Alle für einen – und wer schaut den Migrant*innen?
Die SP hat am Dienstagabend Beat Jans für die Bundesratswahlen nominiert. Das bedeutungsschwerste Lob kam von Mustafa Atici. Die Frage, die sich stellt: Wer kümmert sich um die migrantische Community, wenn Jans in Bern ist und Atici kein Amt mehr hat?
Und schon stehen sie wieder und klatschen, die Genoss*innen. Und sie wollen nicht mehr aufhören. Am Sonntag hat die SP über ein Wähler*innenprozent verloren, während die nationale Partei allerorts gewann. Und am Dienstagabend ging es bereits mit dem nächsten Wahlkampf weiter: Die SP traf sich im Volkshaus zur Parteiversammlung, um Beat Jans für den Bundesrat zu nominieren.
Es gab keine Räpplikanone und weniger überschäumende Euphorie als bei Eva Herzogs Nomination vor rund einem Jahr. Aber es war dennoch ein emotionaler, ja, ein berührender Abend: Die SP betrauerte und verdankte den abgewählten Nationalrat Mustafa Atici und feierte Ständerätin Eva Herzog und Nationalrätin Sarah Wyss.
Und eben Beat Jans, den Basler Regierungspräsidenten, der zurück ins Bundeshaus möchte. In den Nominationsreden ging es einmal mehr um die städtische Schweiz, die nicht nur im Bundesrat fehle, sondern am Sonntag an der Urne auch zum Rechtsrutsch geführt habe. So möchte Jans als Bundesrat die «offene, urbane Schweiz» repräsentieren und mit «Fingerspitzengefühl» Kompromisse schmieden, auch mit Menschen vom Land, «die Angst vor Veränderung» hätten und daher «Rechte wählten».
Mitten aus dem Kleinbasel
Beat Jans lebt mit seiner Familie mitten im Kleinbasel: «Ich bin einer, der von dort kommt, wo Kultur stattfindet, wo Drogen gehandelt werden, wo Industrie stattfindet, wo das Leben stattfindet», sagte er sichtlich motiviert. «Wenn ihr mich nach Bern schicken wollt und ich Bundesrat werde, nehme ich euch im Herzen mit.»
Verschiedene Parteimitglieder hielten Reden auf Jans. Eines der bedeutungsschwersten Statements kam von Mustafa Atici. 2004 haben die beiden gemeinsam zum ersten Mal in der kurdischen Community mobilisiert, mit Erfolg: Die SP erlangte, unter anderem deswegen, die rotgrüne Mehrheit in der Regierung, die sie bei den letzten Wahlen wieder verloren hat. Am Dienstagabend sagte nun Atici, als er Jans vor 23 Jahren kennenlernte, habe er schnell gemerkt: «Beats Verbindung zur migrantischen Community besteht nicht nur vor Wahlen.» Sie hätten zusammen Gefängnisse in der Türkei genauso wie migrantische Vereine in Basel besucht.
Dass Atici zwei Tage nach seiner Abwahl Jans diese Empfehlung auf den Weg gibt, ist nicht nur Ausdruck von Respekt und Freundschaft. Es könnte auch als leise Botschaft an die ganze Partei verstanden werden: Bitte kümmert euch um die Menschen mit Migrationshintergrund.
In einem Jahr sind Gesamterneuerungswahlen im Kanton Basel-Stadt. Grad die kurdische Community ist für die SP eine wichtige Wählerschaft. Und der Mann, der sich Jahre lang um sie kümmerte, sie unterstützte, ihre Mitglieder zur SP holte und sie zum Wählen motivierte war: Atici. Derselbe Atici, der seine eigene Bundesratskandidatur für Beat Jans aufgab – noch vor den Nationalratswahlen am Sonntag – und so einige Wähler*innenstimmen und vielleicht sogar seinen Sitz riskiert haben mag.
Jetzt hat er kein Amt mehr und auch andere Parteien haben engagierte Politiker*innen mit Migrationshintergrund, etwa die GLP mit Bülent Pekerman. Oder die Basta mit Nationalrätin Sibel Arslan.
SP-Parteipräsidentin Lisa Mathys ist sich der Ausgangslage offenbar bewusst. Sie sagte zu Beginn des Abends vor den Genoss*innen: «Aticis Abwahl ändert nichts am Engagement für die migrantische Bevölkerung.» Und sie will keinen Keil zwischen die linken Parteien treiben. BaZ und bz hatten am Montag in Bezug auf die Nationalratswahlen geschrieben, viele SP-Wähler*innen seien verantwortlich für Aticis Abwahl, da viele Menschen Arslan auf die SP-Liste schrieben.
Eine, nennen wir es interessante Interpretation der Ereignisse. Arslan ist unter Linken einfach beliebt, schon vor vier Jahren war sie Panaschierkönigin. Mathys appellierte daher an ihre Genoss*innen, es bringe nichts, sich auf solche Rechenspiele zu stürzen. «Klar, wir werden uns Gedanken machen, wie mehr Leute SP wählen können. Aber wir werden weiter eng mit dem Grünalternativen Bündnis arbeiten.» Wichtig sei, bei den Grossratswahlen im 2024 zuzulegen und zu schauen, dass man die sozialgrüne Mehrheit in der Regierung zurückhole.
Sollte die Bundesversammlung im Dezember Jans in den Bundesrat wählen, gäbe es schon früher Ersatzwahlen. Würde Mustafa Atici gerne für die Regierung kandidieren, sollte es soweit kommen? Diese Fragen sind ihm noch zu früh.
So oder so: Für Jans wird es nicht einfach. Die Kandidierendenliste für den Bundesrat wird lang und länger. Am 25. November entscheidet die SP-Fraktion im Bundeshaus, wen sie aufs Ticket setzt. Ständerätin Eva Herzog appellierte daher an ihre Genoss*innen, Werbung für Jans zu machen: «Wer jemanden kennt in der Fraktion: Jetzt heisst es, Telefon in die Hand nehmen.»