder. Die Berner Freisinnige war von Dezember 2015 bis Dezember 2016 Nationalratspräsidentin. Wie die BaZ zitiert, hat sich Ganser in der Wahrnehmung von Markwalder stark radikalisiert: «Gerade seine Äusserungen zu den Massnahmen zur Corona-Pandemie und auch zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine teile ich überhaupt nicht und finde sie völlig deplatziert.»

Auch findet sie, es sage einiges über den Charakter von Ganser aus, dass er sich auf seiner Siper-Website noch immer mit solch alten Zitaten schmücken müsse. «Ich werde bei Siper vorstellig, um  meinen Namen und das unterstützende Zitat umgehend von der Seite löschen zu lassen.»

Bajour hat Daniele Ganser um eine Stellungnahme gebeten, ebenso wie die BaZ ein paar Tage zuvor. Zurück kam eine ferienbedingte Abwesenheitsnotiz von Daniele Gansers Sekretariat.

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