Schritt für Schritt zur Kokain-Abgabe
Basel diskutiert mögliche Therapieformen für Kokain-Süchtige. Das darf als ein erster kleiner Schritt hin zu einer staatlichen Abgabe gewertet werden. Frei von Skepsis ist dieser Prozess allerdings nicht.
Es war ein «dringender Aufruf», den die Eidgenössische Kommission für Suchtfragen vergangenen Juni absetzte. Sie empfahl die staatliche Abgabe von Kokain an Schwerstabhängige, weil die Situation in der Schweiz zu eskalieren drohte. Und zwar «je rascher, desto besser», wie Vizepräsident Christian Schneider damals in der NZZ am Sonntag sagte. «Denn wir steuern auf eine Krise zu.»
Nun macht Basel vorwärts und kommt einer solchen staatlichen Abgabe einen kleinen Schritt näher: Der Stadtkanton hat einen Antrag der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) für eine Studie mit 15’000 Franken bewilligt, mit welcher untersucht werden soll, was die Bedürfnisse der Betroffenen für eine mögliche Therapie sind – immer mit dem Ziel, den Konsum zu reduzieren.
Studienergebnisse beeinflussen Vorgehen
Marc Vogel, Chefarzt im Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen an der UPK, vertritt Basel in der Arbeitsgruppe, die gemeinsam mit anderen Schweizer Städten die verschiedenen Behandlungsansätze diskutiert. Zu Bajour sagt er: «Wir schicken nun Ärzt*innen raus und versuchen, die Menschen für eine Behandlung zu motivieren, denn: gegen den Willen der Betroffenen ist eine Therapie wenig erfolgsversprechend.» Auch die Mitarbeitenden in den Kontakt- und Anlaufstellen (K+A) werden befragt.
«Es ist zu prüfen, ob eine kontrollierte Verschreibung von Kokain in noch zu definierenden Settings erfolgversprechend sein können.»Anne Tschudin, Kommunikationschefin des Gesundheitsdepartements (GD)
Erste Ergebnisse der Studie werden im ersten Quartal 2025 erwartet. Und: Sie würden die Planung eines Pilotprojektes wie beispielsweise eine Substitutionsbehandlung (denkbar dafür wären Amphetamine genauso wie absolut reines Koks) massgeblich beeinflussen. Das bestätigt Anne Tschudin, Kommunikationschefin des Gesundheitsdepartements (GD).
Bezüglich einer staatlichen Kokain-Abgabe zeigt sich das GD dennoch zurückhaltend: «Es ist zu prüfen, ob eine kontrollierte Verschreibung von Kokain in noch zu definierenden Settings erfolgversprechend sein können», sagt Tschudin. Selbstredend müssten solche Behandlungsversuche sorgfältig erarbeitet und wissenschaftlich begleitet werden. Die Studie sei hierfür der erste Schritt.
In anderen Worten: Eine Verschreibung von Kokain an Schwerstabhängige dürfte wohl auch in Zukunft nur sinnvoll sein, wenn es ergänzende Angebote drumherum gibt und sie ärztlich begleitet ist.
Politiker*innen zeigen sich offener
Auch Mediziner*innen wie Marc Vogel von den UPK äussern sich vorsichtig, «weil die Auswirkungen des Kokain-Konsums sehr schädlich sein können» und weil «bei Kokain, anders als bei Heroin (welches durch Methadon substituiert werden kann), das Sättigungsgefühl schwerer zu erreichen ist».
Anders Politiker*innen und Fachpersonen: Sie zeigen sich offener. So möchte beispielsweise der SP-Stadtrat von Chur, das in jüngster Vergangenheit wegen der sich ausbreitenden Crack-Szene immer wieder für Schlagzeilen sorgte, eine staatliche Kokain-Abgabe an Schwerstabhängige einführen. In welcher Form ist noch offen.
«Die Auswirkungen des Kokain-Konsums können sehr schädlich sein.»Marc Vogel, Chefarzt im Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen an der UPK
Und der ehemalige Basler Drogendelegierte Thomas Kessler fordert bereits seit Jahren eine regulierte Abgabe – und zwar nicht nur für Schwerstabhängige, sondern auch für Freizeitkonsument*innen. Für ihn als FDP-Politiker gehe es auch um die Frage, wer den Markt definiere: «Ist es die Mafia oder der Staat?» Er ist der Ansicht, dass «die Schäden durch den Schwarzmarkt mindestens so gross sind wie die Gesundheitsschäden durch die Substanzen».
Kessler spricht sich für eine «sehr präzise Regulierung» aus, findet aber auch: «Man kann einen Crack-Süchtigen nicht gleich behandeln wie einen Party-Kokser.» Die Beurteilung, ob Therapiefall oder nicht, müsse ein*e Ärzt*in vornehmen. Durch eine sorgfältige Regulierung, so ist Kessler überzeugt, könnte man die Wochenendkonsument*innen früher erfassen und ihnen einen regulierten Zugang geben. «Das wirkt präventiv gegen aufkommende Sucht, und der Mafia kann man das Geld entziehen.»
«Man kann eine*n Crack-Süchtige*n nicht gleich behandeln wie eine*n Party-Kokser*in.»Thomas Kessler, ehemaliger Basler Drogendelegierte und FDP-Politiker
Kessler meint: «Wir haben Verspätung, hinken dem Problem hinterher. Nun müssen wir beides machen, und zwar richtig.» Also eine staatliche Kokain-Abgabe an Schwerstabhängige sowie eine an Freizeitkonsument*innen.
Koks am häufigsten konsumiert
Wenn auch die genaue Ausgestaltung einer Kokain-Abgabe noch unklar ist, liegt auf der Hand, dass gehandelt werden muss. Denn in Basel ist der Crack-Konsum im öffentlichen Raum nach wie vor besorgniserregend. Tschudin vom GD meint dazu: «Kokain ist nach Cannabis die am häufigsten konsumierte illegale Substanz und wird in unterschiedlichen Settings konsumiert: auf der Strasse, in Clubs, am Arbeitsplatz, in Bars oder Privathaushalten. Kokain gehört auch in den K+A bereits seit vielen Jahren zu den am häufigsten konsumierten Substanzen.» Kokain kann in unterschiedlichen Formen konsumiert werden. Immer öfter wird das Pulver geraucht: als Crack (mit Natriumbicarbonat aufgekocht) oder Freebase (mit Ammoniak aufgekocht).
Um die Situation für die Süchtigen, aber auch für die Anwohner*innen zu verbessern, hatte Basel neben präventiven Angeboten im vergangenen März bereits vermehrt Massnahmen der Schadensminderung sowie der Repression ergriffen. So wurde zum Beispiel die Anzahl Plätze für den inhalativen Konsum in den K+A oder die Polizeipräsenz im unteren Kleinbasel erhöht. Wie Tschudin sagt, hätten die Massnahmen «punktuell zu einer Beruhigung beigetragen.» Eine genauere Evaluation folge, wobei das GD keinen Zeithorizont nennen möchte.
Die vierte Säule Schadensminderung geht in der Drogenpolitik neben den Säulen Prävention, Therapie und Repression oft ein bisschen vergessen. Deshalb legen wir für den nächsten Drogenstammtisch, den wir wieder gemeinsam mit dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel organisieren, den Fokus darauf. Braucht es eine staatliche Kokain-Abgabe? Welche Wohnformen und Tagesstrukturen sind für die Drogensüchtigen unterstützend? Sollte es gar Begegnungszonen für Konsumierende wie in Freiburg geben? Und: Wie leben wir mit den vielen Einrichtungen im dicht besiedelten Kleinbasel? Diese Fragen stellt Moderatorin Martina Rutschmann am Dienstag, 19. November, ab 19 Uhr im Rheinfelderhof (Hammerstrasse 61, 4058 Basel) zur Debatte. Der Eintritt ist frei und eine Anmeldung ist nicht nötig.