Wo bleibt die Empathie?

Am Samstag haben in Basel Tausende Menschen für eine Befreiung der Palästinenser*innen demonstriert. Und gegen Israel. Immerhin blieb es friedlich.

Demozug
Die Organisator*innen sprechen von 7000 Menschen, die durch Basels Strassen zogen. (Bild: David Rutschmann)

«Schweigen ist Komplizenschaft» steht auf einem Banner des Demonstrationszugs, der für die Befreiung von Palästina («Free Palestine») am Samstagnachmittag durch Basel gezogen ist. Geschwiegen haben die gemäss Organisatator*innen 7000 Menschen (die Polizei spricht von 1500-2000), die vom De-Wette-Park beim Bahnhof friedlich und fahnenschwenkend über die Wettsteinbrücke bis zur Kaserne liefen, nicht. Im Gegenteil: Sie waren laut und fordernd. Laut in ihrem Gesang, fordernd in ihren Parolen. Unter anderem wurde mehrfach «From the River to the Sea» gerufen, ein Slogan der antisemitisch ausgelegt werden kann und in manchen Teilen Deutschlands bereits verboten ist. 

Israelflagge
Von kurzer Dauer: Eine Israel-Flagge, auf welcher der Davidsstern durch ein Hakenkreuz ersetzt und durchgestrichen wurde, war nur zu Beginn im De-Wette-Park kurz zu sehen. (Bild: David Rutschmann)

Der Demozug war sehr durchmischt; es waren junge und ältere Menschen unterwegs, Familien und Studierende, die die Uni-Besetzungen verteidigten, People of Colour genauso wie Muslim*innen. Geschwenkt wurden Palästina-Fahnen, aber auch Flaggen mit roten Dreieck, einem Hamas-Symbol, und gefordert wurde die Freilassung von Georges Abdallah, einem libanesischen Kommunisten, der am längsten in Europa inhaftierte Gefangene, verurteilt wegen Mordes. Auch wurde zu Beginn eine Israel-Flagge gehisst, auf welcher der Davidsstern durch ein Hakenkreuz ersetzt und durchgestrichen wurde. Die BaZ schreibt dazu: «Mit dieser Bildsprache werden sechs Millionen Holocaust-Opfer verhöhnt.» Noch bevor der Demozug loszog, war die Fahne allerdings wieder verschwunden.

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Kleber mit Bildern von Geiseln, die in Basel an das Schicksal der nach wie vor rund 100 von den Hamas Verschleppten erinnern sollten, werden von Strassenschildern gekratzt. (Bild: David Rutschmann)

Den Verstorbenen des Terrorattentats durch die radikal-islamistische Hamas vom 7. Oktober, das sich am Montag jährt, wurde weder in den Anfangs- noch in den Schlussreden gedacht. Die zeitliche Nähe der Demo zum Jahrestag führte vorab zu Stirnrunzeln. In der bz kritisierte etwa Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), das gewählte Datum als «unsensibel und höchst fragwürdig». Statt eines Gedenkens wurden an diesem Samstag Kleber mit Bildern von Geiseln, die in Basel an das Schicksal der nach wie vor rund 100* Verschleppten erinnern sollten, unterwegs von den Strassenschildern gekratzt.

Bei der Elisabethenkirche standen am Rande des Demonstrationszugs einige Personen, die sich wohl pro-israelisch positionierten. Eine Frau hatte «Bring Them Home Now» auf ihrem Pulli stehen. Die Polizei hatte Kenntnis von diesen Personen, das Dialogteam hatte sie laut Mediensprecher Adrian Plachesi darauf hingewiesen, dass von einer Konfrontation mit Demoteilnehmer*innen abzusehen sei. Soweit bekannt, kam es zu keinen Zusammenstössen.

Pulli
Eine Provokation? Auch Menschen, die sich für die Geiseln einsetzen, waren unterwegs. (Bild: David Rutschmann)

In den Reden im De-Wette-Park wurde betont, dass der «Völkermord» an den Menschen in Gaza nun 364 Tage (eigentlich müsste es wohl 363 Tage heissen) anhält, und dass dieser gestoppt werden müsse. 40’000 Menschenleben hat der Gegenangriff von Israel im Gazastreifen bisher gekostet, darunter auch viele Kinder, Frauen und Betagte. Daran erinnern Frauen im Demozug, die leere Kinderwagen durch die Mengen schieben; statt Kinder liegen Bilder der Verstorbenen drin. Eine eindrückliche Szene, die so manch ein*e Passant*in zu Tränen gerührt und vielleicht zumindest ein bisschen Empathie provoziert haben dürfte. Und davon scheint es derzeit an allen Ecken und Enden zu mangeln.

So sagte auch der schweizerisch-israelische Wissenschaftshistoriker und Politologe José Brunner im Echo der Zeit von vergangenem Mittwoch, einen Tag nach dem Vergeltungsschlags des Irans auf Israel: «Empathie mit Palästinenser*innen gibt es nicht, auch auf palästinensischer Seite gibt es keine Empathie für Israelis, im Gegenteil, es gibt eine Art Empathieverbot.» Und: «In einem Krieg sind die Linien zwischen Freund und Feind klar gezogen, man hat Empathie für das eigene Leiden, nicht für das Leiden der Anderen.» 

Kinderwagen
Leere Kinderwagen erinnern an die verstorbenen Kinder im Gaza-Krieg. (Bild: David Rutschmann)

Diese Haltung widerspiegelt sich auch in Gesprächen, die Bajour mit Demoteilnehmenden geführt hat, die die Parole «From the River to the Sea» auf ihren Transparenten kundtaten. Wir wollten wissen, warum man auf den umstrittenen Slogan nicht verzichten kann, wenn doch klar ist, dass er Jüd*innen verletzen könnte? Die Antwort: Es gehe dabei nicht um Antisemitismus, sondern um die Befreiung der Palästinenser*innen, Palästina gehöre den Palästinenser*innen, aber: «Ja: Israel muss weg!», sagte ein Vertreter von ODSI; die Organisation fordert ein demokratisches Palästina. Der Herr mit amerikanischem Akzent erklärt denn auch: «Israel, der Staat, muss weg, nicht die Menschen, die dort leben.» Der Konflikt sei kein ethnischer, auch kein religiöser. «Es geht um Kolonialismus!» Und man habe keine Lust, heute schon wieder über Israelis oder Jüd*innen zu sprechen. Heute stünden die Palästinenser*innen im Mittelpunkt.

ODSI
Keine Lust über die Gefühle der Israelis oder Jüd*innen zu sprechen: Es gehe heute um die Palästinenser*innen. (Bild: Valerie Zaslawski)

Die Wut auf die Zionist*innen wurde an diesem Herbsttag deutlich: «Tout le monde deteste les sionistes» (die ganze Welt hasst die Zionist*innen), wurde gesungen. Und «Israel is a racist state» (Israel ist ein rassistisches Land) skandiert. Überhaupt war der Grundtenor kämpferisch: «Vive la lutte du peuple palestine!» (Es lebe der Kampf des palästinensischen Volkes), oder: «From Gaza to Beirut, all the martyrs we salute!» (Von Gaza bis Beirut grüssen wir alle Martyer*innen, sprich: die Opfer des Krieges).

Was von diesem Tag bleibt, ist die Erkenntnis, dass es in diesem Konflikt keine Gewinner*innen gibt, nur Verlierer*innen. Und dass Pauschalisierungen die Menschen noch nie weitergebracht haben. Auch heute nicht.

Mitarbeit: David Rutschmann

*Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version berichteten wir von 108 Geiseln, die noch in den Händen der Hamas sind, haben die Zahl dann aber nach unten korrigiert.

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Das ist Valerie (sie/ihr):

Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

Kommentare

Janina
06. Oktober 2024 um 10:15

Wo bleibt die Empathie?

Liebe Valerie Vielen Dank für diesen differenzierten und wertvollen Beitrag. Auch mir fehlt in den Debatten die Anerkennung des Leids der Anderen. Dass unmittelbar Betroffene dies nicht vermögen, ist verständlich. Wir Aussenstehenden sollten dieser wichtigen Grundlage für sämtliche Diskussionen jedoch genügend Raum geben. Herzlichst, Janina

Brise
08. Oktober 2024 um 22:35

Erwarteter schlechter Journalismus von einer NZZ-Journalistin, die bei bajour arbeitet

2024 ist ein Schaltjahr, daher liegen 364 Tage zwischen dem 07.10.2023, dem Beginn des Völkermordes, und dem 05.10.2024. Eine falsche Korrektur bei einem so unbedeutenden Detail einer Rede zu machen, zeugt von Ihrer Unwissenheit. Sie sind mehr als einen ganzen „7. Oktober“ von der korrekten Zahl der Todesopfer entfernt, indem Sie 40,000 ermordete Menschen angeben. Zum Zeitpunkt Ihrer Veröffentlichung lag die Zahl der Toten bei mindestens 41,802. Wo bleibt die Empathie? https://www.ochaopt.org/content/humanitarian-situation-update-226-gaza-strip Sie scheinen nicht in der Lage zu sein zu verstehen, dass "From the River to the Sea, Palestine will be free" nicht antisemitisch ist. Die "Students for Palestine" hat dies in ihrer Rede sehr deutlich erklärt: “in this genocide, the pro-Human Rights position is not complicated, it is a position for the freedom of all people in Palestine, from the river to the sea. And as long as Palestinians are not free, no one in Palestine is free.”