Eine nicht abgetragene Altlast

In Basel laufen derzeit Verhandlungen zu dem im Jahr 1940 von einer Emigrantin ans Kunstmuseum verkauften Werk «La muse inspirant le poète» von Henri Rousseau. Der Handel ist nicht unproblematisch.

Rousseau
Henri Rousseau: La muse inspirant le poète / Apollinaire et sa muse, 1909 (Bild: Kunstmuseum Basel)

Ist von Altlasten die Rede, geht es meistens um verseuchte Böden. Immer mehr wird man sich jedoch bewusst, dass es Altlasten auch in Kunstsammlungen gibt. Sie bestehen aus Ankäufen oder aus Schenkungen mit problematischer Herkunft. Und sie stellen Museen vor die Frage, ob sie einzelne Objekte ihrer Sammlung zurückgeben oder mit einer finanziellen Abgeltung zu einem nicht mehr anfechtbaren Gut machen sollen.

In Basel ist es wieder einmal so weit. Nach dem Fall Glaser, der 2020 zu einer Abgeltung an Nachkommen geführt hat, weil Basler Ankäufe von 1933 von der Verfolgungssituation eines Kunstsammlers indirekt profitiert hatten, laufen jetzt Verhandlungen zu einer 1940 getätigten Erwerbung: Die in Genf wohnhafte Emigrantin Gräfin Charlotte von Wesdehlen verkaufte damals dem Basler Kunstmuseum das von Henri Rousseau geschaffene Werk «La muse inspirant le poète» für 12'000 Franken. Sie tat es, weil sie zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts dringend Geld benötigte. Und Basel kaufte das Gemälde, weil es wertvoll, aber auch sehr günstig zu haben war.

Auf diesen Handel hat der Autor dieser Zeilen seit 1990, also vor über dreissig Jahren, mehrfach hingewiesen, ohne dass dies auf der einen oder anderen Seite etwas bewirkt hätte. Erst 2021 wandte sich ein amerikanisch-deutsches Anwaltsbüro im Namen eines Anspruchstellers in der Nachfolge der vormaligen Eigentümerin an das Museum. Im Juni 2022 kam es zu einem Treffen der beiden Seiten, und vergangene Woche gab das Museum zusammen mit einem über 50 Seiten umfassenden Bericht bekannt, dass das Bild zwar nicht zurückerstattet wird, nun aber Entschädigungsverhandlungen aufgenommen werden. Wer die Anspruchsteller sind, die um Restitution des Bildes ersucht hatten, wird nicht bekanntgegeben.

«Principles» zum Umgang mit Kunst, die von Nazis konfisziert wurde

1998 sind dann aber von der internationalen Washingtoner Konferenz «principles» verabschiedet worden, welche die Mitunterzeichner*innen – unter anderen die Schweiz – verpflichten, «offene Fragen» im Zusammenhang mit den durch die Nazis konfiszierten Kunstwerke anzugehen und einer «gerechten und fairen Lösung» zuzuführen. Diese Vereinbarung findet mehr und mehr Beachtung, wie auch das in Deutschland entwickelte Prinzip, wonach «NS-verfolgungsbedingter Vermögensverlust», zumeist Kunstwerke, mit Rückgaben oder finanziellen Entschädigung wiedergutgemacht werden soll.

Die Regelung von 1998 führte im vorliegenden Fall zur Abklärung, ob die vormalige Eigentümerin des fraglichen Gemäldes von Rousseau Opfer der NS-Judenverfolgung war und sich darum von diesem Bild trennte. Der Fall fällt nicht in die Kategorie von Werten, welche den verfolgten Juden unter der Gewaltherrschaft des «Dritten Reichs» abgenommen wurden und darum als Raubgut einzustufen sind. Der Verkauf wurde 1940 in der Schweiz abgewickelt und ist darum als Fluchtgut einzustufen. Das ist eine Kategorie ohne eindeutige und gesicherte Rechtslage. Allfällige Ansprüche werden darum weniger vor Gerichten als in aussergerichtlichen Verständigungsversuchen verhandelt. 

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Viele Kunstwerke sind im Zweiten Weltkrieg nicht ganz freiwillig im Kunstmuseum Basel gelandet. (Bild: Kunstmuseum Basel)

Die einer jüdischen Familie entstammende Gräfin, seit Jahren erfahrene Kunstkennerin und Sammlerin, ging wegen der Judenverfolgung 1938 mit 60 Jahren ins schweizerische Exil. Als Gattin eines Schweizers war sie deutsch-schweizerische Doppelbürgerin. Sie hätte mehrere Kunstwerke rechtzeitig in die Schweiz schaffen können, aber enorme Beträge für die sogenannte Reichsfluchtsteuer bezahlen müssen und hatte keinen Zugriff auf das zurückgelassene Vermögen. Über den Verkauf der Bilder und die Verwendung des Erlöses konnte sie theoretisch «frei» verfügen, soweit ihr Flüchtlingsschicksal selbstbestimmtes Handeln überhaupt zuliess. In der Schweiz war ihr Handlungsspielraum jedenfalls grösser als in Nazi-Deutschland.

Erwerb durch das Kunstmuseum Basel

Der damalige Kunstmuseumsdirektor Georg Schmidt war an der Erwerbung des Rousseau interessiert. Er war wegen der Schätzung der Bilder und der noch anstehenden Zollformalitäten vom Basler Kunsthändler Christoph Bernoulli, der als Mittelsmann der Gräfin tätig war, beigezogen worden. Der Wert des fraglichen Bildes wurde auf 20‘000 Franken geschätzt, Schmidt holte die Emigrantin, wie er sagte, «auf den Boden der Realität» runter und bot 15‘000 Franken. Die Museumskommission drückte den Preis nochmals auf 12‘000 Franken. Dabei handelte es sich im Geld, das aus regulären Mitteln schwerlich aufgebracht werden konnte.

Das Museumsbudget war wegen der Kosten für den kriegsbedingten Schutz der ganzen Sammlung stark belastet. Am Ankauf beteiligten sich Mitglieder der Museumskommission privat – auf «mehrere Schulter» verteilt. Die internen Feststellungen zeigten keinerlei Empathie für die Gräfin, die als «nicht wenig schwierig» eingestuft und wohl wegen ihrer Tierhaltung despektierlich als «Hundelotte» bezeichnet wurde. Höchst befriedigt hielt das Kommissionsprotokoll fest, das Angebot sei ein «zu erwartender Glücksfall infolge des Krieges», und Georg Schmidt erklärte, bei diesem Kauf habe es sich um einen «schandbar billigen Preis» gehandelt.

Georg Schmidt
Der Kunstmuseumsdirektor Georg Schmidt hat «den Rousseau» günstig eingekauft – und von einer Notlage profitiert. (Bild: Archiv Kunstmuseum Basel)

Wie die erhalten gebliebenen Dokumente zeigen, war man sich in Basel sehr wohl bewusst, dass man zu enorm günstigen Konditionen ein ausserordentliches Werk erwerben und von der Notlage profitieren konnte. Wie die Akten zeigen, hätte das Kunsthaus Zürich das Bild gekauft, wenn Basel nicht schneller gewesen wäre. Es wäre wahrscheinlich auch möglich gewesen, dass das Gemälde zu einem höheren Preis in einer privaten Sammlung gelandet wäre. Insofern ist es ein Verdienst, dass es in eine Sammlung der öffentlichen Hand gelangte. Dem Verkauf an Museen kam entgegen, dass die Einfuhrgebühren der nach Gewicht (!) bewerteten Gemälde nicht bezahlt werden mussten.

Der Notverkauf nach Basel ermöglichte es der Sammlerin, höhere Preise für weitere Bilder mit etwas ruhigeren Verkaufsverhandlungen zu führen. Einiges ging dann nach Zürich, wo man heute mit besonderer Aufmerksamkeit den Verlauf der Basler Abgeltungsverhandlungen verfolgen wird. Es sind die öffentlich exponierten und in besonderem Masse an das Entschädigungsgebot gebundenen Museen und nicht Privatsammler, die sich den Erwartungen der Wiedergutmachung ausgesetzt sehen.

Über Wesdehlens Lebensverhältnisse wissen wir wenig, auch nichts über die konkreten Umstände ihrer Zwangs- und Notlage. Diese spielen für die Beurteilung des Falls auch keine Rolle. 1946 starb sie im Genfer Exil. Schade, dass sie von der nun noch auszuhandelnden Entschädigung nicht mehr selber davon profitiert kann. Das können nun bloss die nicht bekannt Nachkommen.

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