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Lärmige Abflüge

Auf die lange Piste geschoben

Wer in Allschwil, Binningen und dem angrenzenden Grossbasel-West wohnt, kennt das Problem nur zu gut: den Fluglärm. Das Unglaubliche daran: Ein grosser Teil dieses Lärms wäre vermeidbar.

07/28/22, 03:00 AM

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Der Fluglärm ist seit Jahren Streitpunkt in Allschwil und Binningen.

Der Fluglärm ist seit Jahren Streitpunkt in Allschwil und Binningen. (Foto: Keystone)

1978 wurde die um 1,5 auf 3,9 Kilometer verlängerte Nord-Süd-Piste des Euro-Airports mit grossem Tamtam eingeweiht. Im vorgängigen Abstimmungskampf hoben die Befürworter*innen hervor, dass damit die Lärmbeeinträchtigung kleiner würde: Die Piste werde ja im Norden verlängert. Und damit sei auch der Punkt, wo die Flugzeuge abheben, 1,5 km weiter von der Stadt weg. 

Das Dumme ist nur: viele Flugzeuge nutzen den nördlichen Startpunkt gar nicht. Sondern einen, der einen Kilometer weiter südlich liegt.

Den Beweis dafür, dass es auch anders geht, erbringen die Fluggesellschaften gleich selbst.

Am Sonntag, 17. Juli, war es wieder einmal so weit. Der Richtung Süden startende Airbus, Kurs U28432 von Easyjet nach London-Gatwick, flog ungewöhnlich hoch über Grossbasel-West, wie wir von Bajour feststellten. Deswegen war der Flieger – nicht überraschend – hörbar weniger laut.

Auf der Website von Flightradar lassen sich die Flugbahnen der Kolosse nachverfolgen.

Auf der Website von Flightradar lassen sich die Flugbahnen der Kolosse nachverfolgen. (Foto: Screenshot)

Den Schallpegel konnten wir auf die Schnelle nicht messen. Aber immerhin zeigt die Website Flightradar 24 deutlich, dass der Airbus über Bottmingen auf 5000 Fuss (1500m) flog. Das ist 1000 bis 2000 Fuss (300 bis 600m) höher als üblich. Dabei ist er wahrscheinlich nicht einmal ganz vom nördlichen Pistenende aus gestartet, sondern ab einer Rollwegeinmündung einen Kilometer südlich. Das heisst, er könnte diese Flughöhe bereits einen Kilometer früher erreicht haben.

Warum nicht regulär ab Pistenanfang gestartet wird, ist nur schwer verständlich. Denn immerhin ist das bei Nachtstarts heute schon Vorschrift. «Der Schutzverband der Bevölkerung fordert seit Jahren, dass alle Starts Richtung Süden von der nördlichen Pistenschwelle aus erfolgen», sagt Verbandspräsidentin und Flughafen-Expertin Katrin Joos Reimer.

Der Start ab Pistenschwelle bringe zwar eine Lärmreduktion, entgegnet Jan Robra, Ressortleiter Umwelt des Euro-Airports, aber die Flugzeuge müssen viel längere Rollwege in Kauf nehmen, was wiederum mehr Kerosinverbrauch und Lärm bedeute. Er spricht eine dieses Jahr abgeschlossene Studie der französischen Flugsicherung DSNA an. Diese habe ergeben, dass die Auswirkungen einzig dieser Vorschrift, also den obligatorischen Starts vom Pistenanfang, deutlich negativ ausfallen.

«Wir fordern seit Jahren, dass alle Starts Richtung Süden von der nördlichen Pistenschwelle aus erfolgen.»

Katrin Joos Reimer, Präsidentin Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Basel-Mülhausen

Aktuelle Tests mit den lärmmindernden Startprozeduren (NADP1) auf den Abflugrouten für Starts nach Süden und einem Weiterflug nach Westen zeigten, dass die Art und Weise, wie gestartet wird, einen deutlich positiveren Effekt auf die Überflughöhen – und somit den Lärm in Flughafennähe – haben als der Startpunkt auf der Piste. Bei diesen lärmmindernden Startprozeduren werde der Höhengewinn über den Geschwindigkeitsgewinn bevorzugt. Dies erfordere aber im Gegenzug eine höhere Triebwerkleistung als bei den anderen Starts. Auch der Treibstoffverbrauch sei deshalb höher, so Robra.

Anders gesagt: Pilot*innen könnten sehr wohl schneller steigen, wenn sie wollten. Sie tun das aber nicht, weil sie von ihren Arbeitgebern, den Fluggesellschaften, angehalten sind, Triebwerke zu schonen und Treibstoff zu sparen. Sie nehmen das Gas zurück und fahren die Klappen ein. Die Folge: die Steigleistung sinkt, aber die Beschleunigung ist grösser.

Der eingangs erwähnte Airbus «NEO», einer der neusten Generation übrigens, hat einen lärmfreundlichen Modus eingeschlagen. Er ist offenbar mit grosser Steigleistung gestiegen, wies aber auf 5000 Fuss eine relativ geringe Geschwindigkeit von 206 Knoten (380 km/h) auf. Andere Flugzeuge sind auf geringerer Höhe bereits einiges schneller.

«Der Start ab Pistenschwelle bringt zwar eine Lärmreduktion, aber die Flugzeuge müssen viel längere Rollwege in Kauf nehmen, was mehr Kerosinverbrauch und Lärm bedeutet.»

Jan Robra, Ressortleiter Umwelt des Euro-Airports

Es gibt noch einen anderen Knackpunkt beim Abflug Richtung Süden: Der Abdrehpunkt. Für die sehr oft geflogene Kurve Richtung Westen ist dies ein virtueller Navigationspunkt  mit dem Namen «Bravo Sierra» (BS) rund 800 Meter südlich des Pistenendes. 

Um Richtung Westen abdrehen zu dürfen, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Bravo Sierra muss überflogen und die Mindesthöhe von 1900 Fuss erreicht sein. Ein Grossteil der Flugzeuge überfliegt den BS-Punkt bereits auf einer Höhe zwischen 2300 und 2500 Fuss. Die grösseren, schwereren Flugzeuge, die nicht so schnell steigen können, beginnen den Kurvenflug weiter südlich, wenn auch die Mindesthöhe erreicht wurde.

Es sei «absurd», dass eine Mindesthöhe vorgeschrieben werde, um die Westkurve einzuleiten, nicht aber, wo diese Mindesthöhe erreicht sein muss, sagt Schutzverbands-Präsidentin Joos Reimer. Der Schutzverband würde sich wünschen, dass der Wendepunkt vor der Landesgrenze erfolge, wie dies im damaligen Abstimmungsbericht des Bundes vorgesehen war. «Heute führen einige Startrouten aber über das Dorfzentrum von Allschwil», ärgert sich Joos Reimer.

Da die meisten Flugzeuge schon viel früher die 1900 Fuss erreichen, wäre rein theoretisch auch eine Verlagerung des Wendepunktes Richtung Norden denkbar. Doch eben nur theoretisch. Robra erklärt: «Die Startprozeduren sollen von allen Flugzeugen geflogen werden können. Wenn der Abdrehpunkt zu nah am Anrollpunkt auf der Piste liegt, dann können viele Flugzeuge diesen nicht einhalten, da sie noch zu niedrig sind, um eine Kurve zu fliegen.» Dies würde dann zu einer deutlich höheren Streuung der Flugspuren südlich dieses Punktes führen. Das würde wieder mehr Personen belasten und wäre somit kontraproduktiv.

Der Schutzverband wird sich mit dieser Erklärung wohl nicht zufrieden geben.

Wir sind nicht abgehoben.

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