«Das Land ist im Schockzustand»

Israel wurde am Samstag von einem Angriff der Hamas überrascht. Alfred Bodenheimer, Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der Uni Basel, ist derzeit in Karmiel und erlebt den Konflikt in Israel hautnah. Im Interview schildert er die Situation.

Alfred Bodenheimer
Alfred Bodenheimer ist in engem Kontakt mit der jüdischen Gemeinschaft in Basel.

Wie geht es Ihnen aktuell in Israel?

Ich habe gerade Notvorräte eingekauft, abgesehen davon geht es uns in Karmiel im Norden des Landes zurzeit noch vergleichsweise gut. Wir hören aber Warnungen darüber, dass der Konflikt sich in den kommenden Tagen auf den Norden ausweiten könnte. Die Bevölkerung hier und auch die jüdische Gemeinschaft weltweit sind zutiefst besorgt.

Was hören Sie von der Basler Gemeinschaft?

Die Basler Gemeinde ist eng verbunden mit Israel, zahlreiche Basler Jüd*innen haben Verwandte in Israel, weshalb sie nun höchst beunruhigt sind. Es leben mehr Basler Jüd*innen in Israel als in Basel. Ich erhalte viele Anrufe und Mails aus der Schweiz. Alle sind in Sorge um die jungen Männer und Frauen, die nun von der Armee eingezogen werden – viele Basler Familien mit Verwandten in Israel sind betroffen. Es herrscht totale Verunsicherung, das Land ist im Schockzustand.

Alfred Bodenheimer
Zur Person

Alfred Bodenheimer ist Autor und Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der Uni Basel. Er lebt derzeit bei seiner Familie in Karmiel und erlebt den Konflikt in Israel hautnah.

Wie äussert sich das?

Niemand hat verlässliche Informationen, die Regierung ist überfordert, es herrscht Anarchie. Es bräuchte wohl eine Notstandsregierung unter Einschluss der grossen Oppositionsparteien und Ausschluss der rechtsextremen Koalitionspartner.

Kennen Sie solch eine Situation von früheren Konflikten, die Sie miterlebt haben?

Persönlich nicht. Ich habe zwar die Gazakriege 2014 und 2020 in Jerusalem miterlebt, damals gab es dort auch Raketenalarm, und die Menschen in der Nähe von Gaza waren in grösster Gefahr. Aber hier sind die Hamas-Kräfte unangefochten in israelisches Territorium eingedrungen und haben über Stunden ungehindert töten und Geiseln nehmen können. Das erinnert an das Trauma des Jom-Kippur-Kriegs von 1973, den ich als Kind aus sicherer Entfernung in der Schweiz erlebt habe. Überdies droht jetzt, gleich wie 1973, ebenfalls ein Mehrfrontenkrieg, wenn die Hizbollah aus dem Libanon im Norden angreift.

«Der fehlende Informationsfluss, über das was aktuell passiert, ist wirklich sehr beunruhigend und ich kann auch nur abwarten, wie sich alles weiterentwickelt.»

von Alfred Bodenheimer, Leiter des Zentrums für Jüdische Studien

Werden Sie nun versuchen, zurück nach Basel zu gelangen?

Eigentlich hätte ich Anfang der Woche wieder nach Basel fliegen sollen, um zu arbeiten – aber mein Flug in die Schweiz wurde gestrichen. Niemand weiss, wie es nun weitergeht. Meine Familie lebt in Israel, mein Schwiegersohn wurde gerade in die Armee eingezogen. Meine Tochter ist schwanger und hat zwei kleine Kinder. Ich bleibe erstmal bei der Familie und versuche, wenn es wieder möglich ist, wieder zu pendeln.

Hätten Sie dann keine Angst, dass Sie je nach Entwicklung nicht zurück nach Israel könnten?

Ich denke, wenn einmal ein Waffenstillstand steht, dann wird das Reisen in beide Richtungen wieder in grösserem Umfang möglich. Die Frage ist vor allem, wann das sein wird. 

Welche Entwicklung erwarten Sie in den kommenden Tagen?

Wenn ich da mehr wüsste, wäre ich ein gefragter Mann. Im schlimmsten Fall erwarten wir hier in Karmiel Raketen aus dem Libanon und hoffen, dass die Armee kein Eindringen von Kämpfern ermöglicht. Im südlichen Libanon gibt es massive Raketenarsenale. Ein Zweifronten-Szenario ist meine grösste Sorge. Der fehlende Informationsfluss, über das was aktuell passiert, ist wirklich sehr beunruhigend und ich kann auch nur abwarten, wie sich alles weiterentwickelt.

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