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S-Bahn zum Flughafen

«Vier Minuten sind nicht matchentscheidend»

Die geplante S-Bahn an den Flughafen erntet Kritik in der Fachpresse. Auch Politiker*innen aus der Region haben Fragen zum 320-Millionen-Franken-Projekt.

10/06/22, 03:00 AM

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Die Billigflieger heben ab, egal ob ihre Passagier*innen mit dem Bus oder der Bahn (oder mit dem Auto) angereist sind.

Die Billigflieger heben ab, egal ob ihre Passagier*innen mit dem Bus oder der Bahn (oder mit dem Auto) angereist sind. (Foto: Keystone)

Nur zehn Prozent der Flugpassagier*innen würden wirklich von dem geplanten Bahnanschluss an den Flughafen Basel-Mulhouse profitieren. Dieser Vorwurf wurde jüngst in der Schweizerischen Eisenbahnrevue erhoben, auch Bajour hat sich in einem Artikel mit der Kritik auseinandergesetzt.

Mit der S-Bahn wird alles besser. Oder doch nicht?

Mit der S-Bahn wird alles besser. Oder doch nicht?

Über das Leiden einiger Basler*innen am Flughafenbus wurden schon viele Artikel verfasst und Tweets abgesetzt. Wer mit dem ÖV an den Euroairport möchte, kommt nicht an ihm vorbei. Ab dem Jahr 2030 soll er Geschichte sein. Zumindest ein bisschen: Ab dann ist ein S-Bahn-Anschluss geplant. Für das Grossprojekt muss ein Bahnhof auf dem Flughafengelände und eine sechs Kilometer lange Bahnstrecke gebaut werden. Kosten in Höhe von rund 320 Millionen Franken sind projektiert, der Bund will 90,5 Millionen davon zahlen. Aber auch an dieser Verbindung gibt es nun Detailkritik.

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Vor allem relevant: Der Vorwurf, dass der Weg an den Flughafen für viele Reisende trotzdem länger würde und noch immer mit Umsteigen verbunden wäre. Die Autoren der Analyse fürchten, dass durch den Ausbau der Autobahn in Basel die Fahrt mit dem Auto an den Flughafen sogar attraktiver gegenüber dem ÖV werden könnte.

Aus dem Bau- und Verkehrsdepartement Basel-Stadt (BVD) heisst es dazu, dass die S-Bahn nicht nur Flugpassagier*innen zum Flughafen bringen könnten, sondern auch zur Entflechtung des grenzüberschreitenden Pendelverkehrs aus dem Elsass beitragen würde – neben dem Bahnhof am EAP sind auch weitere französische Haltestellen an der neuen Bahnstecke geplant. Eine Entlastung führe laut BVD letztlich sogar zu einem sinkenden Bedarf an Parkplätzen in Basel.

Ganz anders sieht das Raphael Fuhrer. Der Verkehrsplaner und Grünen-Politiker ist Präsident der Verkehrskommission im Grossen Rat. Er sagt: «Ich denke nicht, dass der Bahnanschluss den ÖV attraktiver macht, da für praktisch alle Passagiere das Umsteigen bleibt und ein Umsteigevorgang viel mehr ins Gewicht fällt als ein paar Minuten Reisezeit mehr oder weniger – gerade mit viel Gepäck ist dies der Fall.»

Energiekommission Umweltkommission Verkehrskommission Grosser Rat Grüne GAB

Direktverbindungen sind zentral, findet Grünen-Grossrat Raphael Fuhrer. (Foto: zvg/Grosser Rat Basel-Stadt)

Für ihn stehen Kosten und Nutzen in einem schlechten Verhältnis. Er verweist darauf, dass die effektive Reisezeit von Tür zu Tür entscheidend ist: «Wird ein Fahrzeitgewinn mit mehr Warte-/Transferzeit aufgefüllt, fällt insgesamt keinen Nutzen an. Die exakten Zeiten müssten jetzt vor dem Bau korrekt abgebildet werden, um zu entscheiden, ob das Projekt weiterverfolgt werden soll oder nicht.»

Er befürchtet zudem eine Zunahme weiterer Flugbewegungen. «Die Leute sollten besser mit dem Zug verreisen statt zu fliegen», sagt der Grünen-Politiker. Die rund 300 Millionen würde er lieber in den Ausbau des europäischen Tag- und Nachtzugangebots ab Basel investieren – sei es für Infrastruktur, Rollmaterial oder Verbindungen. Den übrigen Ausbau der S-Bahn in der Region begrüsst er hingegen.

Gemischte Gefühle im Baselbiet

Auch im Baselbiet wird der Bahnanschluss diskutiert. «Für die Menschen, welche an der S-Bahn im Birs-, Laufen- und Ergolztal leben, ist eine umsteigefreie Verbindung an den EAP sicherlich attraktiver als der Umstieg auf den Bus», sagt SP-Landrat Jan Kirchmayr. Der Bus bleibe schliesslich zu den Stosszeiten auch im Stau stecken und verspätet sich.

Kirchmayr kämpft im Baselbiet an vorderster Front für den Ausbau des ÖV-Netzes und hat dazu bereits zahlreiche Vorstösse eingereicht. Ausgerechnet bei der ÖV-Anbindung an den Euroairport ist er aber skeptisch. «Man kann sich die Frage stellen, ob eine bessere ÖV-Anbindung wirklich wünschenswert ist, da sie den Flughafen attraktiver macht. Mehr Flugbewegungen sind klimaschädlich und führen zu mehr Lärm.»

Jan Kirchmayr (SP) ist im Landrat sehr engagiert, was den ÖV-Ausbau im Baselbiet anbelangt.

Jan Kirchmayr (SP) ist im Landrat sehr engagiert, was den ÖV-Ausbau im Baselbiet anbelangt. (Foto: zvg)

So findet Kirchmayr zwar erstrebenswert, das Baselbiet besser an den Flughafen anzubinden. Insbesondere Interregio- und Intercity-Züge sollten seiner Meinung nach aber besser nicht an den Flughafen verkehren, weil das auch in der Restschweiz potenziell neue Flugpassagier*innen anlocken könnte.

«Bloss kein Landesflughafen»

Dass Fernverkehr bei dem Projekt nicht mitgedacht wird, obwohl mehr als die Hälfte der Schweizer Passagier*innen am Euroairport von ausserhalb der Region kommen, war einer der grossen Kritikpunkte in der Analyse der Eisenbahnrevue. Laut BVD wäre für eine Neuausrichtung des Projekts auf Fernverkehrszüge allerdings eine andere Infrastruktur, sprich viel mehr Gleise, nötig. Das wäre teurer und erst deutlich später umsetzbar.

Ein Landesflughafen ist nicht nötig, findet auch Beat K. Schaller, SVP-Grossrat in Basel-Stadt und als solcher im Umwelt- Verkehrs- und Energiekommission. Den Flughafen Basel-Mulhouse versteht er als Regional- und Frachtflughafen, «diesen Charakter wollen wir behalten». 

SVP-Grossrat Beat K. Schaller findet, der Flughafenbus muss entlastet werden.

SVP-Grossrat Beat K. Schaller findet, der Flughafenbus muss entlastet werden. (Foto: Webseite Grosserrat)

Den Bahnanschluss mit den geplanten Direktverbindungen sieht Schaller derweil als notwendig an: «Ich wohne in der Nähe der Flughafenstrasse und kann immer wieder beobachten, wie voll der Flughafenbus ist. Der Bus muss entlastet werden, da ist es sicher besser, die Leute in den Zug zu bringen.»

Über etwas längere Fahrzeiten in den S-Bahnen im Vergleich könne er bei wenigen Minuten hinwegsehen. «Vier Minuten sind nicht matchentscheidend – Bequemlichkeit schon eher und die wird sicher in den Bahnen besser sein.» Aus dem BVD wird ergänzend erwähnt, dass die künftigen S-Bahn-Haltestelle als «Multimodale Drehscheiben» zwischen Velo, Tram, Bus und Bahn weiter vereinfachen soll und so massgeblich zu einer Reisezeitverkürzung beitrage.

Angst vor Fluglärm in Allschwil

Dennoch werde in der Analyse der Eisenbahnrevue die ein oder andere Frage aufgeworfen, die noch vertieft geklärt werden müsse, findet Schaller. Zum Beispiel, das will auch der SVPler «nicht schönreden», die längeren Laufwege vom Bahnhof zum Terminal im Vergleich zum Bus heute. Auch Jan Kirchmayer bezeichnet diese als Problem, gerade für weniger mobile Personen. «Allerdings ist eine Verschiebung der Haltestelle der Züge nicht realistisch.»

Für den SP-Landrat ist aber ein anderer Punkt zentral: Das Start- und Landeverbot in der Nacht zwischen 23 und 6 Uhr. Der Lärmschutz bleibt eines der grossen Themen am Euroairport, auch beim Bahnanschluss.

In Allschwil hat man wegen Lärmbedenken sogar Rekurs gegen das Bahnanschluss-Projekt eingereicht. Die dortige Gemeindepräsidentin Nicole Nüssli-Kaiser (FDP) sagte gegenüber Telebasel, der Bahnanschluss allein bringe 600'000 Passagier*innen mehr: «Wir sind nicht gegen den ÖV, aber das ist eine Attraktivitätssteigerung für den EAP.»

Die Bürger*innen von Allschwil sind besorgt, dass mit dem Bahnanschluss der Fluglärm steigt. Also kämpft FDP-Gemeindepräsidentin Nicole Nüssli-Kaiser gegen das Projekt.

Die Bürger*innen von Allschwil sind besorgt, dass mit dem Bahnanschluss der Fluglärm steigt. Also kämpft FDP-Gemeindepräsidentin Nicole Nüssli-Kaiser gegen das Projekt. (Foto: FDP Allschwil)

Die Entscheidung, ob der Rekurs das Projekt verzögern oder gar aussetzen kann, liegt bei der zuständigen Präfektur in Frankreich. Diese muss noch ein Urteil fällen, wird sich aber wahrscheinlich nicht gegen das Projekt stellen, nachdem Paris das Projekt erst im März dieses Jahres für gemeinnützig erklärt hat und damit einen grossen Teil der Finanzierung absichert. Bis Züge an den EAP rollen, werden jedoch noch Vorstudien geleistet werden müssen.

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