Sauerteig mit Risiken und Nebenwirkungen
Im Campus-Gebäude auf dem Entwicklungsareal Bachgraben in Allschwil ziehen allmählich Firmen ein. Bald werden hier 2000 Menschen arbeiten.
Es riecht nach frischer Farbe. Wer eine gute Nase hat, riecht auch noch ein wenig Zementstaub. Auch die schicken Büromöbel, soeben eingetroffen, haben ihren eigenen Geruch. Klebstoff? Wahrscheinlich Kunstoff. Hier riecht einfach alles neu. Und es ist neu.
Wir befinden uns im neusten Bau auf dem Bachgrabenareal in Allschwil. Dessen eine Hälfte ist schon bezugsbereit; der Switzerland Innovation Park Basel Area (SIP) hat im grosszügigen, mit Open Space Arbeitsplätzen ausgestatteten Eingangsbereich bereits ein beeindruckendes Empfangsdesk eingerichtet. Am Eingang zeigt ein Bildschirm, dass sich schon 25 Firmen eingemietet haben.
Hier werden auf fünf Etagen gegen 2'000 Menschen in modernsten Büros und Labors tätig sein, hier sollen Konzepte für die Medizin der Zukunft und wegweisende Technologien entwickelt werden. Dieser Campus ist ein beeindruckender Bau mit fussballfeldgrossen Innenhof, der zur Hälfte bereits begrünt ist.
Doch nicht nur Bau und Infrastruktur sind neu. Dahinter steckt auch eine Idee, die in dieser Konsequenz und Grösse erst an wenigen Orten in der Schweiz durchgezogen wurde: Es ist ein Konglomerat von kleinsten Startups, mittelgrossen Firmen und einer Uni-Abteilung.
Die Idee dahinter ist, dass sich auf dem Areal auch spontane Kontakte zwischen Forschenden und Firmen ergeben, ein «Sauerteig» für Innovation. Der SIP passt perfekt hierher. Gleich gegenüber ist das Schweizerische Tropen- und Public Health Institut (TPH) mit seinen 700 Mitarbeitenden, etwas weiter südlich der Actelion-Spinoff Idorsia (1200 Mitarbeitende), Johnson & Johnson, Skan, Abbott, Viollier mit je rund 500 Mitarbeitenden. Dazu kommen noch ungezählte kleinere Firmen. Das Departement Biomedizinische Technik der Universität Basel ist ebenfalls im Campus-Gebäude zu finden. Auch hier ergeben sich Berührungspunkte mit der Privatwirtschaft.
Eine unglaubliche Ballung der Life-Science-Kompetenz und ein Gegengewicht zur Dominanz der Pharma-Grossen Roche und Novartis.
Risiken und Nebenwirkungen
Bei all den sich bietenden Chancen des hiesigen «Pharma-Clusters» muss man sich jedoch vor Augen halten, dass die hier getätigten Grossinvestitionen auch mit Risiken behaftet sind. Ob diese von Erfolg gekrönt sind, lässt sich bestenfalls in fünf bis zehn Jahren feststellen. Es braucht Geduld.
Actelion beispielsweise hat Jahre gebraucht, bis das erste Medikament – Tracleer – zugelassen und zu einem medizinischen und kommerziellen Erfolg wurde. Und auch Idorsia, gegründet im Rahmen des Verkaufs von Actelion an Johnson & Johnson, machte erst nach vier Jahren Forschungszeit ihre ersten Umsätze. Es ist zudem bittere Realität, dass die meisten Startups scheitern oder nicht recht vom Fleck kommen.
In den vergangenen Jahren sorgte die Konjunktur für volle Kassen. Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass auch schwierige Zeiten nicht auszuschliessen sind.
Auch der Nordwestschweizer Zweig des Innovationszentrum CSEM – ursprünglich Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique – zieht hierher. Das zu 40 Prozent öffentlich finanzierte CSEM entstand in Neuenburg als Antwort auf die Strukturkrise vor allem in der Uhrenindustrie. Ähnlich wie der SIP versteht sich das CSEM als Innovationstreiber und Bindeglied zwischen Forschenden und Privatwirtschaft. Doch im Gegensatz zum SIP unterstützt das CSEM innovative Firmenprojekte direkt mit Forschungsleistungen.
Mit gut zwei Dutzend Angestellten ist CSEM verhältnismässig klein und der breiteren Öffentlichkeit noch wenig bekannt. Das Forschungszentrum ist seit 2008 in der Region Basel präsent und wird vom Kanton Baselland mit drei Millionen Franken pro Jahr unterstützt.
Christoph Joder rauscht mit dem Fahrrad an. Er ist verantwortlich für die Geschäftsentwicklung des CSEM in der Nordwestschweiz und hat den festen Willen, das Mauerblümchendasein des Instituts zu beenden. Für ihn, für die CSEM, ist dieser Standort ein wahrer Glücksfall. «Hier werden viele Kontakte entstehen», ist Joder überzeugt. Noch sind die Labors von CSEM leer, aber am 18. Oktober wird sich das ändern: Dann hat CSEM Zügeltag und die 600 Quadratmeter werden nach und nach belegt. «Wir freuen uns riesig.» Das CSEM sei hier genau am richtigen Ort, mitten im Geschehen.
Ganz praktisch: Wie kommt die Zusammenarbeit zwischen Firmen und dem CSEM zustande? Christoph Joder: «Firmen kommen auf uns zu. In der Uhrenindustrie wissen sie, was wir können. Im Bereich Life Sciences sind wir aber noch nicht so bekannt. Das werden wir aber jetzt ändern.»
Er weist darauf hin, dass es schwierig sei, in den grossen Pharmafirmen die richtigen Ansprechpartner zu finden. Projekte hat CSEM unter anderem mit dem SwissTPH (unkomplizierte Diagnose-Lösungen) und Hamilton (Bonaduz/Reno, USA, Pipettier-Automaten). Die Firma hat neue Büros gleich neben den CSEM-Labors bezogen.
Zu den Entwicklungen, die CSEM unterstützt hatte, gehört unter anderem ein Armband-Messgerät namens AVA von avawomen.com, mit welchem Frauen ihre fruchtbaren Tage erkennen können. Die Firma wurde im Juli dieses Jahres an die US-Firma Femtec Health verkauft.
Ein weiteres «Wearable»-Gerät ist das optische Blutdruckmessgerät der CSEM-Spinoffs Aktiia, das ebenfalls am Handgelenk zu tragen ist. «Oft haben wir auch die Herausforderung, dass wir schlicht nicht über unsere Projekte sprechen dürfen», sagt Christoph Joder. Das war zum Beispiel bei der Logitech-Maus der Fall. Der Track-Ball stammt von CSEM. «10 Jahre lang durften wir nicht darüber berichten.»
In der Region Nordwestschweiz will sich CSEM aus buchstäblich nahe liegenden Gründen auf Life Science fokussieren. In diesem Rahmen wurde der Bereich Photonik (Mikro- und Nano-Optik) mit gut 10 Personen an den Hauptsitz in Neuenburg verlegt.
Life Science ist in der Nordwestschweiz das grosse Erfolgsmodell, hier gibt es Zuzüge von Firmen und Neugründungen. Und dabei ergibt sich gewiss einigen Unterstützungsbedarf. Doch die Medaille hat zwei Seiten. Auch die Fachhochschulen (FH) versuchen, den Wissenstransfer von Wissenschaft und Forschung zur Privatwirtschaft voranzutreiben. Für ihre Projekte brauchen sie Zugpferde und Top-Leute. «Auch sie sind im Ausbildungs-, Entwicklungs- und Beratungsbereich auf der Suche nach den besten Talenten», sagt ein Branchenkenner, der anonym bleiben will. «Und die sind erfolgreich.»
Als Konkurrentinnen sieht Joder die FH trotzdem nicht. Auf Grund deren Mission stehe nicht der Wissenstransfer im Vordergrund, sondern die Lehre, sagt Joder. Der Transfer sei ergänzend. «Bei uns ist es genau umgekehrt: Der Technologietransfer ist unsere Kernaufgabe.» Ergänzend dazu bilde das CSEM auch noch aus – mit Praktika für Bachelor-, und Masterstudierende oder gar einem PhD-Studium. Überdies: Der Wettbewerb belebe das Geschäft. «Das ist letztendlich zum Vorteil der Industrie», sagt Joder.
«Die Zusammenarbeit mit diesen Institutionen ist ergänzend und so macht CSEM auch immer wieder Projekte mit der FHNW und Industriepartnern, zusammen.» Die Einzigartigkeit bestünde darin, dass wir sehr einfach unterschiedlichste interdisziplinäre Kompetenzen an den Tisch bringen können. Das stelle für die FH und Uni erfahrungsgemäss eine grosse Herausforderung dar.
Dank deiner Unterstützung 🤍 Jetzt Bajour-Member werden.