Teil 4 – Melissa: «Ich will meinen Kindern ein Vorbild sein»

Armutsbetroffene erzählen, wie sie die Corona-Krise bewältigen. So auch Melissa, 31.

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Symbolbild: Das ist nicht Melissa. (Foto: Unsplash)

Melissa, 31, Dentalassistentin in Ausbildung, Mutter von zwei Kindern

«Mir fiel zu Hause fast die Decke auf den Kopf. Der Alltag meiner Familie wurde von einem Tag auf den anderen komplett umgestellt. Ich habe zwei Kinder, sechs und zehn Jahre alt. Die jüngere Tochter geht noch in den Kindergarten, die Ältere ist in der 4. Klasse. Als die Schulen schlossen, warteten plötzlich jeden Tag bergeweise Hausaufgaben, die sie zu Hause zu lösen hatte. ‹Mama, kannst du mir bei dieser Aufgabe helfen, ich komme nicht weiter›, hiess es oft. Auch wenn ich mein Bestes versuchte, um ihr zur Seite zu stehen – ich kann keine Lehrerin ersetzen.

Ich bin selbst noch in Ausbildung und bin im zweiten Lehrjahr zur Dentalassistentin. Als ich zum ersten Mal schwanger wurde, war ich 20 Jahre alt und ging zur Wirtschaftsmittelschule. Die musste ich dann wegen der Schwangerschaft abbrechen. Mein damaliger Freund und ich gingen bald getrennte Wege. Als das Baby da war, konnte ich nicht mehr arbeiten gehen. Ich erhielt Unterstützung von der Sozialhilfe. Aber ich wollte meinen Kindern immer mehr bieten können und ihnen das Gefühl geben, dass sie dazugehören.

«Ohne Diplom findet sich kein guter Job.»
Melissa, 31

Ihre Wünsche, wie schöne Ferien oder schöne Kleider, lassen sich nicht durch Sozialhilfe erfüllen. Ich wollte mit gutem Beispiel vorangehen, ihnen ein Vorbild sein. Darum entschloss ich mich, meine Ausbildung wieder aufzunehmen. Denn ohne Diplom findet sich kein guter Job. Als Dentalassistentin in der Lehre verdiene ich zwar nur 760.– im Monat. Aber dank der Stipendien, die ich zusätzlich erhalte, konnte ich mich von der Sozialhilfe lösen. Mein Freund, mit dem ich seit sieben Jahren zusammen bin, unterstützt mich ebenfalls, wo er kann.

«Einkaufen in den günstigeren Nachbarländern war in den letzten Monaten nicht mehr möglich.»
Melissa

Ich hatte nie besonders hohe Ausgaben und habe aufs Geld geschaut. Einkaufen in den günstigeren Nachbarländern war in den letzten Monaten nicht mehr möglich – das spürten wir im Portemonnaie. Während ich früher mit etwa 100 Franken Einkäufe für einen Monat erledigen konnte, reicht das in der Schweiz gerade mal für eine Woche.

Bei der Arbeit wurde zwar Kurzarbeit angemeldet, aber die Uni-Zahnklinik zahlte uns unsere vollen Löhne. Seit zwei Wochen bin ich wieder in der Praxis und sehr froh darüber, dass wieder etwas Normalität in unser Leben zurückgekehrt ist, meine Töchter wieder in Schule und Kita können.

Es war anspruchsvoll, alles unter einen Hut bringen zu wollen: Mein Unterricht ging während Corona online weiter, ich hatte meinen eigenen Lernstoff, den ich täglich abzuarbeiten hatte. Meine Tochter, die ich zu unterstützen versuchte, Haushalt, Kochen. Ich versuchte, gute Stimmung zu machen, in dem ich mich und meine Töchter daran erinnerte, was wir alles wieder unternehmen können, wenn die Krise vorbei ist. Das war schon immer meine Einstellung: Aufs Positive konzentrieren.»

In einer Serie widmet sich Bajour dem Thema Armut in Basel. Dafür sprechen wir mit verschiedenen Menschen. Im zweiten Teil hat Thomas erzählt, wie er trotz einem Drittel weniger Einnahmen der Krise trotzt. In Teil drei skizzierte Soziologe Ueli Mäder, wie die Gesellschaft Menschen, die ins Wasser fallen, besser auffangen könnte. Und im fünften Teil reden wir mit Sara, 44, die seit mehreren Jahren als Sans-Papier in der Schweiz lebt.

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