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Kommentar

Warum ein Demonstrations-Verbot keine gute Idee ist

Die SVP will freie Strassen für den Einkaufsbummel am Samstag. Gar nicht mal so klug. Ein Kommentar.

02/16/22, 02:24 PM

Aktualisiert 02/16/22, 03:29 PM

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Demos in der Innenstadt spalten die politischen Gemüter.

Demos in der Innenstadt spalten die politischen Gemüter. (Foto: Keystone-SDA)

Die Politik der Schweizerischen Volkspartei (SVP) trägt zwar in Form (Bundesrat Ueli Maurer posiert im Trychler-Shirt) und Inhalt (Einschränkung von Schwangerschaftsabbrüchen) durchaus disruptive Züge – wenn es um Demonstrationen geht, ist es mit der Lust am Widerstand plötzlich vorbei. 

Der Basler SVP-Grossrat Roger Stalder will Demonstrationen durch die Basler Innenstadt am Samstag verbieten. Weil sie beim Shopping störten und bei «weiten Kreisen der Bevölkerung», sowie bei Gewerbe und Tourist*innen zu Unmut führten. Es ist nicht der erste Versuch der SVP, Demonstrationen den Stecker zu ziehen. 2019 wollte die Grossrätin Daniela Stumpf nur noch eine Demo pro Monat zulassen. Joël Thüring forderte Demos während anderen Grossanlässen wie der Messe in der Innenstadt zu verbieten. 

Über Stalders Motion wird der Grosse Rat beraten.

Wie immer, wenn es um Demos geht, wägen die Politiker*innen dabei verschiedene Grundrechte gegeneinander ab: Den Bürgerlichen sind die Gewerbefreiheit und Bewegungsfreiheit wichtig, den Linken eher das Grundrecht auf Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit. Ist Shopping und der Cashflow in der Basler Innenstadt wichtiger als Stimmungsmacht für Klimaschutz, feministische Anliegen oder einen türkischen Angriffskrieg auf Rojava?

Darüber wird man sich im Einzelfall nie einigen. Die SVP will freie Strassen für die Bevölkerung, Demonstrant*innen wollen ihre Stimme erheben. 

Das Bundesgericht hat 2001 entschieden, dass Einschränkungen von Demonstrationen auf bestimmte Marschrouten oder zu bestimmten Zeitpunkten legitim sind. ABER: Das Bundesgericht hat auch entschieden, dass die Meinungsäusserungsfreiheit nicht gegen kommerzielle Interessen ausgespielt werden darf. In den Worten eines Bundesgerichtsentscheids:

«Bei der Ausübung ideeller Grundrechte ist eine Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs oder anderer öffentlicher Interessen eher in Kauf zu nehmen als bei sonstigen Aktivitäten. Bei nicht ideellen Motiven für die Beanspruchung von öffentlichem Grund darf das öffentliche Interesse am ungestörten Gemeingebrauch stärker veranschlagt werden. Es widerspricht unter anderem nicht der Handels- und Gewerbefreiheit, wenn rein kommerzielle weniger stark gewichtet werden als ideelle Interessen.»

Könnte also gut sein, dass samstags weiterhin demonstriert wird in der Innenstadt. Gut so. Es ist gut, wenn sich Meinungen und Anliegen nicht nur in digitalen Echokammern aufladen wie in Teilchenbeschleunigern des Hasses. Die Politikwissenschaftlerin Stefanie Bailer von der Uni Basel sagt im Regionaljournal, aus «demokratietheoretischer Sicht» sei es erfreulich, wenn junge Leute eine Position beziehen, als wenn sie politisch passiv sind.

Auf Nachfrage von Bajour, was mit «erfreulich» gemeint sei, sagt Bailer: «Proteste sind wichtige Signale für die politischen Eliten, welche Probleme für Bürger*innen sehr dringend sind. Gerade für Parteien ist das ein attraktives Signal, da es recht eindeutig ist, und da es oft Handlungsbezug für die Parteien beinhält. Und tatsächlich reagieren Parteien und Regierungen auf Demonstrationen wie in empirischen Studien gezeigt werden kann.»

Und diese Positionen von verschiedenen Demonstrationen haben sich in den vergangenen Jahren sehr direkt in den Parlamenten niedergeschlagen. Der Frauen*streik von 2019 machte die Parlamente im Durchschnitt weiblicher – auch die Fraktionen der SVP. Der Grossrat Laurin Hoppler wurde mit 20 Jahren quasi direkt von der Demo-Spitze des Klimastreiks ins Parlament weitergereicht. Demonstrationen politisieren den Nachwuchs. Man sollte sie nicht verbieten. Man sollte sie ermöglichen.

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