Der Messias und sein Bundesratsleben

Neo-Bundesrat Beat Jans stellt in Bern seine Prioritäten als Justizdirektor vor. Er setzt dabei auf Pragmatismus. Und kommt ein bisschen daher wie ein Heilsbringer.

Bundesrat Beat Jans spricht waehrend einer Medienkonferenz ueber seine ersten 100 Tage im Amt, am Dienstag, 2. April 2024 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Medienfrage: «Können Sie das alles in nur einem Bundesratsleben umsetzen?» Beat Jans: «Das kann ich nicht sagen.» (Bild: © KEYSTONE / PETER KLAUNZER)

Wie ein Fisch im Wasser hat sich Neo-Bundesrat Beat Jans am Dienstag in Bern bewegt: staatsmännisch und nahbar zugleich. Knapp 100 Tage ist der Basler alt Regierungspräsident nun im neuen Amt. Vor der Medienkonferenz, die aus diesem Anlass im Sous-Sol des Pressezentrums gegenüber des Bundeshauses stattfand, begrüsste er die anwesenden Journalist*innen persönlich und mit einem Händedruck. Ein eher ungewöhnliches, aber doch sympathisches Verhalten für ein Mitglied der Landesregierung.

Jans ist sich selbst treu geblieben, so der Eindruck, und dies trotz des Wandels, den er über die Jahre durchgemacht hat. Er, der sich als Jugendlicher für den Erhalt autonomer Jugendzentren einsetzte und staatlichen Institutionen gegenüber kritisch eingestellt war (den Rechtsstaat sah er als Problem), scheint in der Rolle des Justizdirektors angekommen zu sein. Ihm gefalle das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), «ein Departement am Puls der Zeit», wie er vor versammelter Medienschar sagte.   

Seit seinem Amtsantritt Anfang Januar ist klar: Der Basler SP-Bundesrat möchte die Probleme anpacken, was ihm bereits den Ruf des Ankündigungsministers eingebracht hat. Tatsächlich ist seine To-Do-Liste lang, die versprochenen Massnahmenpakete und Gesetzesrevisionen zahlreich. Lösen möchte er die Probleme gemeinsam, das betont er immer wieder. Auch an diesem Dienstag. So lautete der Spruch des Tages: «Zäme goht’s besser.»  

15’000 Asylgesuche geerbt

Im Asylbereich beispielsweise, auf den er kommunikativ geschickt den Fokus legt, möchte er auf allen Ebenen kooperieren, um den grossen Pendenzenberg abzubauen. Dabei handelt es sich um 15’000 hängige Asylgesuche, die er von seinen Vorgängerinnen Karin Keller-Sutter (FDP) und Elisabeth Baume-Schneider (SP) geerbt hat. Er möchte zu deren Bearbeitung nicht nur 60 Mitarbeitende einstellen, sondern auch das 24-Stunden-Verfahren in den Bundesasylzentren für Menschen aus Ländern mit tiefer Schutzquote, konkret aus Maghreb-Staaten, ausweiten. 

«Das EJPD: ein Departement am Puls der Zeit»
Beat Jans, SP-Bundesrat

Diese extrem komprimierten (und nicht unumstrittenen) Verfahren sollen nun in der ganzen Schweiz eingeführt werden, nachdem der Kanton Zürich die Beschleunigung von November bis Februar in einem Pilotprojekt getestet hat. Ziel der Beschleunigung soll sein, Ressourcen und Unterbringungsplätze freizuspielen, um das Asylrecht zu schützen. Also jenen Menschen Platz zu bieten, die ihn brauchen, weil sie an Leib und Leben bedroht sind. 

So sank die Anzahl Personen aus den Maghreb-Ländern, die in den Bundesasylzentren wohnen, in der Region Zürich bis Ende März um 70 Prozent. Der Bestand in der ganzen Schweiz sank im gleichen Zeitraum um 40 Prozent, während er in der Vorjahresperiode um 40 Prozent gestiegen war. Dabei bleibt unklar, ob die Abschreckung bereits über Zürich hinaus Wirkung gezeigt hat oder ob der diesjährige Rückgang andere Gründe hat. So argumentieren Asylorganisationen, dass Sprache und kulturelle Nähe die Hauptfaktoren sind für den Entscheid, wo man ein Asylgesuch stellt.

Vorteile der Migration betont

Schnellere Asylverfahren seien aber auch wichtig, um die Arbeitsmarktintegration zu vereinfachen, eine weitere Priorität von Jans, der hier allerdings nur die Geflüchteten aus der Ukraine explizit nennt. 40 Prozent der erwerbsfähigen Frauen und Männer mit Status S sollen bis Ende 2024 einer Arbeit nachgehen. Heute haben erst 20 Prozent von ihnen einen Job. Die für Mai angekündigten Massnahmen könnten aber auch für andere Gruppen sinnvoll sein, sprich für anerkannte Flüchtlinge (F) oder für Vorläufig Aufgenommene (VA). 

Bundesrat Beat Jans, vorne, kommt mit seinen Mitarbeitern zu einer Medienkonferenz ueber seine ersten 100 Tage im Amt, am Dienstag, 2. April 2024 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Beat Jans und seine Entourage luden nach der offiziellen Pressekonferenz zum Hintergrundgespräch bei Sprudelwasser und Häppchen. (Bild: © KEYSTONE / PETER KLAUNZER)

Insgesamt versuchte Jans an der Medienkonferenz, auch die Vorteile der Migration zu betonen («Nicht Flucht, sondern Arbeit prägt die Migration»). So überqueren täglich 2,2 Millionen Menschen die Schweizer Grenze; «die Menschen kommen, weil wir sie auf den Baustellen und in den Spitälern brauchen». Er räumt gleichzeitig ein, dass die Zuwanderung auch bewältigt werden müsse. Deshalb: «Bevor wir Arbeitskräfte aus dem Ausland holen, wo sie ebenfalls gebraucht werden, sollten wir das inländische Arbeitskräftepotenzial besser ausschöpfen: Insbesondere Frauen möchte Jans bessere Arbeitsbedingungen bieten.

Des Weiteren möchte der «Liebling der Bevölkerung» die Bilateralen III zu einem Abschluss bringen, ohne Sozial- oder Lohndumping zuzulassen. Er möchte organisierte Kriminalität und Terrorismus bekämpfen, indem er den Informationsaustausch unter den Polizeikorps vorantreibt – und zwar national als auch international. Weiter möchte er auch die Sicherheit der Frauen verbessern, ob materiell (Gleichstellungsgesetz) oder physisch (häusliche Gewalt). 

In anderen Worten: Jans hat ganz viele Ideen, wie er die Welt zumindest ein klein bisschen besser machen möchte. Ein anwesender Journalist warf Jans an der Pressekonferenz süffisant vor, er würde sich hier zwei Tage nach Ostern als Messias aufspielen und fragte: «Können Sie das alles in nur einem Bundesratsleben umsetzen?» Die Antwort: «Das kann ich nicht sagen.» Was Jans aber sagte: «In einer Zeit, die durch Krisen geprägt ist, braucht es eine Regierung, die die Probleme lösen möchte.» 

«Pragmatische Wege für reale Probleme»

Das Bild des Messias, der im Dienste der Bevölkerung «pragmatische Lösungen für reale Probleme» findet, gefällt Jans offenbar gut, wie er sagt. Auch in Bezug auf Kritik, die aus dem linken Lager kommt und die seine Asylpolitik betrifft. So fand beispielsweise die Basler Freiplatzaktion, eine Beratungsstelle für Migrant*innen, im Februar in einem offenen Brief harsche Worte: Jans verfalle in die gleichen Reflexe wie schon seine Vorgänger*innen. Er bediene die (rechte) Asylmissbrauchsrhetorik, stimme in den Kanon von Sicherheitsbedenken ein und preise 24-Stundenverfahren sowie weitere Verschärfungen als Heilmittel für Pendenzenabbau an. Und er erliege der Verlockung, dabei auf die Gruppe von Personen zu hauen, die ohnehin schon der blanken Verachtung der breiten Öffentlichkeit ausgesetzt sei: junge Männer aus Nordafrika.

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Nimmt sich Beat Jans zu viel vor?

Der Ankündigungsminister hat viele Pläne. Wie sieht es mit der Umsetzbarkeit aus? Darüber diskutieren wir bei der Frage des Tages

Zur Debatte

Ob der in seinen Augen pragmatische Lösungsansatz auch im Asylbereich fruchten wird, ist noch offen. 100 Tage sind gerade mal gut drei Monate, die er nun im Amt ist. Was man heute indes bereits sagen kann: Jans hat eine andere, offensivere Kommunikationsstrategie gewählt als seine Vorgängerin Baume-Schneider. Und mit dieser Strategie scheint er bis jetzt zu punkten. Während die Jurassierin im EJPD das Thema Migration scheinbar am liebsten tot geschwiegen hätte, geht Jans in die Offensive und stellt Massnahme um Massnahme vor. Auch wenn seine Vorschläge der politisch Linken zu weit und der Rechten zu wenig weit gehen, die Kritik an seinem Tun hält sich bisher in Grenzen. Ob seine Vorschläge reichen, um die Welt oder wenigstens die Schweiz zu verbessern, wird sich erst noch zeigen. 

Jans ist auf jeden Fall überzeugt: «Wir sind dann sicher und frei, wenn wir miteinander handeln.»     

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Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

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