Auch Basler Firmen schütten trotz Kurzarbeit Dividenden aus

Ist etwas ethisch vertretbar, nur weil es nicht verboten ist? Schweizer AGs zahlen ihren Aktionär*innen Gewinne aus – obwohl sie vom Staat Kurzarbeit beantragt haben. Wir haben recherchiert.

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Wirtschaftsstandort Basel. (Foto: Birgit Böllinger/Pixabay)

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Dies ist eine gemeinsame Recherche der unabhängigen Medien Bajour, Tsüri.ch und Saiten Kulturmagazin. Mitarbeit: Rahel Bains, Lara Blatter, Simon Jacoby, Gion-Mattias Durband, Marguerite Meyer, Corinne Riedener, Roman Hertler.

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Seit mehr als einem Monat steht die Schweizer Wirtschaft zu einem grossen Teil still. Die Landesregierung versucht mit aller Kraft, dies aufzufangen: Schnürt ein Hilfspaket in Rekordgrösse, es gibt Notkredite zum Nulltarif, und sie pumpt Gelder in die Arbeitslosenkassen, um massive Kurzarbeitsentschädigungen finanzieren zu können. Kein Wunder: Seit Anfang März haben rund 167’250 Betriebe Kurzarbeit angemeldet - für über 1,7 Millionen Arbeitnehmende. Das sind rund ein Drittel aller Schweizer Arbeitnehmenden. Ziel ist, mit Mitteln aus den Arbeitslosenkassen und dem Bundeshaushalt die Arbeitslosigkeit tief und die Wirtschaft am Laufen zu halten. Derzeit kann die Schweiz sich das Hilfspaket von insgesamt 80 Milliarden Franken leisten – doch die Steuerzahler*innen werden noch Jahrzehnte an den hohen Ausgaben zu kauen haben.

Die Kurzarbeit ist ein wirtschaftspolitisches Instrument. Es soll verhindern, dass bei vorübergehenden Krisen der Wirtschaft Arbeitsplätze abgebaut werden. Die wegfallenden Löhne der betroffenen Angestellten werden also zeitlich befristet und zu 80 Prozent von der Arbeitslosenkasse (ALV) übernommen. Diese Versicherung wird im Normalfall hälftig via Lohnnebenkosten von den Arbeitnehmenden und den Arbeitgebenden gefüllt. Jetzt aber reicht dies nicht aus, um das Loch zu stopfen. Deshalb springt der Staat mit Geld aus dem ordentliche Bundeshaushalt, also mit Steuergeldern, ein.

Auch einige grosse Schweizer Unternehmen haben Kurzarbeit angemeldet. Sie halten im Frühling traditionell ihre Generalversammlungen ab – an der auch Dividenden an die Aktionär*innen genehmigt werden.

Rechtlich erlaubt, aber eine moralische Frage

Einige Aktiengesellschaften haben wegen der Corona-Krise ihr Personal auf Kurzarbeit gesetzt und schütten trotzdem Gewinne an ihr Aktionariat aus. Via Kurzarbeit Geld vom Staat zu bekommen und gleichzeitig Dividenden auszuschütten, ist rechtlich erlaubt. Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco bezeichnet es als eine «moralische Frage», welche von den einzelnen Betrieben selber beantwortet werden muss.

Wir – die Redaktionen von Bajour, Tsüri.ch und Saiten – finden: Dies ist vor allem eine Frage, die eine Recherche verdient. Wir werfen einen Blick auf Unternehmen im Raum Basel, Zürich und in der Ostschweiz.

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Basler Straumann: Lohnreduktionen, Kurzarbeit – und Dividende

Auch die Straumann-Gruppe mit Sitz in Basel wurde von Corona getroffen. Der international tätige Hersteller von Zahnimplantaten leide vor allem unter dem Lockdown im wichtigen Absatzmarkt USA, sagt Mediensprecher Mark Hill auf Anfrage. So stellte Straumann am 2. April  in einem Schreiben an die Investor*innen Massnahmen zur Kostensenkung in Aussicht: Kurzarbeit bei der Belegschaft, freiwillige Lohnreduktionen in der Führungsetage. Fünf Tage später segnete die Generalversammlung alle Anträge des Verwaltungsrates ab –  und beschloss eine Dividendenausschüttung in der Höhe von 91 Millionen Franken. Heute ist ein Grossteil der Schweizer Belegschaft in Kurzarbeit, die Dividenden wurden ausbezahlt, wie Hill bestätigt.

Ist es legitim, Dividenden auszuschütten, während öffentliche Mittel für Kurzarbeit bezogen werden? Sprecher Hill will auf diese Frage so nicht eingehen. Er verweist darauf, dass sich die ausbezahlte Dividende auf das vergangene Geschäftsjahr 2019 beziehe. 

Zudem müssten Aktionär*innen, darunter auch Pensionskassen, ihre Dividenden versteuern, sagt Hill und betont die Steuerzahlungen, die das Unternehmen in den erfolgreichen letzten sieben Jahren geleistet habe. Hinzu komme, dass der Verwaltungsrat dieses Jahr freiwillig auf 40 Prozent des Lohns verzichte, die Geschäftsleitung ihrerseits auf ein Viertel und das obere Management auf 20 Prozent des Gehalts, so Hill. «Und Sie dürfen nicht vergessen, dass die Aktionäre von starken Kursverlusten betroffen sind.»

Adecco, ist das moralisch vertretbar?

Der Personaldienstleister Adecco Group mit Sitz in Zürich und Filialen in 60 Ländern hat in der Schweiz teilweise Kurzarbeit eingeführt, wie Cash online am 26. März berichtet.

Am vergangenen Donnerstag fand die Generalversammlung statt. Es wurde beschlossen, den Aktionär*innen die erwarteten Dividenden in der Höhe von 2.50 Franken pro Aktie auszuschütten. Dies bestätigt Mediensprecher Lee Hewett auf Anfrage. «Die Programme zur Unterstützung der Kurzarbeit nutzen wir, wie viele andere Unternehmen und im Einklang mit den Absichten der politischen Entscheidungsträger, um Arbeitsplätze zu schützen, was unter den gegebenen Marktbedingungen sonst nicht möglich wäre», so Hewett. Die Frage nach der Moral liess die Adecco Group unbeantwortet.

Schoggi-Lindt will an Jubiläumsdividende festhalten

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Die berühmten goldenen Schoggi-Hasen von Lindt & Sprüngli (Bild: Lothar Spurzem)

Die Zürcher Schokoladenfirma Lindt & Sprüngli hat ein gutes Geschäftsjahr 2019 hinter sich. Das Unternehmen feiert dieses Jahr sein 175-jähriges Bestehen. Es leidet aber ebenfalls unter der Corona-Krise, in einer Medienmitteilung heisst es: «Da das Ausmass und die Dauer der Pandemie noch ungewiss sind, ist der Finanzausblick 2020 nicht mehr gültig.» Will heissen: Das angestrebte Wachstum von jährlich fünf bis sieben Prozent kann wohl nicht erreicht werden.

Deshalb seien Mitarbeiter*innen vorwiegend aus den Shops und dem Aussendienst auf Kurzarbeit gesetzt worden, sagt eine Sprecherin auf Anfrage. Der Konzern will aber dennoch auf Auszahlung der Jubiläumsdividende von 1’750 Franken pro Aktie festhalten. Entschieden wird an der Generalversammlung vom 24. April 2020.

Flughafen Zürich: Keine Flüge, keine Dividende

Im Moment leidet der Flughafen Zürich wegen Corona an Einbussen – kein Wunder, bleiben doch Flugzeuge vielerorts auf der Welt am Boden. Die Sicherung der Liquidität habe für den Flughafen oberste Priorität, so das Unternehmen. Man versuche Kosten zu senken, das Personal des Flughafens sei wegen Corona auf Kurzarbeit gesetzt – und auf die Ausschüttung von knapp 220 Millionen Franken Dividende verzichte man nun.

Anfang März präsentierte der Flughafen sein erfolgreiches Geschäftsergebnis für das Jahr 2019. Der Verwaltungsrat beantragte damals eine Dividende von 3.90 Franken pro Aktie, sowie eine Zusatzdividende von 3.20 Franken. Mitte April entschied er sich, auf Dividendenzahlungen zu verzichten. Ein Drittel der Flughafen-Aktien gehören dem Kanton Zürich und fünf Prozent der Stadt. Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) und Regierungsrätin Carmen Walker Späh (FDP) sitzen im Verwaltungsrat des Unternehmens.

St. Galler SFS: Dividende, aber auch Lohnkürzungen im Verwaltungsrat

Die SFS Group mit Sitz in Heerbrugg gibt zwar an, in einer «robusten finanziellen Verfassung» zu sein, hat aber ebenfalls Kurzarbeit angemeldet. Der Verwaltungsrat hat am 17. April eine Reduktion der Dividenden um 14 Prozent beantragt, «als Zeichen der Solidarität». 78 Millionen Franken sollten ursprünglich ausgeschüttet werden. Neu soll jede Aktie mit 1.80 CHF vergütet werden, total entspricht dies 67 Mio. CHF Gewinn. Ausserdem wollen VR und Geschäftsleitung vorübergehend auf 10 Prozent ihres Gehalts verzichten.

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Die Georg Fischer AG spezialisiert auf den Transport von Gasen und Flüssigkeiten. (Bild: zvg)

Die Georg Fischer AG in Schaffhausen hat ebenfalls Kurzarbeit angemeldet, will aber nicht auf die Ausschüttung der Dividende verzichten oder sie zumindest reduzieren. Insgesamt 102,5 Millionen Franken wurden an der Generalversammlung vom 15. April ausgeschüttet, was pro Aktie 2.50 CHF entspricht. Der Konzern war innert nützlicher Frist für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Verwaltungsräte haben Verantwortung für Firmenliquidität

Das Vorgehen, trotz Staatshilfe via Kurzarbeit Gewinne aus der Firma zu nehmen, ist juristisch grundsätzlich erlaubt. Rechtsprofessor Peter V. Kunz von der Universität Bern wirft die Frage auf, ob es moralisch und aus Reputationsgründen sinnvoll ist, Dividenden auszuschütten. Verboten sei es nicht, rechtlich also alles legal.

Allerdings müsste der Verwaltungsrat den Dividendenverzicht beantragen, wenn die Liquidität der Firma in Gefahr sei. Und «der Antrag auf Kurzarbeitsentschädigung wäre zumindest ein Indiz dafür», so Wirtschaftsrechtler Kunz. Auch habe das strategische Aufsichtsorgan einer AG, also der Verwaltungsrat, nicht nur die Interessen des Aktionariats zu vertreten, sondern «ebenso die Gläubigerinteressen (z.B. Banken), die Arbeitnehmerinteressen, die Konsumenteninteressen sowie die Interessen der Öffentlichkeit (Beispiel: Staat und fiskalische Interessen).»

Zahlt indirekt die Tessiner Krankenschwester in Aktionär*innen-Taschen ein?

Ein entsprechendes Verbot von Dividendenausschüttungen bei gleichzeitiger Kurzarbeit gebe es nicht, sagt Peter Hegglin (CVP/ZG), Präsident der Finanzkommission des Ständerates. Das Fehlen einer solchen Bestimmung begründet er damit, dass diese meist nur vorübergehend beansprucht werde. «Zudem musste aufgrund der Dringlichkeit schnell gehandelt werden, um möglichst viele Entlassungen zu vermeiden.»

Er setzt auf Eigenverantwortung innerhalb der Unternehmen: «Firmenorgane müssen verantwortungsvoll handeln – auch ohne Verdikt aus Bern.»

Stört Hegglin sich nicht an der Vorstellung, dass nun – etwas überspitzt – die Tessiner Krankenschwester mit ihren Steuern Dividendenausschüttungen finanziert? Man dürfe  nicht vergessen, dass Dividendenausschüttungen für Aktionär*innen ein wichtiges Einkommen darstellten, «gerade auch für die beteiligten Pensionskassen, die in einer schwierigen Lage sind – und das kommt auch der Krankenschwester zugute.»

Ohnehin handle es sich bei Dividenden um Gewinne aus dem Vorjahr: «Aktionäre haben ein Recht auf Dividenden, wenn das Unternehmen gut rentiert. Als Eigentümer tragen sie schliesslich auch das finanzielle Risiko.»

«Man kann jederzeit nachkorrigieren»

Das Vorjahres-Argument sei nicht so ein einfaches, sagt hingegen Wirtschaftsethiker Markus Huppenbauer von der Universität Zürich. Aktionär*innen hätten zwar Rechte, aber auch moralische Pflichten, so der Professor, der sich selber als «Wirtschaftsfreund» bezeichnet. «Wenn man wirklich an einer nachhaltigen Unternehmensführung interessiert ist, ist ein längerfristiger Blick nötig», sagt er. «Als Aktionär gebe ich Geld, ich beteilige mich am Erfolg und am Risiko eines Unternehmens.» Das mache aber nur Sinn, wenn man einen langfristigen Horizont habe, so Huppenbauer. «Dann kann ich aber nicht plötzlich einfach nur für ein Jahr argumentieren.»

Aktuell bleibt also das Ausschütten von Dividenden trotz Kurzarbeit eine moralische Frage – eine komplexe sowieso. Wie lange noch, werden die nächsten Wochen zeigen. Verschiedene Politiker*innen von links bis rechts fordern per Brief an den Bundesrat, per Strategiepapier oder einfach auf Twitter, dass diese moralische Frage juristisch geklärt und das Vorgehen somit verboten werden sollte.

Dass es doch noch zu einem Dividendenverbot bei Kurzarbeit kommt, schliesst Finanzdelegations-Präsident Hegglin nicht aus: «Wir reden hier von Notverordnungen. Und der Bundesrat hat auch klar signalisiert: Man kann jederzeit nachkorrigieren.»

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