Anouk schnuuft dure

Anouk Schaub ist unheilbar krank. Dank einer neuen Lunge kann sie weiterleben. Die Geschichte einer Kämpferin.

Anouk Schaub Porträt
«Ich habe immer wie durch ein Röhrchen geatmet», erzählt Anouk.

Anouk Schaub hat ein breites Lächeln. So breit und fröhlich, dass man automatisch auch selbst lächeln muss. Und wenn man nach dem Schlüssel sucht, nach diesem Etwas, das einer*m alle Widrigkeiten überleben lässt, dann ist es für Anouk genau das: Sie lächelt. 

Zu lachen gabs oft wenig. Durchstehen musste die Baslerin schon einiges. Sie war ein drei Wochen altes Baby, als die Ärzt*innen feststellten, dass sie eine verdammt fiese Krankheit hat: Cystische Fibrose (CF). Man kennt die Stoffwechselstörung auch unter dem Namen Mukoviszidose. Was wortwörtlich zäher Schleim bedeutet. Durch eine Genmutation produzieren die Drüsen im Körper dickflüssige Sekrete. Diese führen zu Infektionen, Entzündungen und im Fall der Atemwege zu chronischem Husten.

Für den Körper heisst das Schwerstarbeit am Rande des Totalausfalls. Die Krankheit ist unerbittlich: Die Lunge, der Darm, die Bauchspeicheldrüse, die Leber, die Geschlechtsorgane – man erstickt im eigenen Schleim. Und als ob das nicht genug wäre, verpasst einer*einem CF womöglich auch Diabetes und Osteoporose. Danke für nichts.

«Stelle dir ein Röhrchen vor. Ich habe immer wie durch ein Röhrchen geatmet.»

von Anouk leidet unter Cystischer Fibrose (CF)

Die Medizin hat in den letzten zwanzig Jahren viel erreicht, viele Betroffene kommen mittlerweile ins Erwachsenenalter, die Lebenserwartung liegt heute im Durchschnitt bei 53 Jahren (Zahlen für Deutschland). Anouk Schaub ist 34.  

«Ich nehme jeden Tag, wie er kommt.» Was für andere eine Binsenwahrheit ist, ist für Anouk einfach nur die Realität. Eine Alternative hat sie nicht. Als Kind ging es ihr ziemlich gut, mit acht Jahren hatte sie eine Lungenentzündung, aber ansonsten fiel es kaum auf, dass sie unheilbar krank ist: «Meine Kindheit war ganz normal», erzählt sie. Anouk kommt ins Gymi, macht die Matur und will Psychologie studieren. Im ersten Jahr rasselt sie durch, weil sie das Fach Statistik nicht besteht. Sie wechselt an die FHNW und studiert dort Soziale Arbeit, ihr Leben sieht aus, wie jenes einer typischen Studentin. Zumindest von aussen.

Im Inneren laufen ihre Organe einen immerwährenden Marathon. Weil Anouks Darmtrakt die Nahrung nicht richtig aufnehmen kann, ist Essen eine ständige Challenge. «Ich musste zeitweise rund um die Uhr essen», erinnert sie sich. Sie schluckt Enzyme, schlürft durch den Tag mehrere Kalorienshakes und in der Nacht laufen über eine Magensonde weitere Portionen rein. Trotzdem bringt sie in ihrer «dünnsten Phase», wie sie es nennt, bei 1 Meter 70 gerade mal 42 Kilo auf die Wage. 

Ständig im Spital

Gleichzeitig geht ihrer Lunge die Puste aus. Weil kaum jemand wirklich nachvollziehen kann, wie sich das anfühlt, beschreibt sie es so: «Stelle dir ein Röhrchen vor. Ich habe immer wie durch ein Röhrchen geatmet.» Der ständige Husten macht sie schwach und müde, ihr Immunsystem kommt gegen Viren und Bakterien nicht an. Sie muss ins Spital. 

Das wird die Regel: Eine Woche im Monat auf der Station, die Antibiotika schiessen durch die Venen. Zwei Wochen darf sie Pause machen. Dann wieder ins Spital, eine Woche Infusionen. Dann zu Hause noch mehr Medis.

Anouk Schaub wird so nicht mehr lange durchhalten. Dass ist gewiss. Die CF-Medikamente erleichtern den Patient*innen das Leben, kurieren kann man die Krankheit aber nicht. Ist CF weit fortgeschritten, bleibt vielen nur noch eine Transplantation als Ausweg. Das ist bei Anouk Schaub 2015 der Fall. Sie braucht eine neue Lunge. Ziemlich dringend. Sie kann nur überleben, wenn eine andere Person, die stirbt, ihr eine spendet.

«Ich habe mich gefragt, will ich weiterleben?»

von Eine Organspende rettete Anouks Leben

Leben dank dem Tod eines anderen Menschen. Ist das gerecht? Das sei nicht die richtige Frage, meint Anouk. Sie habe sich gefragt: Will ich weiterleben? «Ich wollte», sagt sie, und lächelt.

Es ist eine zermürbende Zeit. Ihr Studium schliesst sie mit den letzten Kräften ab: «Ich hatte kein Leben mehr. Es war nur ein Überleben», erzählt sie. «Meine Familie und meine Freundinnen haben dafür gesorgt, dass ich nicht völlig durchdrehe.» Sie ist bei längeren Ausflügen auf einen Rollstuhl angewiesen und braucht Sauerstoff: 24/7. Trotzdem versucht sie, möglichst viel zu unternehmen und sich abzulenken. Sie geht an die Fantasy, mit dem Rollstuhl, und merkt, wie sie dadurch für viele Menschen unsichtbar wird: «Ich wurde oft nicht direkt angesprochen, für geistig behindert gehalten, ignoriert.» Sie plant ihre Beerdigung: «Das hat mir geholfen, die Situation zu verarbeiten», sagt sie.

Leben dank Organspende

Ende 2020 warteten in der Schweiz 1457 Personen auf ein lebensrettendes Organ. Gespendet haben im selben Jahr gerade nur 146 Personen, 72 Menschen, die auf der Warteliste waren, starben. Auf eine Million Einwohner*innen kommen lediglich 17 Spender*innen, die Ablehnungsrate in den Spitälern lag 2020 bei 55 Prozent, damit belegt die Schweiz in Sachen Organspende europaweit einen der letzten Plätze. Über die Gründe kann nur spekuliert werden. 

Organspende und wie man dazu steht, ist wahrlich kein Tischgespräch. Nur wenige Menschen befassen sich damit und geben ihren Willen bekannt, was dazu führt, dass die Angehörigen im Todesfall eher Nein als Ja zu einer Spende sagen. Die Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen steht im Vordergrund. Die Frage, ob die Organe gespendet werden sollen, überfordert.

Skepsis, Unwissen, moralische und religiöse Vorbehalte sind weit verbreitet. Das Band, das mit einer Transplantation zwischen Spender*in und Empfänger*in geknüpft wird, ist eigenartig. Von Natur aus ist es nicht vorgesehen, der rasante medizinische Fortschritt macht es überhaupt möglich.

1954 wurde erstmals eine Niere erfolgreich transplantiert, 1963 die erste Lunge, 1967 das erste Herz. Mittlerweile können Knochen, Hornhaut, Blutgefässe und Nerven transplantiert werden. Sensationsmeldungen über transplantierte Gliedmassen und Gesichter lassen bei manchen den Eindruck aufkommen, der menschliche Körper würde in seinen letzten Stunden zum Ersatzteillager. 

Der Bedarf an Spender*innen ist aber enorm. Um die Organspende zu fördern, wurde 2019 eine Volksinitiative eingereicht, die einen Systemwechsel verlangt: Wer seine Organe nicht spenden möchte, soll das bei Lebzeiten explizit festhalten. Das eidgenössiche Parlament hat einen indirekten Gegenvorschlag dazu erarbeitet, der die Angehörigen einbezieht: Gibt es keine Willensäusserung, können diese die Spende ablehnen. Der National- und der Ständerat haben diesem zugestimmt. Das Geschäft geht zurück an den Nationalrat.

Ob ein*e Patient*in auf die Transplantationsliste kommt, entscheidet sich erst nach einer minutiösen Überprüfung. Zum einen müssen alle anderen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft sein, zum anderen muss die Person genügend gute Aussichten haben, mit der Transplantation zu überleben. Will heissen: krank genug, um die Spende zu benötigen, gesund genug um die Spende zu erhalten.

Ein neues Leben

Für Anouk Schaub beginnt eine Reihe Untersuchungen: Ihr ganzer Körper wird durchgecheckt. Ihre Knochendichte, ihre Durchblutung, Zähne, psychische Verfassung. Weil das Unispital Basel für Lungentransplantationen mit dem Spital Lausanne zusammenarbeitet und die Checks dort stattfinden, findet die Prozedur auf Französisch oder Englisch statt. Ihr grösstes Problem ist ihr niedriges Gewicht. «Die Ärzte meinten, jedes Kilo mehr würde meine Chancen verbessern», also schaufelt sie Kalorien in sich hinein. Im Juni 2016 dann der Bescheid, Anouk wird auf die Liste gesetzt. Da wiegt sie 49 Kilo.

Von da an wartet sie auf den erlösenden Anruf. Ihr Telefon ist immer auf laut, ihre Tasche immer gepackt. Egal wo sie ist, überlegt sie sich, wie sie am schnellsten nach Lausanne kommen könnte. «Ich war beim Basel Tattoo», erzählt sie, «da habe ich mir genau einen Plan gemacht, wie ich am schnellsten rauskomme und wie ich mich dann auf den Weg machen kann.» In Lausanne hat sie mehrere Bezugspersonen angegeben, die benachrichtigt werden sollten, falls sie nicht zu erreichen ist. Im Ernstfall zählt jede Minute. Anouk ist längst Mitglied bei der Rega. Eine Ambulanz ist die schnellste Möglichkeit, die sie hat. 

«Die Aufhebung der Anonymität zwischen Empfänger und Spender kann nicht nur von Dankbarkeit geprägt sein, sondern auch Belastungssituationen oder gar Forderungen hervorrufen.»

von Jasmin Nydegger, Stiftung Swisstransplant

Im September 2016 klingelt ihr Telefon. «Ich war unter der Dusche», sagt sie, «und habe den Anruf tatsächlich verpasst.» Als sie zurückruft ist besetzt. Die Koordination der Transplantation ist längst angelaufen, nur die Patientin muss kommen. Sie versucht es erneut und nimmt die Nachricht entgegen: Man hat eine passende Lunge für sie. Mit Blaulicht wird sie nach Lausanne gefahren. 

Anouk, was weisst du über die*den Spender*in? 

Wer ihr die Lunge gespendet hat, wie diese Person gelebt und wie sie gestorben ist, muss ein Geheimnis bleiben. Organspenden sind völlig anonym, dieses Prinzip wird strikt befolgt. Auch die Angehörigen der Spender*innen wissen nichts über die Empfänger*innen. Das aus gutem Grund.

Jasmin Nydegger von der Stiftung Swisstransplant, die Organspenden in der Schweiz koordiniert, erklärt es so: «Die Aufhebung der Anonymität zwischen Empfänger und Spender kann nicht nur von Dankbarkeit geprägt sein, sondern auch Belastungssituationen oder gar Forderungen hervorrufen», das Gesetz wahre deshalb die Anonymität der Spende, die ausschliesslich kosten- und bedingungslos erfolgen muss. Das Aufweichen dieses Prinzips könnte die Organspende an sich gefährden. 

«Es ist nicht einfach in Worte zu fassen, was ich fühle. Ein Danke, was ist das schon?»

von Anouk lebt mit einer «fremden» Lunge

Um dem Wunsch, die eigene Dankbarkeit auszudrücken oder die Geschichte der verstorbenen Person zu erzählen, zu entsprechen, hat Swisstransplant eine Plattform eingerichtet, wo Dankesbriefe und Erinnerungen anonymisiert veröffentlicht werden können. Die Dankesbriefe an die Spender*innen werden auch anonymisiert weitergeleitet. 

Anouk, hast du einen Dankesbrief geschrieben? 

Anouk Schaub sagt, es sei nicht einfach in Worte zu fassen, was sie fühle. Ein Danke, was ist das schon? Dann sagt sie: «Ich will mich nicht schuldig fühlen.»

Die transplantierte Lunge sei ihre Lunge, sie fühle sich nicht fremd an. Anouk achtet gut auf ihre Gesundheit und geniesst das Leben. Sie will alles tun, dass die Spende einen Sinn gehabt hat. Sie will als Sozialarbeiterin im Kinder- und Jugendbereich tätig sein, nach Indien reisen und vielleicht nach Südamerika.

Und sie will auch etwas inkonsequent sein: «Das tut der Seele gut», sagt sie. Zum Bespiel habe sie trotz Corona – «das war im März 2020, als das Virus erst in der Schweiz angekommen war» – an einem Speed Dating teilgenommen. Es war lustig, «aber viel hat es nicht gebracht», erzählt sie. Und sie trägt immer ein paar leere Spendeausweise bei sich, denn die Menschen sollen über die Organspende sprechen und sich entscheiden. «Wenn ich dazu beitragen kann, dann umso besser», sagt sie.

Anouk schnuuft dure. Und lächelt.

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