Endlich ohne schlechtes Gewissen fliegen?
Reisen und Klimaschutz vertragen sich schlecht. Die Flugbranche will das ändern. Aber erst bis 2050. Taugen diese Pläne etwas?
Für die Treibhausgasemissionen des Euro-Airports fühlt sich der Kanton Basel-Stadt nicht zuständig. Der liege auf französischem Boden, Basel-Stadt habe keinen Einfluss auf die CO2-Bilanz, entsprechende Massnahmen müssten zwischen dem Kanton, dem Bund und Frankreich abgesprochen werden, so die Bajour-Recherche vor knapp einem Monat.
Die Klimagerechtigkeitsinitiative will Netto-Null bis 2030 in Basel – doch eine der grössten CO2-Produzenten lässt sie aus: den Euro-Airport. Wieso?
Wenn Basel schon nicht aktiv werden will oder kann, lohnt sich ein Blick auf internationale, branchenweite Bestrebungen im Umweltbereich. Erstmals legte kürzlich der Branchenverband der Fluggesellschaften, IATA, einen Plan vor, der das Ziel Netto-Null formuliert – allerdings mit dem Zeithorizont 2050. Und so etwa sieht das aus:
Nachhaltiger Flugzeugtreibstoff (Sustainable Aviation Fuel, SAF) ist der Bereich, wo die IATA den grössten Beitrag zum Erreichen von Netto-Null sieht. «Wir gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2050 etwa 65% der Kohlenstoffemissionen durch den Einsatz von SAF vermieden werden kann», sagte IATA-Manager Hemant Mistry kürzlich an einer Medienkonferenz des Dachverbandes.
Doch es drängt sich hier die Frage auf, wie «sustainable» dieser «Air Fuel» tatsächlich ist. SAF bindet zwar bei der Herstellung seiner Grundstoffe, Beispiel Algenzuchten, eine Menge CO2. Doch bei der Verbrennung wird dieses wieder freigesetzt. Das Problem: Es wird mehrheitlich in grossen Höhen ausgestossen und nicht am Boden. Damit trägt es zur Klimaerwärmung bei. Überdies verursacht SAF klimaschädliche Kondensstreifen.
Ein kleiner Trost: Forschende des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der NASA hätten herausgefunden, dass der durch SAF verursachte Wasserdampf weniger schädlich sei, weil die Zahl der Eiskristalle in den SAF-Kondensstreifen halb so gross sei. Bereits eine 50-prozentige Mischung von SAF und konventionellem Treibstoff führe zu einer 20- bis 30-prozentigen Klimawirkung, schreibt DLR auf ihrer Website.
Der praktische Vorteil von SAF ist, dass er herkömmlichem Treibstoff beigemischt werden kann und somit die bisherige Logistik inkl. Befüllung verwendet werden kann. Gut 70 Firmen produzieren heute weltweit SAF. Er macht aber nur 1 Promille des aktuell verbrauchten Flugtreibstoffes aus.
IATA sieht CO2-Kompensationsmodelle als ein wichtiges Instrument der Energiewende. In Anbetracht der Herausforderungen bei der CO2-Reduzierung in der Luftfahrt seien diese eine erste Stufe, bis bessere Lösungen zur Dekarbonisierung der Luftfahrt ausgereift seien.
Mit Kompensationszahlungen werden Emissonsminderungen an einem anderen Ort auf dem Erdball finanziert. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, CO2-Reduktionen zu erzielen, die als Ausgleich verwendet werden können. Beispiele sind der Ersatz von Dieselgeneratoren durch Photovoltaik, sauberen Kochtechnologien, Methanabscheidung, Forstwirtschaft und andere emissionsmindernde oder -vermeidende Projekte.
Umweltorganisationen wie der WWF kritisieren Kompensationszahlungen. Häufig seien sie wenig wirksam und reichten nicht aus, um das Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Der WWF sagt, es müssten Projekte gefördert werden, die nicht ohnehin verwirklicht würden, etwa ein Windpark oder eine Photovoltaikanlage.
Ausserordentliche Projekte sind per se relativ dünn gesät. Waldprojekte machen sich zwar gut, aber deren Nutzen ist oft ebenfalls beschränkt. «Mit ihrem Flug erzeugen sie Emissionen, die bis zu 1000 Jahre in der Atmosphäre bleiben. Sie kompensieren das mit einem Baumprojekt, wo die Permanenz nur für 30 Jahre garantiert ist», sagt Juliette de Grandpré vom WWF gegenüber dem Sender BR24.
Die Flugbranche drängt schon seit einigen Jahren auf ein globales standardisiertes Kompensationsmodell. Das Projekt «Corsia» (Carbon Offset and Reduction Scheme for International Aviation) ist in der Versuchs- und Einführungsphase und steht unter dem Patronat der UN-Luftfahrtorganisation ICAO. Es besteht der Plan, sämtliche Fluggesellschaften der Welt in dieses Projekt einzubinden. Ab kommendem Jahr läuft ein Test mit USA und Kanada, Australien, Japan, Indonesien, Südkorea, allen europäischen und einigen afrikanischen Staaten. Ab 2027 sollen China, Russland und Brasilien eingebunden werden.
Dabei geht es um folgende Punkte:
Die Kohlenstoffbindung (Carbon Capture Utilization and Storage, CUSS) biete ein wachsendes Potenzial und werde wahrscheinlich unterschätzt.
Der Einsatz neuer Energien und Technologien werde ebenfalls einen wachsenden Anteil ausmachen. «Obwohl wir uns in nächster Zeit sehr auf den Ausbau der SAF konzentrieren, werden neue Energien wie Wasserstoff ab 2035 wahrscheinlich eine immer grössere Rolle spielen», sagt IATA-Manager Hemant Mistry. Welche Rolle der «grüne» Wasserstoff, produziert mit Photovoltaik, spielt, ist freilich offen.
Der Vorteil der sehr hohen Energiedichte wird durch den Umstand, dass es auf Minus 250 Grad abgekühlt werden muss, um transportfähig zu sein, weitgehend zunichte gemacht. Wasserstoff erfordert deshalb eine sehr anspruchsvolle Logistik. H2 kann auch in Brennstoffzellen «verstromt» werden. Flugzeuge mit dieser Technologie würden von Elektromotoren angetrieben. Bei der Verwendung von H2 entsteht nur Wasser und kein CO2.
Hoffnung wird auch auf Elektromotoren gesetzt. Der Vorteil, dass sie leise sind und kein CO2 und keinen Wasserdampf – also keine klimatisch schädlichen Kondensstreifen – verursachen, wird durch den Nachteil schwerer Batterien ganz oder teilweise zunichte gemacht. Nutzlast und Reichweite solcher Flieger sind gering. Die ersten Projektstudien betreffen vor allem Lufttaxis. Der erste Elektroflieger in der Schweiz ist ein Akrobatik-Einsitzer.
Effizientere Flugzeuge
Die in der Grafik gezeigte Strategie enthält gemäss IATA bereits Anpassungen für erwartete Verbesserungen bei der Konstruktion von Flugzeugen und Triebwerken, die den Treibstoffverbrauch reduzieren werden. Enthalten sind auch die möglichen, längst überfälligen Verbesserungen im Flugverkehrsmanagement. Allein durch die verbesserte Organisation des Flugverkehrs könne der CO2-Ausstoss bis zu 10 Prozent verringert werden, schätzt die Branche.
Flüge werden teurer
Auf einem anderen Blatt stehen die Kosten von SAF. Dieser war bis vor kurzem doppelt so teuer wie herkömmliches Flugpetrol, wobei er wegen der Krisenempfindlichkeit des Erdölpreises zwischenzeitlich relativ günstiger wurde. Der Anteil des SAF liegt aktuell bei lediglich 0,1 Prozent. Bis 2525, so hofft die Branche, soll der Anteil auf zwei Prozent steigen.
Auch die CO2-Kompensation ist nicht gratis zu haben. IATA-Generaldirektor Willie Walsh ist der Überzeugung, dass letztlich die Passagiere die Rechnung bezahlen würden. Wie hoch diese sein wird, steht in den Sternen. Problematischer ist wohl aber, dass wir von einem emissionsfreien Luftverkehr noch flugmeilenweit entfernt sind.
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