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Der Klimastreik schickt die Basler Politik zum Nachsitzen

Basel will ökologische Vorzeigestadt werden. Die Spezialkommission Klimaschutz und ihr zwei Jahre später vorgelegter Bericht soll den Weg dahin ebnen. Bajour hat die klimabewegte Jugend gefragt, was sie von dem Entwurf hält. Note: durchzogen.

12/16/21, 04:00 AM

Aktualisiert 12/16/21, 04:00 AM

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Im stillen Kämmerli werden Beschlüsse gefasst, was sagt der laute Klimastreik dazu?

Im stillen Kämmerli werden Beschlüsse gefasst, was sagt der laute Klimastreik dazu? (Foto: Screenshot / Keystone-SDA)

Der Kanton Basel-Stadt möchte Klima-Primus werden und eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit angehen. Schliesslich herrscht Klimanotstand. Den rief das Parlament im Frühjahr 2019 aus. Zwei Jahre später präsentiert die Spezialkommission ihren Bericht mit 90 politischen Lösungsansätzen zur Eindämmung der Klimakrise. Die sollen nicht ohne Folgen verpuffen. 

«Vertreter*innen des Klimastreiks wurden zu einem Hearing mit anschliessender Diskussion eingeladen», sagt Jo Vergeat, Präsidentin der Spezialkommission, auf Anfrage. Dass man diese dringlichen Anliegen eigentlich gerne vertieft mit der breiten Bevölkerung angegangen wäre, sei auch innerhalb der Kommission Thema gewesen. Sie verweist jedoch auf den zeitlichen Druck und dass eine zu breite gesellschaftliche Einbindung in diesem Rahmen schlicht nicht möglich gewesen sei und auch nicht üblich wäre. Ausserdem fügt sie an: «Wir hatten in dieser Kommission durch die vertretenen Grossratsmitglieder ein grosse Spannbreite an verschiedener Interessengruppen vertreten, was zielführend war für die vielfältigen Anliegen.»

13 Vorstösse aus dem Papier werden jetzt im Grossen Rat diskutiert – in der Hoffnung, bald die ersten Nägel mit Köpfen zu machen. Hört sich alles nach einem vorbildlichen Prozess an, wäre da nicht die aufsässige Klimajugend. Die hat mit ihrem politischen Druck 2019 stark dazu beigetragen, dass sich Basel überhaupt dazu entschloss, den Klimanotstand auszurufen. Anders als die Kommissionspolitiker*innen und Fachexpert*innen wurde «der Klimastreik» bzw. dessen Aktivist*innen nicht aktiv in die Ausarbeitung von Lösungen eingebunden, kritisieren sie. 

Der lange Weg zur Klimaneutralität

Die Regierung kommunizierte im Februar 2019 nach Ausrufung des Klimanotstands im Kanton Basel-Stadt: «Es braucht jetzt auf kommunaler, kantonaler, nationaler und internationaler Ebene griffige Massnahmen, um dieser drohenden Katastrophe entgegenzuwirken.» Daraus formierte sie eine politische Spezialkommission die den Auftrag erhielt, gemeinsam mit Expert*innen Lösungsansätze auszuarbeiten.

Vertreter*innen aus allen im Grossen Rat präsenten Parteien nahmen darin Einsitz, um ambitionierte Ziele zu formulieren. Nun sollen im Grossen Rat die ersten 13 Vorschläge konkretisiert werden und der Regierung zur Ausarbeitung übergeben werden.

Helma Pöppel ist seit einem Jahren in der Klimabewegung aktiv. Bajour trifft Pöppel im Gundeli und setzt sich an einen eckigen Kaffeetisch. Der Plan: Den publizierten Klimabericht genauer anzuschauen und herauszufinden, was die jungen Klimaaktivist*innen davon halten.

Schnell wird klar, der Klimabericht scheint aus Sicht der Aktivistin grundsätzlich eine gute Basis zu sein. Die Gymischülerin geniert sich aber nicht, der Politik gemischte Noten zu geben und in fünf Fächern noch ein wenig Nachhilfeunterricht zu erteilen. Die strittigen Punkte:

Streitpunkt «Anreize schaffen»

Ansatz Basler Klimabericht: 

«Anreize schaffen zur Reduktion von Kohlenstoffdioxid (CO2)» steht im Klimabericht und hierfür sollen laut Klimakommission Konzepte erarbeitet werden, damit sowohl Verwaltung als auch Unternehmen das Ziel Netto-Null-Emission bis im Jahr 2040 erreichen versuchen. 

Bewertung Klimaaktivistin: 😤

Nur schon beim Wort «Anreize» sträuben sich dem Klimastreik die Haare: «Den einzigen Anreiz, den wir haben sollten, ist unsere Lebensgrundlage mit allen möglichen Mitteln zu sichern», sagt Helma Pöppel und fügt an: «Für konkrete Umsetzungen braucht es jetzt keine Anreize mehr, sondern konkrete Regulierungen zur Reduzierung der Emissionen.» Unverbindliche Zielvorgaben seien dabei wenig fördernd.

In diesem Themenfeld gebe es ein besonders grosses Potenzial, um konkrete Verbesserungen umzusetzen für ein baldige Netto-null Bilanz, sagt Pöppel. Wer ihr 2021 mit «Anreize schaffen» komme, sei klar durchgefallen. Was es jetzt brauche, seien bindende Vorgaben ohne Wenn und Aber.

Helma Pöppel vergibt die Note ungenügend und hofft, dass dieser «Anreiz» den Kanton zum Verbessern seiner Note bewegt. 

Klimamusterschülerin Helma Pöppel gibt Nachhilfeunterricht in Sachen Klimaschutz.

Klimamusterschülerin Helma Pöppel gibt Nachhilfeunterricht in Sachen Klimaschutz. (Foto: Alexander Vögeli)

Streitpunkt IWB-Erdgasgeschäft

Ansatz Basler Klimabericht: 

Die Industriellen Werke Basel (IWB) generieren 65 Prozent ihres Gewinns aus dem Erdgasgeschäft. Als selbstständiges Unternehmen agieren sie zwar wirtschaftlich unabhängig, sind jedoch im Besitz des Kantons. Obwohl die IWB gewillt sind, sich von fossilen Energieträgern zu verabschieden und auf erneuerbare Energien zu setzen, bleiben sie an fossilen Geschäften vorübergehend wirtschaftlich engagiert, in dem sie für bestehende Kund*innen bis zum Umstieg auf eine erneuerbare Wärmeversorgung Gas beschaffen. 

Die Klimakommission wurde darauf aufmerksam und erachtet es angesichts der künftigen kantonalen Klima-Strategie als kritisch, dass die IWB an der Gasverbund Mittelland AG finanziell beteiligt sind. Deshalb stellt sich die Frage an den Kanton, inwiefern künftig mit Gasgeschäften umgegangen wird, während die Dekarbonisierung voranschreiten soll. Die Politik empfiehlt eine Erarbeitung einer Zukunftsstrategie für jene Beteiligung und die Erschliessung entsprechender alternativer Einnahmequellen, um bei einem Ausstieg aus der Gasindustrie Ertragsausfälle zu kompensieren. Ein zeitlicher Rahmen wird nicht festgelegt. 

Bewertung Klimaaktivistin: 🤨

Helma Pöppel stellt im Namen des Klimastreiks die Forderung, dass der Kanton auch für sein öffentlich-rechtliches Werk, der IWB, Verantwortung übernehmen muss. «Die IWB geben sich klimasensibel und fortschrittlich in Sachen Klimaziele für ihre Konsument*innen in der Region Basel, gleichzeitig sind sie aber an fossilen Geschäften anderswo beteiligt», kritisiert Pöppel und fordert, dass die Stadt eine Frist stellen müsse, in welchem zeitlichen Rahmen, die IWB aus der Gasverbund Mittelland AG auszusteigen haben. «Ich denke bis 2030 sollte es realistisch sein, den Ausstieg zu bewerkstelligen», spornt die Aktivistin an.

Die Spezialkommission erhält von Helma Pöppel eine ausreichende Mitmachnote, weil sie das Problem erkannt habe.

Streitpunkt Raumplanung/neue Projekte:

Ansatz Basler Klimabericht: 

Die Raumplanung ist bereits seit dem Klimaschutzbericht der Regierung 2019 ein Thema. Der Raumplanung wird jedoch, nach Meinung der Spezialkommission, nach wie vor zu wenig Bedeutung beigemessen. Besonders bei der Entwicklung von neuen Projekten bei sogenannten Transformationsarealen, wie zum Beispiel dem Lysbüchel, sollten aus ihrer Sicht idealerweise Klimaziele und eine positive Klimabilanz angestrebt werden.

Die Spezialkommission formulierte hierfür einen Anzug adressiert an den Regierungsrat, da der ideale Zeitpunkt bevorstehe, um bei der Umsetzung solcher Bauprojekte – und auch bei künftigen Arealentwicklungen – klare Klimaziele zu definieren. 

Bewertung Klimaaktivistin: 😒

Aus Sicht des Klimastreiks sollten diese Klimaziele «verbindlich» und nicht «idealerweise» eingehalten werden. Die Klimaaktivist*innen fordern, dass alle neuen Bauprojekte und deren Betrieb bis 2030 CO2-neutral werden.  

Gehörte die Kommission aus Sicht der Aktivist*innen bislang nicht zu den Musterschüler*innen, verbessert sich der Notendurchschnitt nun immerhin beim Thema Raumplanung zu einem «stets bemüht», da sich der Klimastreik und die Politik zumindest für einmal in der Theorie einig sind. 

Streitpunkt Konsumverzicht

Ansatz Basler Klimabericht: 

Die Fachexpertise im Bericht hält fest, dass punkto Klimaschutz ein grosses Potenzial im Bereich Konsum bestehe. Denn mit einem Umdenken im persönlichen Konsumverhalten könne man einiges fürs Klima tun. Aus der Sicht der öffentlichen Hand fehlt bis anhin jedoch der Einfluss auf das Verhalten der Gesellschaft. Hierfür gebe es keine gesetzliche Grundlage.

Die politischen Vertreter*innen der Kommission haben das Problem erkannt. Dazu steht im Bericht: «Es wäre wichtig, sich einer ausführlichen und differenzierten Auseinandersetzung zur Wirkung des in Basel-Stadt stattfindenden Konsums zu befassen. Jedoch ist es auch nachvollziehbar dass der Konsum nicht der Schwerpunkt der kantonalen Klimaschutzaktivitäten ist.»

Bewertung Klimaaktivistin: 😔

Helma ordnet ein: «Unser Konsumverhalten trägt massgeblich zur Klimakrise bei. Ich werde jetzt sicherlich in die Verzichtsecke gestellt, aber damit hat es nichts zu tun», findet sie und führt weiter aus: «Wenn wir gesellschaftlich unseren Konsum anders organisieren, dann hat es nichts mit persönlichem Verzicht zu tun, sondern kann zum Beispiel über staatlich geförderte Sharing-Plattformen wunderbar funktionieren – damit müsste niemand verzichten.»

Verzichten auf eine Belehrung des Kantons möchte Helma auch nicht und benotet diese Haltung mit der Note mangelhaft.  

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